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Ängste als Überlebensfaktor?  
  Eine abwehrende Haltung gegenüber Schlangen, Spinnen und diversen Insekten ist nichts Seltenes. Doch diese tief sitzenden Ängste könnten eine von der Evolution vererbte Überlebensstrategie darstellen.  
Dies berichten Arne Ohmann und seine Kollegen vom Karolinska Institute and Hospital in Stockholm in der aktuellen Ausgabe des " Journal of Experimental Psychology".

Sie bestätigen mit ihren Ergebnissen eine vor zwei Jahren von Jenaer Wissenschaftlern durchgeführten Studie.
Unbewusstes Suchen nach Angst-Signalen
Schlangen, Spinnen oder Skorpione sind für nicht wenige Mitmenschen Auslöser starker emotionaler Reaktionen.

Doch laut den schwedischen Forschern nehmen sie solche Objekte der Angst in einer Anordnung von Bildern 'harmloser' Objekte bedeutend schneller wahr als Blumen oder Pilze in einem Spinnen- oder Schlangenmuster.
Erbe der Evolution?
Das unbewusste Suchen nach Angst-auslösenden Signalen aus unserer Umwelt ist offenbar ein Erbe der Evolution, das keinen anderen Zweck verfolgte, als unser Überleben zu sichern.

Arne Ohmann und seine Kollegen führten Studierenden Abbildungen vor, in denen die Versuchspersonen nach den Angst erzeugenden Tieren innerhalb eines harmlosen Hintergrundes aus Pilzen und Blumen suchen sollten.

Einer deklarierten Gruppe von Spinnen-Phobikern stand eine Kontrollgruppe "normaler" Menschen gegenüber.
Was ist eine Phobie?
Die Phobie (aus dem griechischen phobos = Furcht) bezeichnet eine unbegründete oder jedenfalls objektiv nicht gerechtfertigte Furcht vor bestimmten Situationen oder Objekten. Die bekanntesten Formen der Phobie sind die Agoraphobie (die Angst, über freie Plätze oder Straßen zu gehen), die Klaustrophobie (Angst vor Aufenthalt in geschlossenen Räumen) und die Tierphobie. Es gibt jedoch auch Menschen mit der krankhaften Angst, zu erröten (Erythrophobie) oder an Aids zu erkranken (Aids-Phobie). Eine körperlich bedingte Bereitschaft, mit Angst zu reagieren, kann ebenso zu den Ursachen einer Angsterkrankung gehören wie ein besonders belastendes Lebensereignis oder eine lang andauernde alltägliche Stresssituation. Die Symptome der oft exzessiven Angstreaktion reichen von Erregung, Panikgefühlen, Denk- und Wahrnehmungsstörungen bis zu Übelkeit, Zittern und Schweißausbrüchen.
->   Mehr zu Angst und affektiven Störungen
Phobiker schneller
Das Ergebnis: Die Angst schien den deklarierten Phobiker einen besonders scharfen Blick zu verleihen: Ihr 'gefürchtetes Objekt' sprang ihnen deutlich schneller ins Bewusstsein als ein anderes Furcht einflößendes Motiv - Schlangen, die sich ebenfalls auf dem Hintergrund befanden.
Bestätigung bisheriger Untersuchungen
Die Ergebnisse bestätigen die Vorstellung von Wahrnehmungsprozessen, die automatisch den sichtbaren Bereich nach bestimmten Signalen 'scannen'.

Bei einer ähnlichen Untersuchung von Psychologen der Universität Jena vor zwei Jahren wurden Patienten mit Hilfe der Konfrontationstherapie zudem sehr wirkungsvoll von Spinnenphobien befreit.
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Verhaltens- und Konfrontationstherapie gegen Phobien
Die bei Angststörungen bislang am häufigsten angewandte Methode ist die Verhaltenstherapie. Diese Methode hat zum Ziel, das Verhalten der Betroffenen so zu ändern, dass sie die angstauslösenden Situationen nicht mehr vermeiden. Durch therapeutisch begleitete Konfrontation mit der angstauslösenden Situation oder dem angstauslösenden Objekt sollen die Betroffenen erfahren, dass die befürchteten schlimmen Konsequenzen ausbleiben. Konkret kann das zum Beispiel so aussehen, dass Therapeut und Klient gemeinsam Fahrstuhl fahren oder in ein überfülltes Kaufhaus gehen. Schritt für Schritt lernt der Klient dann, sich diesen Situationen auch allein auszusetzen und kann so erfahren, dass ihm dabei nichts passiert.
->   Mehr zu Verhaltenstherapien
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Neurophysiologie der Angst
Aber den Jenaer Psychologen reicht es nicht aus, Patienten "lediglich" zu heilen. Wolfgang Miltner und seine Mitarbeiter wollten wissen, welche neurophysiologischen Vorgänge im Gehirn vor, während und nach der Behandlung ablaufen.
Schnelle neuronale Reaktion
Miltners Team zeigte Patienten deshalb in isolierten Räumen Dias, die neben "harmlosen" Objekten ab und zu auch eine Spinne enthielten.

"Die neuronale Reaktion auf diese Spinnenbilder war irrsinnig schnell", fanden die Psychologen heraus, "schon 100 Millisekunden nach der Reizdarbietung konnten wir erheblich gesteigerte hirnelektrische Aktivitäten messen."
Mittels EEG und Magnetresonanz
Dazu setzten sie EEG und funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT), ein modernes bildgebendes Verfahren, ein.

"Ein Spinnenphobiker ist deshalb in seinen Verhaltensmöglichkeiten beschränkt, weil das Spinnenbild, das über den so genannten Thalamus aufgenommen wird, sofort ein "Neuronengewitter" der Amygdala auslöst, noch bevor die Information das Großhirn erreicht", erklärt Miltner den 'Kurzschluss' im Kopf seiner Patienten.
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Magnetresonanztomographie
ist ein bildgebendes Verfahren, das den Kernspin der Atomkernteilchen nutzt. Mittels großer Magneten werden die Kernspine aller Wasserstoffatome in eine Ebene ausgerichtet. Ein Hochfrequenzsignal lässt die Atome in eine einheitliche Richtung umklappen. Anschließend wird das Magnetfeld so eingestellt, dass die Atome in ihre natürliche Position zurückfallen. Dabei senden sie die aufgenommene Energie in Form von Radiowellen aus. Je mehr Wasserstoffatome sich in einer Region befinden, desto größer ist die nun abgegebene und aufaddierte Radiowelle. Gemessen wird so die Dichte der im untersuchten Gewebe vorhandenen Wasserstoffatome. Die bildliche Darstellung der Messwerte erfolgt über Verrechnung der Daten in einem Computer und ermöglicht eine 2- oder 3D-Abbildung. Kernspintomographie ist frei von Nebenwirkungen. Sie wird vor allem zur Untersuchung von Nervensystem, Knochenmark, Blutgefäßen, Gelenken, Tumoren und Zysten eingesetzt.
->   Mehr zur Magnetresonanztomographie
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Angst-Flucht-Schema
Ist die Amygdala, ein relativ urtümliches, mandelförmiges Organ erst einmal aktiviert, läuft das typische Angst-Flucht-Schema ab, das Menschen und höher entwickelte Tiere seit Urzeiten durchs Leben begleitet - und dieses oft genug rettet.

Die Hormone Noradrenalin und Cortisol werden ausgeschüttet und versetzen den ganzen Körper in Alarmbereitschaft, der Puls wird schneller, die Muskeln spannen sich, Panik macht sich breit.
Archaische, evolutionäre Überbleibsel
Woher solche Tierphobien stammen, die sich in erster Linie gegen Spinnen, Schlangen, Ratten und andere Nager, aber auch gegen Katzen und Hunde richten, ist nicht bekannt.

Schließlich geht von den hierzulande heimischen Spinnen und Schlangen keine Bedrohung aus, und Phobien sind in Regionen mit giftigen Artvertretern keineswegs häufiger als in unseren Breiten.

Psychologen vermuten folglich, dass sie es mit einem archaischen Überbleibsel im menschlichen Gehirn zu tun haben; möglicherweise sicherte in grauer Vorzeit ein rasches Erkennen und Reagieren auf - damals vielleicht bedrohliche - Kleintiere höhere Überlebenschancen.

(red)
->   Die Studie im Detail
->   Karolinska Institute and Hospital in Stockholm
 
 
 
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01.01.2010