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Terror im TV: Ausnahmesituation oder Bilder-Krieg?  
  Millionen Menschen verfolgten den Einschlag des zweiten Flugzeugs in das World Trade Center live im Fernsehen: Absolute Ausnahmesituation oder weitere Episode einer Mediengesellschaft, die auch mit Bildern Krieg führt?  
Golfkrieg: Intelligente Bomben, saubere Bilder
Während des Golfkriegs vor zehn Jahren wurde die Welt Zeuge eines "klinisch reinen" Kriegs. "Intelligente Bomben" fielen auf Panzer, Militäranlagen und Lagerhallen im Irak. Wie in einem Videospiel wurden feindliche Objekte bei den Live-Übertragungen von CNN und Co einfach "ausgelöscht".

Dass es dabei dennoch Zehntausende Tote gab, aus echtem Fleisch und Blut, blieb zumeist außerhalb der Reichweite von Fernsehkameras und Kommentatoren. Der "Bilderkrieg" hatte seinen ersten Höhepunkt erreicht.
Virilio: Förderung zukünftiger Kriege
Der Medientheoretiker und -Kritiker Paul Virilio schrieb danach in einer Analyse von der Vorbildhaftigkeit der gezeigten Bilder: "Die Botschaft dieses Medienkrieges besteht weniger in der Information über die Realität der gegenwärtig stattfindenden Kämpfe als vielmehr in der Förderung der Möglichkeit zukünftiger Kriege."
NY-Live-Bilder: Einmalig schrecklich?
Bei den Anschlägen in New York wurde die internationale TV-Gemeinde nun mit Live-Bildern konfrontiert, die von einem Kriegsschauplatz stammen könnten. Die Reaktionen sind jedoch ungleich heftiger, als bei Berichterstattungen aus "echten" Kriegsgebieten.

Stephan Rudas, der Leiter des Wiener Instituts für psychosoziale Forschung, hält die Bilder für "einmalig". "Dieses Ereignis wurde in seiner Schrecklichkeit auch dadurch zu einer besonderen Situation, dass es einen Live-Einstieg in die Katastrophe gab", meinte er in einem Gespräch mit der APA.

Als das zweite Flugzeug in den Südturm des World Trade Center einschlug, waren bereits Millionen Menschen live dabei: "Das ist eine absolute Ausnahmesituation, die die Unfassbarkeit, Aussichtslosigkeit und Irritation potenziert. Das ist ungeheuer und einmalig in seiner Schrecklichkeit und stellt eine neue Situation für Medien und Fernsehzuschauer dar", sagte Rudas.
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Kinder und Jugendliche tief betroffen
Wie ORF ON Salzburg berichtet, haben besonders Kinder und Jugendliche mit Entsetzen auf die Terrorbilder im Fernsehen reagiert. Die brennenden, einstürzenden Häusern und die schreienden, verletzten Menschen haben sie oft tief betroffen.
->   Kinder und Jugendliche tief betroffen
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Realität oder Horrorfilm?
Dadurch, dass es einerseits Wirklichkeit war, andererseits aber gestellten Filmaufnahmen so ähnlich, habe das Ereignis "die Grenzen zwischen Realität und Horrorfilm völlig verwischt und war aber schrecklichste Realität", so Rudas.

Die Tatsache, dass der Anschlag "tausendfache tödliche Realität" ist, sei fürs Erste nicht verarbeitbar: "Mit jeder Wiederholung hat es sich tiefer in die Zuschauer eingekerbt, ohne dass es eine Erklärung dafür gegeben hätte, wieso so etwas überhaupt geschehen kann. Das Unglaubliche wurde durch die Wiederholungen nicht weniger unglaublich, aber jeder hat gewusst, es gibt kein Happy End."
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Anschläge nach Drehbuch-Vorlage
Die Grenzen zwischen Realität und Hollywood-Plot verschwimmen tatsächlich. Im Pilotfilm eines "Akte X"-Ablegers " gab es den Plan, ein Flugzeug in das WTC rasen zu lassen, um internationale Verstimmungen auszulösen und so die Nachfrage nach Waffen anzukurbeln.
->   Der Terrorakt folgte Hollywood-Plot
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Kein Generalrezept, Reden wichtig
Ein "Generalrezept", um das Erlebte zu verarbeiten, gebe es für den Einzelnen nicht: "Dazu sind Menschen zu unterschiedlich. Jeder muss seinen persönlichen Ausweg in dieser Situation erarbeiten. Für die Medien und vor allem für die Politik stellt sich die enorme Aufgabe, angemessene, kontrollierte und besonnene Verarbeitungen zu transportieren."

Am wichtigsten sei es jetzt auch für jene Menschen, die auf dem Bildschirm Zeugen der Ereignisse wurden, das Gespräch zu suchen: "Es führt kein Weg daran vorbei, darüber zu sprechen, auch über die Ängste, über die Fassungslosigkeit", so Rudas.
Krieg im "Frieden"
Eine der Wirkungen des Attentats auf die Bevölkerung rund um den Erdball rührt auch daher, dass es - nach Ansicht von Rudas - in Friedenszeiten erfolgte.

"Die Menschen haben sich Jahre lang darauf verlassen, dass so etwas nur im Krieg und nur im Kriegsgebiet geschieht - und jetzt ist dieses Sich-verlassen-können weg."
->   Linkliste zu Paul Virilio
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01.01.2010