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Fantasie als Therapie  
  Psychologen und Analytiker sehen in der Fantasie den Kitt zwischen Gefühl und Verstand. Denken passiert auf der Folie der Fantasie. Die Fülle, Tiefe und Genauigkeit des Denkens hängt von der Qualität des Fantasielebens ab.  
Wissen und Gefühl gehen Hand in Hand
Die Fantasie eines Menschen entwickelt sich von Geburt an, im unmittelbaren Kontakt mit der Mutter. Sie wird geprägt von den ersten Interaktionen, die das Neugeborene erlebt. Die schemenhaften Bilder werden in der Dramaturgie der Fantasie mit den Gefühlen gekoppelt und zu einer eigenen, inneren Syntax gebaut. Ihr Vokabular sind Szenen und Bildern.

Die Verbindung zwischen Gefühl und Erfahrung ist ein Grundmuster im sozialen und im kognitiven Lernen. Diese Verbindung wird mit den subjektiven Fantasien des einzelnen hergestellt. Was ich lerne, wird mit dem Gefühl verbunden, wie ich es lerne. Wissen ist darum immer verbunden mit der Emotion.
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Fantasie - Grundlage jeder Theorie
Gudrun Fuchs, Kinderanalytikerin aus München: "Jede wissenschaftliche Theorie ist das Substrat einer geronnenen Fantasie. Fantasie ist die Grundlage jeder abstrakten Theorie"
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Spiele erzählen vom Innenleben
Die Dramaturgie der Fantasie ist szenisch, ihr Medium das Bild. Beides ist emotional aufgeladen. Im Denken und Handeln werden spielerisch verschiedene Erlebnisse miteinander verknüpft und im Moment in einen neuen Bedeutungszusammenhang gefügt. Das zwecklose Spiel ist der Schlüssel zum Verständnis des anderen.

Die Kinderanalytikerin erfährt durch Spiele vom Innenleben des Kindes. Sie erzählen von den Ängsten und Konflikte des Kindes. Mit seiner Fantasiebeseelt das Kind Bauklötze, Steine, Puppen. Die innere Welt nimmt Gestalt an und wird kommunizierbar.
Traum spricht mit Sprache der Fantasie
Der Erwachsene hat gelernt, seine bewussten Gefühle zu kontrollieren. Fantasie und Realität sind scheinbar zwei parallel laufende Bewusstseinsebenen, die sich kaum mehr berühren.

Nur im Traum, so meint der Psychiater und Psychotherapeut Michael Ermann von der Münchner Universitätsklinik, zeigt sich, wie Gefühle und Erfahrungen verschränkt sind. Die Sprache des Traumes benutzt das Vokabular der Fantasie.
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"Innere Bilder finden über den Traum Ausdruck. Die Funktion des Traumes ist, diese inneren Bilder neu zu bewerten. Der Traum wählt die Bilder aus, die unbewusste Fantasien in eine höhere Form der Verarbeitung bringen," so Ermann.
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Ohne Fantasie geht es nicht
Ohne Fantasie, meint Gudrun Fuchs, könnten wir nicht überleben. Fixe Fantasien und einseitige Begabungen weisen auf Defizite hin, auch bei so genannten hochbegabten Kindern. "Die seelische Entwicklung eines Kindes lässt sich am Reichtum und der Vielfalt seiner Fantasien ablesen."
Selbstschutzmechanismen
Für Karin Schneider Henn von der Deutschen Psychoanalytischen Gesellschaft steht die Qualität der Fantasie oft im unmittelbaren Zusammenhang mit den körperlichen Wohlbefinden eines Patienten. "Man hat festgestellt, dass bei Menschen mit psychosomatischen Erkrankungen operationales Denken vorherrscht. Das ist ein wirksamer Selbstschutz. Denn unwillkürliche Fantasien könnten das traumatische Erlebnis zu Bewusstsein bringen und dem Menschen weh tun. Der Körper braucht eine Spannungserlösung, und drückt die in einer Krankheit aus."

Die menschliche Psyche entwickelt Selbstschutzmechanismen. Je schmerzhafter ein Erlebnis, umso heftiger die Abwehr. Im Fall von traumatisierten Patienten vermuten die Neurobiologen und Psychiater physische Veränderungen im menschlichen Gehirn. Die Forschung, so Michael Ermann, steht hier aber noch ganz am Beginn.
Wichtig in der Trauma-Forschung
Auch in der Trauma-Forschung ist die Fantasie ein Schlüssel zum Erleben des Patienten. Michael Ermann: "Mit dem Einverständnis des Patienten können in der Therapie gezielt die Situationen aufgesucht werden, die den Patienten traumatisiert haben. In seiner Fantasie kann er die Fantasie neu verknüpfen und bewerten."

Die Therapie kann helfen, dass sie Patienten mit dem Trauma besser zurecht kommen. Auflösen, so meint die Kinderanalytikerin Gudrun Fuchs, kann die Therapie das Trauma nicht. Diese Arbeit am traumatischen Erlebnis ist aber eine doppelte Investition in die Zukunft. Denn in ihrer Praxis hat sie häufig erlebt, dass unbewusst die Erfahrungen der Eltern dem Kind mitgegeben werden.
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"Das Kind wird die panisch erschreckte Mutter erleben, selbst wenn diese dem Kind die Bilder nicht schicken will. Diese Schreckensbilder zerschneiden die Kommunikation - und sie werden vom Kind verinnerlicht, " so Fuchs.
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Patient-Therapeut: Dialog der Fantasien
Im Dialog der Fantasien entwickeln der Therapeut und der Patient eine Brücke zur Gegenwart. Hier kann der Patient im geschützten Traum sich der Erlebniswelt seiner Fantasie neu öffnen und sie mit konstruktiven Erfahrungen anreichern. Die Fantasien eines ausgeglichene Menschen können wiederum helfen, eine Kränkung selbst zu heilen. Ihre Methode ist die Wiederholung.

Karin Schneider Henn: "Ähnlich wie beim Erzählen einer Geschichte wird das Erlebnis in der Fantasieimmer wieder verändert und modifiziert. Im besten Fall führt das zu einer Lösung des Problems."


Margarethe Engelhardt
Salzburger Nachtstudio,
5. 9., Ö1
->   Österreich 1
 
 
 
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01.01.2010