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Evolution: Lob des Wurmfortsatzes  
  Der Wurmfortsatz ist laut einer Studie 80 Millionen Jahre alt. Das spricht gegen die These, er sei lediglich ein funktionsloses Relikt. Vermutlich dient er als Refugium für symbiontische Bakterien.  
Zwei Mal erfunden
In seinem Buch "Die Abstammung des Menschen" vermutete Charles Darwin, der Wurmfortsatz sei ein evolutionär verkümmertes Organ, ähnlich wie die Augen von Höhlentieren oder die Muskulatur unserer Ohrmuscheln. In diesem speziellen Fall irrte der große Brite, wie nun eine Studie im "Journal of Evolutionary Biology" (Online-Veröffentlichung) zeigt.

Forscher um William Parker vom Duke University Medical Center in Durham haben einen anatomischen Wurmfortsatz-Vergleich bei verschiedensten Tierarten vorgenommen - und kommen zu dem Schluss, dass das Organ mindestens zweimal unabhängig erfunden wurde. Einmal von den Vorläufern der Primaten, Nager und Lemuren, ein zweites Mal bei Beuteltieren. Und: Der Appendix ist deutlich älter als gedacht, nämlich rund 80 Millionen Jahre alt.

Um ein nutzloses Relikt kann es sich bei dem Organ angesichts seines Alters und seines Verbreitungsmusters schwerlich handeln, schreiben die Forscher und verweisen auf eine Studie aus dem Jahr 2007: Biofilmanalysen zeigen, dass der Wurmfortsatz symbiontischen Bakterien als Rückzugsareal bei Durchfall dient, von dem aus sie den Darm erneut besiedeln können (Journal of Theoretical Biology, Bd. 249, S. 826).
Unterforderte Immun-Garde
Die vergleichsweise hohe Zahl von Immunzellen im Wurmfortsatz würde durchaus gut zu dieser Ansicht passen. Demnach wären die Immunzellen vor allem dazu da, um nützliche Bakterien aktiv zu schützen - und nicht etwa, um schädliche zu bekämpfen.

Die in westlichen Industrieländern verbreitete Appendizitis (auch nicht ganz korrekt "Blinddarmentzündung" genannt), die Darwin noch zur Relikt-Theorie tendieren ließ, ist laut Parker auch kein Zeichen von Funktionslosigkeit, sondern vielmehr unserem modernen Lebensstil geschuldet.

Der so genannten Hygiene-Hypothese zufolge ist unser Immunsystem unter relativ keimfreien Lebensbedingungen systematisch unterfordert und greift daher mitunter den eigenen Körper an. Resultat: Allergien, Autoimmunerkrankungen und Entzündungen. Das könnte auch beim Wurmfortsatz der Fall sein.

Robert Czepel, science.ORF.at, 24.8.09
->   Duke University Medical Center
->   Appendix vermiformis - Wikipedia
 
 
 
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01.01.2010