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Schizophrenie sichtbar gemacht  
  Schizophrenie gilt als schwere psychische Erkrankung, von der weltweit ein Prozent der Menschen betroffen ist. Noch immer ringen die Forscher nach einem Verständnis der Krankheit, das dauerhafte und wirksame Behandlungen ermöglicht. Nun wurden erstmals die im Gehirn schon bei Jugendlichen auftretenden Schäden durch Schizophrenie sichtbar gemacht. Neurologen erhoffen sich dadurch einen Zugang zu effizienteren Heilungsmethoden.  
Gehirnforscher der University of California in Los Angeles (UCLA) produzierten mit einer neuen Analysetechnik die ersten Bilder, die den zerstörerischen Einfluss von Schizophrenie auf verschiedene Areale des Gehirns darstellen.

Das berichtet die aktuelle Ausgabe (25. Sept.) der "Proceedings of the National Academy of Sciences".
"Dynamische Welle"
Die Bilder zeigen, wie eine "dynamische Welle" an Gewebezerstörung das Gehirn jugendlicher Schizophrenie-Patienten in Mitleidenschaft zieht.

Den neuen Ergebnissen kommt laut den Neurologen eine entscheidende Bedeutung in der Entwicklung neuer Behandlungsmethoden gegen schwere Psychosen wie Schizophrenie zu.
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Psychosen
Sammelbegriff für schwere psychische Erkrankungen, bei denen es zu gravierenden Störungen im Bezug zur Umwelt kommt. Oft fehlt dem Betroffenen die Einsicht in seinen krankhaften Zustand. Zu den Symptomen zählen Wahnvorstellungen, Halluzinationen, Ich-Störungen, Angstzustände, Depression und Manie.

Zu den Psychosen zählt man als die "endogenen" Psychosen die Schizophrenie und die manisch-depressive Erkrankung sowie "exogene" Psychosen, die durch organische Hirnschäden wie Tumore, Stoffwechselstörungen, Vergiftungen, Drogen und Alkoholmissbrauch hervorgerufen werden. Weiters gibt es noch reaktive Psychosen, die von traumatischen äußeren Ereignissen ausgelöst werden.
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Frühere Behandlung möglich?
Durch das neue Verständnis von Psychosen ist es den Forschern möglich, einen abnormalen Verlust an Gehirngewebe sehr früh zu diagnostizieren.

Damit ergibt sich auch die Möglichkeit, Patienten in früheren Krankheitsstadien zu behandeln.
"Wie ein Buschfeuer im Gehirn"
"Das ist die erste Studie, die sichtbar macht, wie sich Schizophrenie im Gehirn entwickelt", erklärt der Leiter der Studie Paul Thompson, Neurologe am " Laboratory of Neuroimaging" der UCLA.

"Wissenschaftler konnten bisher nicht detailliert verstehen, wie Schizophrenie als Krankheit fortschreitet und ob das mit physischen Veränderungen im Gehirn einhergeht. Wir waren erstaunt darüber, wie sich die Krankheit als massiver Gewebeverlust wellenförmig aus einer kleinen Gehirnregion wie ein Buschfeuer über das ganze Gehirn ausbreitete", so Thompson.
->   Laboratory of Neuroimaging
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Schizophrenie
Oberbegriff für verschiedene Formen einer schweren psychischen Erkrankung, die mit Veränderungen des Denkens, Fühlens und Verhaltens des Betroffenen einhergeht. Ein Hauptmerkmal dieser Störung ist ein tief greifender Realitätsverlust. Die Gedanken und Gefühle des Schizophrenen weisen zeitweise keinen logischen Zusammenhang auf.

Durch eine übersteigerte Wahrnehmungsfähigkeit können sich Wahnvorstellungen und Sinnestäuschungen (Halluzinationen) entwickeln. Die Schizophrenie ist die häufigste Form der Psychose und tritt weltweit bei einem Prozent der Bevölkerung auf. Die Ursachen der Schizophrenie sind bisher nicht hinreichend geklärt.
->   Mehr zu Schizophrenie
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Abgelichtete Schizophrenie in Entwicklung
Die Wissenschaftler der UCLA untersuchten mit Hilfe von Magnetresonanzverfahren (MRI) über fünf Jahre eine Gruppe von Teenagern, als diese Schizophrenie entwickelten. Mittels einer neuen Bildanalysetechnologie, die in der Lage ist, bereits kleinste Veränderungen in Gehirnstrukturen nachzuweisen, entdeckten die Forscher einen Gewebeverlust von zehn Prozent zuerst in den äußeren Gehirnregionen.

Dieser massive Verlust an "grauen Zellen" breitete sich in den nächsten fünf Jahren wellenförmig über das gesamte Gehirn aus.
Schwere Gewebeverluste, massive Symptome
Die Untersuchungen zeigen auch, dass die Patienten mit den schwersten Gewebeverlusten im Gehirn auch die massivsten psychotischen Symptome - wie Halluzinationen, Wahnvorstellungen, Stimmenhören und Depressionen - aufwiesen.

Obwohl ihre Ursachen bisher ungeklärt sind, trifft Schizophrenie Teenager und Jugendliche meist völlig "unvorbereitet".
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Magnetresonanztomographie
... nutzt die Eigenrotation und den Kernspin der Atomkernteilchen. Mittels Magneten werden die ausgerichteten Kernspine aller Wasserstoffatome (H) in eine Ebene ausgerichtet. Ein Hochfrequenzsignal lässt die Atome dann in eine einheitliche Richtung umklappen. Anschließend wird das Magnetfeld so eingestellt, dass die Atome in ihre natürliche Position zurückfallen.

Dabei senden sie Energie in Form von Radiowellen aus. Je mehr H-Atome sich in einer Region befinden, desto größer ist die Radiowelle. Gemessen wird so die Dichte der im untersuchten Gewebe vorhandenen H-Atome. Kernspintomographie ermöglicht Erkenntnisse über Gewebe, die viele Wasserstoffatome enthalten, und wird deshalb zur Untersuchung von Nervensystem, Knochenmark, Blutgefäßen, Gelenken, Tumoren und Zysten eingesetzt.
->   Mehr über Magnetic Resonance Imaging
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Auffällige Ausbreitung der Zerstörung
Die Neurologen stellten einen kleinen Verlust an Gehirngewebe auch bei gesunden Jugendlichen fest. Zwischen dem 13. und dem 18. Lebensjahr verloren die Teenager ein Prozent ihrer Gehirnmasse vor allem in den parietalen (seitlichen) Regionen des Gehirns.

Wie bei den Gesunden begann auch bei den unter Schizophrenie leidenden Jugendlichen der Verlust des Gehirngewebes in diesen Gehirnregionen. Doch bei den kranken Teenagern fiel den Forschern die rasante, wellenartige Ausbreitung der Gehirnzerstörung in sensorische und motorische Areale auf.

Die frontale Augenregion war am stärksten von dem rasanten Gewebeverlust - mit ca. fünf Prozent pro Jahr - betroffen. Diese Regionen kontrollieren die Bewegungen der Augen, die bei schizophrenen Patienten oft gestört sind.
Ausdehnung auf Verwandte
Die Neurologen der UCLA wollen mit ihrer neuen Methode nun auch die Verwandten von Schizophrenen nach vorzeitigen Gehirnschäden untersuchen.

Der Grund liegt in dem relativ häufigen Auftreten von Schizophrenie-Fällen bei Familienmitgliedern. Über die Rolle der Gene herrschen innerhalb der Psychologen- und Neurologen-Community noch völlig unterschiedliche Positionen.

Obwohl die genauen Ursachen für Schizophrenie bisher nicht bekannt sind, gehen etliche Forscher davon aus, dass
nicht genetische Faktoren die Krankheit bei einigen Jugendlichen auslösen, bei anderen aber nicht.
->   Schizophrenie-Geschichten in science.orf.at
->   Proceedings of the National Academy of Sciences (kostenpflichtig)
->   Leitlinienorientierte Patienteninformationen
zum Thema "Schizophrenie"
 
 
 
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01.01.2010