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Deutsch als Wissenschaftssprache  
  Die englische Sprache dominiert die Wissenschaftskommunikation. Wer von der Scientific Community wahrgenommen werden will, muss englisch publizieren. Universitäten und Schulen beginnen sich in der Wissenschaftsvermittlung auf diesen Trend bereits einzustellen.  
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Wissenschaftssprache - Sprache der Wissenschaftler ist das Thema der neuen Ausgabe der GEGENWORTE - Zeitschrift für den Disput über Wissen, herausgegeben von der Berlin Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. In seinem Beitrag zu diesem Dossier befasst sich Jürgen Trabant, Professor für Romanische Sprachwissenschaft an der FU Berlin mit den Perspektiven der deutschen Sprache für die Wissenschaftsvermittlung. Wir bringen daraus die wichtigsten Passagen als Anregung zur Debatte.
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Das Ableben des Deutschen als Wissenschaftssprache?
Von Jürgen Trabant

Bisher betraf das häufig konstatierte Ableben des Deutschen >nur< das wissenschaftliche Schreiben der Naturwissenschaftler (auch das Vortragen auf internationalen Kongressen ist ja zumeist nur ein Vorlesen von Geschriebenem).

Das Standard-, Hoch- oder Schriftdeutsche (kurz: das Deutsche) verliert damit eines seiner wichtigsten Anwendungsgebiete. Nun sind die Universitäten dabei, auch den akademischen Unterricht, also das Sprechen in der Wissenschaft, auf Englisch umzustellen.
Transfer von Wissenschaft entfällt
Mit der Vorlesung und der Seminardiskussion entfällt in Zukunft das Sprechen, an dem bisher die Vermittlung zwischen Wissenschafts-Schreibe und gesprochenem Hochdeutsch stattfand, die ihrerseits den Transfer von wissenschaftlicher Sprache in die Gesellschaft (Lehrerausbildung, Lehrbücher) vorbereitete.

Der nächste Schritt, der auch dies überflüssig macht, kündigt sich schon an: Jede Schule, die auf sich hält, erteilt schon naturwissenschaftlichen Unterricht auf Englisch. Die Konsequenz: Über bestimmte, nämlich die wichtigsten wissenschaftlichen Gebiete wird nicht mehr auf Deutsch nachgedacht, gesprochen und geschrieben. Es entfällt damit einer der wichtigsten Orte, an dem das Hochdeutsche gelernt wurde.
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Ich spreche aus eigener Erfahrung. Ich bin ein geborener Dialektsprecher, >deutsch< zu sprechen und zu schreiben habe ich in der Schule gelernt, mein Deutsch verdanke ich also primär dem Sprechen und Schreiben über wissenschaft-liche und literarische Gegenstände. Zukünftig aber wird der junge Deutsche über Naturwissen-schaft nur auf Englisch reden und schreiben. Das heißt nicht nur, dass die Nationalsprache dieses Feld der Rede verliert, sondern auch, dass die Beherrschung der nationalen Standardsprache für die jungen Deutschen immer weniger wichtig wird.
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Neue Dialekte
Wenn nun ein junger Wissenschaftler, der niemals in der nationalen Standardsprache über Wissen-schaft gesprochen hat, in die perverse Situation kommt, >auf Deutsch< über Wissenschaft-liches sprechen zu müssen, dann liegt es nahe, dass er das in der Varietät des Deutschen tun wird, die er beherrscht, und das ist der Dialekt. In diesen führt er die amerikanischen Fachtermini ein, so wie sie sind, es gibt ja gar keine anderen: Eine Adaptation der wissenschaft-lichen Terminologie an die nationale Standardsprache hat nicht mehr stattgefunden. Also: Prenzlberg meets MIT.
Mischung mit der globalen Wissenschaftssprache
Die Mischung des lokalen Dialekts mit der globalen Wissenschaftssprache ist gleichwohl ein Problem. Dessen Lösung wird natürlich darin bestehen, dass die jüngeren Kollegen in Zukunft gleich englisch vor der Akademie sprechen.
Man spricht natürlich englisch
Unsere ausländischen Gäste sprechen selbstverständlich englisch vor der hohen Versammlung. Keines der Akademie-Mitglieder würde es je wagen, hierfür einen Dolmetsch-Service zu verlangen. Wir waren ja alle mehr oder minder lange in Amerika, ohne den Forschungs- oder Lehraufenthalt an einer der guten US-Adressen wird man ja gar nicht mehr Akademiemitglied (da kann man noch so lange in ehrenvollsten Positionen in Frankreich oder Italien gewesen sein: non conta).
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Coole Kolloquien
Wir verstehen also alle das Englische so was von gut, wir sprechen auch alle gern englisch, schon um zu zeigen, wie weltläufig wir doch sind (wir wollten ja diese grauenhafte Provinzialität loswerden, die uns unsere Eltern mit ihrer Nazi-Sprache als Erbe hinterlassen hatten), und wir tun dies mit einer geradezu leidenschaftlichen Beflissenheit.

Natürlich veranstalten wir unsere internationalen Akademie-Kolloquien -- cool wie wir sind -- längst auf Englisch. Ein englischer Vortrag ist also total angesagt, wahnsinnig kosmopolitisch, genau das Richtige für uns.
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Kommunikation ist nicht gewährleistet
Allerdings ist damit die internationale Kommunikation noch nicht unbedingt gewährleistet. Der junge Kollege aus Osteuropa, der vor kurzem auf einer Akademiesitzung englisch sprach, war sicher enorm international, verständlich war er aber nicht.

Damit sich die globale Kommunikation auch wirklich einstellt, muss also die Community, wie man jetzt sagt, noch ganz schön an sich arbeiten. Die deutschen Kultusminister arbeiten bereits daran: Englisch gibt's jetzt schon ab der ersten Schulklasse (damit die Kinder erst gar nicht deutsch lernen).
Die Zunge kommt in die Quere
Nicht das geschriebene, sondern das gesprochene Englisch ist das Problem. Die verflixte einheimische Zunge kommt immer noch in die Quere. Und das ebenfalls einheimische Ohr hat Schwierig-keiten, die verschiedenen Formen der Universalsprache zu entschlüsseln: Wir kennen das von den internationalen Kongressen.
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Ein neues Babel?
Bei den Nicht-Natives versteht man Deutsche natürlich prächtig, aber es ist auch immer ein bisschen peinlich, ihnen zuzuhören (weil man weiß, dass man selber auch so ähnlich redet). Holländer und Skandinavier sind wunderbar zu verstehen, aber die machen sowieso immer alles richtig. Englisch sprechenden Franzosen verzeiht man alles, ihre schöne Muttersprache macht auch ihr Englisch noch charmant. Bei Italienern muss man sich das Gehörte geschrieben denken, dann kommt man darauf, was sie meinen könnten. Die neuen Versionen aus dem Osten sind außerordentlich gewöhnungsbedürftig. Bei Chinesen und Japanern versagt das Ohr.
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Ein guter Vortrag ist mehr....
Und wenn sie denn gegeben ist, dann macht die Verständlichkeit allein natürlich auch noch keinen guten Akademie-Vortrag aus. Ein Vortrag sollte ja nicht nur die Verlautbarung von Messdaten sein. Er könnte ja auch witzig, gut formuliert, angenehm zu hören, tiefgründig, geistreich oder Ähnliches sein. Amerikanische Wissenschaftler sind Meister in dieser Kunst, aber die sind ja auch Muttersprachler.

Habe ich jemals - außer von Wolf Lepenies natürlich - einen wirklich brillanten englischen Vortrag eines Nicht-Native-Speakers oder eines nicht in Amerika lebenden Wissenschaftlers gehört? Nun, natürlich werden mir meine Kollegen aus der Akademie dieses bisher entbehrte Vergnügen bereiten. Ich freue mich schon darauf.
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Weitere lesenswerte Beiträge, Essays, Fallstudien und Miszellen zum Thema Wissenschaftssprache finden sich in den GEGEGNWORTEN - Zeitschrift für den Disput über Wissen, herausgegeben von der Berlin Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften.
e-mail:
gegenworte@bbaw.de
->   Berlin Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
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Lesen Sie mehr zum Thema Wissenschaftssprache in science.orf.at:
->   Hazel Rosenstrauch: Universalsprache für die Wissenschaft?
->   Dieter Simon: Das Dilemma der Wissenschaftssprache
 
 
 
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01.01.2010