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WTC: Zusammenbruch wegen 'statischen Schneeballeffekts'  
  Ein "statischer Schneeballeffekt" hat die beiden Gebäude des World Trade Center (WTC) in New York am Dienstag so schnell nach dem Anschlag zusammenbrechen lassen. Laut Experten wäre es kaum möglich, bauliche Maßnahmen gegen solche Ereignisse umzusetzten.  
Der Zusammenbruch von Hochhäusern sei bei einem derart heftigen Eingriff in die Statik nicht zu verhindern, sagte der Baustatiker Hans-Georg Oltmanns.

"Solche außergewöhnlichen Einwirkungen sind nicht vorhersehbar. Sie wären zwar prinzipiell planbar, werden aber aus wirtschaftlichen Gründen nur bei Niedrigbauten mit hohen Sicherheitsstandards wie Atomkraftwerken realisiert, erklärt Univ. Prof. Andreas Kolbitsch vom 'Institut für Hochbau und Industriebau' an der TU Wien auf Anfrage von 'science.orf.at'.
Hochhäuser wie das World Trade Center sind laut Oltmanns mit einem Stahlbetonkern in der Mitte errichtet, der rund 50 Prozent der Fläche ausmache. Darum herum tragen Konstruktionen aus Stahlstützen die Deckenelemente aus Beton.
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Die Konstruktion des WTC
Geplant und gebaut wurde das World Trade Center zwischen 1966 und 1973 von einem Team um die Architekten M. Yamasaki und E. Roth. Der Gebäudekomplex bestand aus zwei Bürotürmen mit jeweils 110 Geschossen und vier acht- und zehngeschossigen Nebengebäuden, die sich um die beiden Türme gruppieren und einen Platz umschließen. In den 110 Obergeschossen befanden sich stützenfreie Büroräume mit jeweils 2900m² Nutzfläche. Die Erschließung jedes Turmes erfolgte über insgesamt 100 Personen- und vier Lastenaufzüge. Eine Lobby im Erdgeschoss und zwei 'Skylobbis' im 44. Und 78. Obergeschoss unterteilten den Turm in drei Verkehrszonen. Da in einem Schacht drei übereinanderliegende Lokalaufzüge fahren können, sind für die 104 Aufzüge nur 56 Schächte erforderlich. Die Entleerungszeit eines vollbesetzten Turms (Personenanzahl inkl. Besucher mit 55.000 angenommen) beträgt laut Planung im Alarmfall fünf Minuten.
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Decken stürzen auf Decken
Werden nun - etwa durch die Flugzeuge - viele Stahlstützen zerstört, stürzen die Decken herunter und belasten die darunter liegenden mit ihrem Gewicht. Normalerweise sind sie ausgelegt für eine Belastung von bis zu 300 Kilogramm pro Quadratmeter Fläche.
Schneeballeffekt
Sie wiegen aber selbst ungefähr eben so viel, sagte Oltmanns. Zusätzlich weiche das Feuer die Tragkraft des Stahls immer weiter auf. Bricht die erste Decke ein, ist es nur eine Frage der Zeit, bis die darunter liegende nachgibt.

Der Effekt beschleunigt sich zusehends. Hinzu komme die Schwächung des Kerns durch den Flugzeugeinschlag.
Stahlskelett von Hochhäusern
Stahlskelette machten erst Anfang des Jahrhunderts möglich, Wolkenkratzer zu bauen. In der Regel sind sie bis heute das Gerüst solch hoher Gebäude.

Lediglich neueste Hightech-Bauten sind aus hochfestem Beton gebaut, der bei Feuer als besser gilt. Ob er den heftigen Aufprall von Flugzeugen standhalten könnte ist fraglich.
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WTC - Technische Details
Die Konstruktion der beiden Türme wurde geprägt durch die Art der Windableitung. Auf jeder Außenseite werden 59 Hohlstützen (Achsenabstand 1,02 Meter) durch Verbindung mit horizontalen Riegeln in Höhe der Decken zu einer speziellen Trägerwand zusammengeschlossen. Durch schubfeste Verbindung in den Gebäudeecken bildete diese Tragkonstruktion in der Außenhaut zusammen mit den Geschossdecken ein sog. verwindungssteifes Quadratrohr, das im Fundament eingespannt ist und alle Windlasten ableitete. Die Geschossdecken spannten stützenfrei zwischen den Außenstützen und dem Kern, dessen 44 Hohlkastenstützen nur vertikale Lasten aufnahmen.
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Schutz nur gegen kleiner Flugzeuge
Einer der Architekten des WTC, der in Israel lebende Aaron Swirski, sagte der Tageszeitung "Jerusalem Post": "Als wir die Gebäude entwarfen, berechneten wir die Statik für viel kleinere Flugzeuge."
Abschottung der Etagen
Swirski betonte, dass es auf Grund der Bauweise für die Menschen in Stockwerken über der Einschlagstelle der beiden Flugzeuge "kein Entkommen gab".

Die Gebäude seien so entworfen worden, dass jede Etage im Falle einer solchen Katastrophe "praktisch voneinander abgeschottet" werde.
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Der Brandschutz im WTC
Der in das World Trade Center eingebaute Brandschutz der Stahlkonstruktion umfasste einen 3mm dicken speziellen Putz. Der Gebäudekern als brandsichere Zone ist mit Fluchttreppen und Hydranten für die aktive Brandbekämpfung ausgestattet. Das vorhandene Löschwasser in den Tanks mit je 18.500 Litern befand sich in den technischen Geschossen. Zusätzlich existierten im Kern jedes Turmes Steigleitungen. Allerdings war in dieser Planung keinerlei Szenario wie das jetztige eingeplant gewesen, wie schon der Bauingenieur Andreas Koblitsch erläuterte.
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Alptraum Evakuierung
Der Architekt berichtete weiter, die Büros seien "nicht mit einer Sprinkler-Anlage ausgestattet gewesen". "Die Evakuierung eines solchen Gebäudes ist wirklich ein Alptraum" sagte Swirski der Online-Ausgabe der "Jerusalem Post".
Hochhausboom wird nicht nachlassen
Bauliche Maßnahmen und Methoden, welche die
Katastrophe des Einsturzes des World Trade Center nach dem gezielten Flugzeugaufprall verhindern oder minimieren hätten können, gibt es nicht.

Darüber waren sich von der APA befragte Architekten und Bauexperten einig. Und Einigkeit herrscht auch darüber, dass der Schock und das Entsetzen über die noch nicht schätzbaren Zahlen der Opfer den ewigen Drang zum Turmbau und den Hochhausboom nicht bremsen werden.
'Keine Konstruktion schützt vor so einem Ereignis'
"Sich gegen so etwas zu schützen ist undenkbar" meint Architekt Wilhelm Holzbauer (und Andromeda-Tower Erbauer). "Egal, wie es gebaut ist, ein anderes Ergebnis ist völlig undenkbar."

Auch wenn etwa die in den letzten Jahren in Wien hochschießenden Wolkenkratzer im Stahlbetonbau errichtet wurden, während die US-Bauten im Stahlskelettbau durchgeführt werden, vor dem Zusammenbruch schützt nichts, wenn durch ein einbrechendes Flugzeug alle konstruktiven Elements zerstört werden.

Allenfalls die Art der Destruktion wäre verschieden, ("Beton würde unter der Wucht zerbröseln, bei Stahl war die Hitzeeinwirkung ein wichtiger Faktor" meint Holzbauer), ab Ergebnis ändere das nichts. "Ich habe, wie ich die Bilder im Fernsehen gesehen habe, nur mehr gewartet, dass es einstürzt".

(APA/red)
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Material von der TU Wien
Das Hintergrundmaterial und die technischen Details für den World Trade Center wurden 'science.orf.at' mit freundlicher Unterstützung von Univ. Prof. Andreas Kolbitsch vom Institut für Hochbau und Industriebau an der Technischen Universität Wien zur Verfügung gestellt. Quelle: Stahlbauatlas, 1974
->   Institut für Hochbau und Industriebau an der TU Wien
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->   Fakultät für Bauingenieurwesen an der TU Wien
->   Statik Online
->   Mechanik des starren Körpers: Statik
 
 
 
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01.01.2010