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Arme Männer  
  Die amerikanische Journalistin Susan Faludi hat nach "Backlash" (1991) mit "Stiffed: The Betrayal of the American Men" ein Buch geschrieben, das den Männern und amerikanischen Männlichkeitsmythen gewidmet ist. "Stiffed" liegt nun unter dem Titel "Männer - das betrogene Geschlecht" in deutscher Übersetzung vor.  
Nutzen und Nützlichkeit

Ja, betrogen, verraten und verkauft sind sie, die amerikanischen Männer: Die nachindustrielle Gesellschaft mit ihrer Konsumkultur, in der nur das Image zählt, nicht die Leistung, lässt den Männern, so erklärt Faludi, keine Chance, sich als wertvolle Mitglieder der amerikanischen Gesellschaft zu fühlen.

Einer Gesellschaft im Übrigen, die es nicht mehr gibt. Männlichkeit und Nützlichkeit sind jedoch, das versucht Faludi auf 636 Seiten zu zeigen, traditionell aneinander gekoppelt.

Ein Stereotyp! will man einwenden, aber Faludi ficht das nicht an. Sie wiegelt ab: Ein Stereotyp vielleicht, aber eines, das den Männern des Nachkriegsamerikas eine positive männliche Identität vermittelte oder sie zumindest versprach.
Aus der Traum
Das Versprechen wurde aber nicht gehalten und jetzt ist alles aus: Die Rezession der 1980er-Jahre hat die Industriearbeit zerstört und mit ihr eine patriarchale Männlichkeit, der Faludi das Adjektiv "mütterlich" anheftet.

Faludi besichtigt in sieben Kapiteln die Ruinen amerikanischer Männerträume und gibt getreulich wider, was ihr die Männer auf ihrer sechsjährigen Reise durch die USA erzählten: Der Vater war nicht da/zuviel da, man hat mich nicht/zuviel beachtet, die Armee hatte keine Disziplin/zuviel Disziplin ...
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Unterschiedliche Konzepte von Männlichkeit
Ihre Suche führt im wilden Zick-Zack durch die amerikanische Nachkriegsgeschichte und die USA. Zur Westküste zum Beispiel, nach Kalifornien. Hier stehen die Reste der Werft- und Raumfahrtindustrie. Produktionsstätten zweier Männlichkeitskonzepte, die, so will es Faludi, unterschiedlicher nicht sein könnten.
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Werftarbeiter: Mütterlich um Reiher besorgt
Die Werft, erzählt sie, machte Männer, die ihre Männlichkeit an ihrer Leistung für das Team maßen; Männer, die solidarisch, kommunikativ und sozial waren. In der Firmenhierarchie stieg man auf, wenn man "ehrliche und gute Arbeit" leistete. Diese Männer waren noch fürsorglich und sind es bis heute.

So haben sie die jungen Reiher, die aus ihren Nestern gefallen waren immer wieder zurückgetragen. Oja. Diese "mütterliche" Männlichkeit ist ein Fels in der Brandung. Sie überlebt auch Privatisierung, Kündigung und Schließung unbeschadet.

Faludi hat auch gleich einen Beweis bei der Hand: Auch jetzt, nachdem die Werft bereits geschlossen ist, sorgt sich der Aufseher über die Ruinenlandschaft, seinen früheren Arbeitsplatz, noch um die Reiher. Das Gebäude, auf dem sie brüten, soll nämlich abgerissen werden.
Raumfahrttechniker: Ornamental männlich
Ganz anders hingegen die Männlichkeit in der Luft- und Raumfahrtindustrie. Die Firmenhierarchie beruhte auf der Vergabe von Titeln und Titelchen, hier wurde nicht Leistung belohnt, sondern ihre Darstellung.

McDonnell Douglas vergab inflationär Ingenieurtitel, silberne Anstecknadeln und Dekorationen aller Art und produzierte so eine, wie Faludi sie nennt, "ornamentale Männlichkeit".

Diese Männlichkeit ist dem Schein so sehr verfallen, wie die Frauen es in den Fünfzigerjahren waren. Das kann nicht gut gehen und ist es auch nicht. McDonnell Douglas ging pleite und mit ihm die "ornamentale Männlichkeit".

Zurückgeblieben sind Männer, die den Tag im eigens für sie eingerichteten Arbeitslosenzentrum verbringen und Zuhause erzählen, sie gingen ins Büro. Ihre Männlichkeit ist hinüber. Wie einer von ihnen Faludi klagt, fühlen sie sich "kastriert".
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Schuld: Die Medien, nicht die Mütter
Das ist aber im Grunde unerheblich, denn Faludis These ist ja, dass die Medien mit ihren "Kameras" die Männer objektivieren. Es ist dieser Objektstatus, an dem Männer leiden und den sie überwinden müssen. Es sind also diesmal nicht die Mütter, die an allem Schuld sind. Auch nicht die abwesenden Väter, nach denen Männer wie Sylvester Stallone sich ihr Leben lang sehnen. Wie die Frauen vor ihnen sind die Männer in der harten "Welt der Schönheitswettbewerbe" gelandet. Das ist schlimm. Von männlicher Rebellion aber keine Spur.
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Was tun?
Also zurück ins Patriarchat der Fünfziger? Oder in den Tierschutzverein? Faludi weist mehrmals darauf hin, dass sie nicht nur Journalistin ist, sondern auch Feministin. Würde sie es nicht sagen, man würde es nicht merken. Der analytische Blick gerät ihr im Verlauf ihrer Männlichkeitsrhapsodie jedenfalls abhanden.

Voller Verständnis leiht sie ihr Ohr Vietnamveteranen, Ex-Hippies, Ex-Coaches, Drag-Queens, enttäuschten Football-Fans, delirierenden Jugendlichen usw. usf. und hüllt das Gesagte in jene Psychologismen, die man aus amerikanischen Filmen kennt.
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Vietnam: Einstürzende Brücke
Auch die Metaphern, die Faludi findet, kommen einem seltsam bekannt vor. Über Vietnam schreibt sie: "Vietnam wurde zum alles bestimmenden Ereignis amerikanischer Männlichkeit, es war eine Brücke, die genau in dem Augenblick einstürzte, als die Söhne des Landes glaubten, sie zu überqueren und dadurch zu Männern zu werden."
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Home of the Brave ...
Die "verwaisten Söhne" (verwaist ist bei ihr gleichbedeutend mit vaterlos), die "eingestürzten Brücken", die "Abgründe", die zwischen Männern und Frauen sich auftun und die "großen Aufgaben", die ihrer Erfüllung harren, lassen Faludi nicht los.

Und so säuselt das Buch einem fulminanten Schluss entgegen: Den Männern ist nämlich eine einzigartige Chance beschieden, die Chance nämlich, "ein Neuland menschlicher Freiheit anzuerkennen und im Dienst der menschlichen Gemeinschaft zu handeln, die uns alle einschließt."

Aller analytischen Schwächen, miesen Metaphern und Verharmlosungen zum Trotz ist Faludis Buch außerordentlich interessant. Man kann sehr viel über Amerika lernen. Und wenn man dann das nächste Mal im Kino sitzt oder zum Beispiel "Independence Day" oder "Fight Club" guckt, dann weiß man, dass alles ernst gemeint ist.

Cathren Müller
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Das Buch "Männer - das betrogene Geschlecht" ist im Rowohlt Verlag erschienen, hat 636 Seiten und kostet 360 Schilling bzw. 25,51 Euro.
->   Das Buch bei Rowohlt
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01.01.2010