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Sozialwissenschaftler Paul Neurath gestorben  
  Paul Neurath, der in Wien geborene Soziologe, ist diese Woche knapp vor seinem 90. Geburtstag in New York gestorben. Er gilt als einer der wichtigsten Vertreter der modernen empirischen Sozial- und Kommunikationsforschung.  
Jus-Studium, Flucht vor den Nazis
Bild: APA
Neurath wurde am 12. September 1911 in Wien geboren. Er wuchs teilweise in Gallneukirchen in Oberösterreich, teilweise in Wien auf. Gemäß dem Wunsch des Vaters - des Philosophen und Angehörigen des "Wiener Kreises" Otto Neurath - studierte er Jus und promovierte am 21. Dezember 1937.

Wenige Monate später wurde er nach kurzer Flucht in Richtung tschechischer Grenze von den Nationalsozialisten verhaftet - vermutlich als "Sohn seines Vaters", der schon 1934 vor den Austrofaschisten nach Holland geflohen war.

Neurath, der auch Aktivist der sozialistischen Jugend war, wurde zunächst in das Konzentrationslager Dachau und anschließend nach Buchenwald deportiert.
Soziologie-Studium in New York
Im Zuge seiner Entlassung aus dem KZ im Jahr 1939 erhielt er ein Visum für Schweden, wo er sich als Dreher durchs Leben schlug. 1941 gelang Neurath die ersehnte Emigration nach New York, wo er an der Columbia-Universität sein eigentliches Wunschstudium Soziologie absolvierte. Einer seiner Lehrer war der bekannte Soziologe Paul Lazarsfeld, dessen Assistent er später wurde.
Lehraufenthalte in aller Welt
Von Anfang an interessierten Neurath Mathematik und Statistik. Rasch erhielt er Jobangebote als Assistent und Lehrer und trat Verpflichtungen an mehreren Institutionen an. 1946 kam er an das New Yorker Queens College, Fullbright-Stipendien und UNESCO-Programme führten ihn nach Indien, wo er etwa den Erfolg von landwirtschaftlichen Aufbauprogrammen dokumentierte.

Neurath war Professor für Soziologie und Statistik an der City University of New York und lehrte an den Universitäten New Delhi, Bombay und Köln.
Rückkehr nach Wien
Anfänglich private Besuche in seiner Heimatstadt - 1955 heiratete er eine längjährige Bekannte aus Wien - wurden rasch zu Studien- und Lehraufenthalten. Seit 1971 war Prof. Neurath regelmäßig als Honorar- bzw. Gastprofessor am Institut für Soziologie der Universität Wien tätig.

Ab 1980 stand er auch dem Paul F. Lazarsfeld-Archiv der Universität Wien vor, welches das Werk seines Lehrers auch in Wien umfassend zugänglich macht.
->   Mehr über Paul Lazarsfeld
->   Paul Lazarsfeldgesellschaft für Sozialforschung
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Neurath schrieb bis heute als Standardwerke geltende Lehrbücher, darunter "Statistik für Sozialwissenschafter" mit 475 Seiten.
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Beginn der modernen Rundfunkforschung
Mit Lazarsfeld, einem der Pioniere der empirischen Sozialforschung, verband Neurath eine lebenslange fruchtbare Zusammenarbeit. 1932 leitete Lazarsfeld die "Ravag-Studie", die den Beginn der modernen Rundfunkforschung markiert.

Das Manuskript der Massenbefragung zu den Gewohnheiten und Wünschen von Radiohörern galt nach dem Tod von Lazarsfeld als verschollen, ehe es 1988 - eher durch Zufall - von Paul Neurath wieder aufgefunden wurde. Erst 1996 ist sie erstmals in Druck erschienen.
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Die Ravag-Studie
1932 wurden 110.000 österreichische Radiohörer vom ORF-Vorgänger Ravag zum Radioprogramm befragt. Ziel dieser heute selbstverständlichen Studie war es, die Programmwünsche der Hörer zu ermitteln. Das Ergebnis glich jenen vieler moderner Befragungen: Weniger Kunst- und Literaturvorträge, dafür mehr heitere Literatur und aktuelle Vorträge mit möglichst spektakulärem Inhalt, lautete der Tenor.
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Rundfunkforschung in Wien entstanden
Für Neurath dokumentierte die Arbeit, dass die empirische Rundfunkforschung, die sich "später in Amerika entwickelt hat und als neue Erfindung ausposaunt wurde, in Wien entstanden ist".

Als Lazarsfeld in die USA kam, habe die Hörfunkforschung dort eher mit Kleingruppen von Probanden in einer Laboratoriums-Umgebung experimentiert. Erst unter dem Einfluss des Wiener Sozialforschers habe man zunehmend - vor allem aus kommerziellen Überlegungen - auf die Erhebung von Massendaten gesetzt.
Späte Ehrungen
Von der Stadt Wien wurde Neurath das goldene Ehrenzeichen verliehen, vom Bildungsministerium noch im März dieses Jahres das Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst.

Am 3. September 2001 starb Paul Neurath in New York.

(APA/red)
->   Sozialwissenschaftlerin Marie Jahoda gestorben
->   Columbia University
 
 
 
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01.01.2010