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Rechnen mit Einzellern  
  Seit Jahren forschen Wissenschaftler an sogenannten Biocomputern. Diese rechnen nicht wie herkömmliche Rechner mit Elektronen, Nullen und Einsen, sondern meist mit der Kombination bestimmter DNA-Abschnitte. Nun wollen Forscher auch mit der Bewegung von Einzellern mathematische Aufgaben lösen.  
Der Parasit als Rechenmaschine
Plasmodien sind gefürchtete Parasiten und Krankheitserreger: Einer der Vertreter der tierischen Einzeller löst etwa Malaria aus. Doch die einzelligen Tierchen könnten auch eine positive Seite haben: Wenn man weiß, wie sie sich bewegen, könnte man sie als Rechner einsetzen.

Die Grundlage dafür ist die Art und Weise, wie sich Plasmodien durch einen Hindernisparcours hindurch auf die Suche nach Nahrung begeben, schreibt Andy Adamatzky, Professor für unkonventionelle Datenverarbeitung an der Universität von Westengland in Bristol in einer aktuellen Studie (arXiv, Online-Veröffentlichung).
Die Welt des Plasmodiums
Plasmodien gehören zum biologischen Stamm der Sporentierchen. Auf der Suche nach Nahrung kriechen die Einzeller durch die Gegend, finden sie etwas Essbares, umschließen sie den Nahrungsbrocken mit ihrem gesamten Körper. Dadurch entsteht ein Hohlraum, in den sie Enzyme absondern und mit diesen das Essen zersetzen und verdauen.

Um die Nahrungssuche effizienter zu gestalten, bilden Plasmodien mitunter verästelte Netzwerke. Sie senden Ausläufer aus - sogenannte Pseudopodien, also Scheinfüßchen. Trifft einer dieser Ausläufer auf Nahrung, zieht sich das Plasmodium um diese wieder zusammen. Zudem sind Pseudopodien lichtscheue Gesellen und bewegen sich von Lichtquellen weg.
Nahrungssuche als Programmiersprache
Genau diese Eigenschaften der Einzeller will Adamatzky für Rechenaufgaben nutzen. Das Gegenstück zu einem Computer-Programm wäre ein Irrgarten aus Lichtquellen, die den Tierchen den Weg zu einer Nahrungsquelle erschweren. Um das Programm laufen zu lassen, lässt man das Plasmodium die Nahrung suchen. Das Ergebnis der Operation soll durch das vom Plasmodium gebildete Netzwerk sichtbar werden.

Wie das funktionieren könnte, hat Adamatzky mit Plasmodien im Labor getestet, indem er sie in Gefäßen auf eine Nahrungsquelle zusteuern ließ. Die Gefäße waren verdunkelt, durch Schlitze trat jedoch Licht ein, das den Plasmodien den direkten Weg versperrte. Die Einzeller krochen daran vorbei, bildeten ihre Ausläufer oder teilten sich.

Auf Basis dieses Verhaltens der Plasmodien will Adamatzky in Zukunft mathematische Aufgaben lösen. In weiteren Studien soll das "Programm" durch Kombinationen von Nahrungs- und Lichtquellen verfeinert werden.
Routenplanung mit Darmbakterien
Biocomputer sind an sich nichts Neues. Ihre Grundlage bildeten bisher meist DNA-Fragmente. Da DNA Information enthält, dienen genau definierte Abschnitte des Erbguts als Datenquelle. Das Rechnen erfolgt durch die selbstständige Kombination der Abschnitte. Das Ergebnis lässt sich ablesen, indem bestimmte DNA-Sequenzen und Kombinationen daraus zum Leuchten gebracht werden. Der Vorteil an diesem Ansatz wäre, dass dadurch viele Rechenaufgaben parallel gelöst werden könnten. Bei herkömmlichen Computern müssen dafür viele Prozessoren gleichzeitig beschäftigt werden.

Vor kurzem haben Wissenschaftler versucht, das klassische "Problem des Handlungsreisenden" auf molekulare Weise zu knacken. Es besteht darin, die Route zwischen mehreren Städten so zu planen, dass der Weg möglichst kurz ist. Doch wenn viele Städte im Spiel sind, stoßen herkömmliche Computer schnell an die Grenzen ihrer Rechenleistung.

Nun konnten US-amerikanische Forscher diese Aufgabe mit Hilfe des Erbguts des Darmbakteriums Escherichia coli zumindest für drei Städte lösen ("Journal of Biological Engineering", online).
Haferflocken als Energiequelle
Ein weiterer Vorteil von DNA-Computern würde darin bestehen, dass sie weniger Energie brauchen als herkömmliche Rechner. Das dürfte auch für Adamatzkys Plasmodienmaschine der Fall sein: In freier Wildbahn fressen Plasmodien Bakterien, Sporen und andere Mikroben; im beschriebenen Experiment bekamen sie Haferflocken.

Konkrete Rechenaufgaben hat Adamatzky mit seinen Einzellern noch nicht gelöst. Ziel seiner Arbeit war es, einen grundlegenden Mechanismus zu finden, auf dessen Basis dies in Zukunft möglich sein könnte. Auch DNA-Computer stecken noch in den Kinderschuhen. Wissenschaftler haben aber schon Ideen, wie sie eingesetzt werden könnten: Die neuen Rechner könnten zum Beispiel Nachrichten chiffrieren. Lesen könnte eine derartige Botschaft nur, wer den DNA-Schlüssel kennt.

Mark Hammer, science.ORF.at, 18.8.09
->   Andrew Adamatzky
->   Artikel über DNA-Rechner (pdf)
Mehr dazu in science.ORF.at:
->   DNA-Computer spielt Tic-Tac-Toe
->   Ein neuer DNA-Computer
 
 
 
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01.01.2010