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Lawine: Überlebenskünstler Mensch  
  Wer von einer Lawine verschüttet wird und eine Atemhöhle hat, dessen Körper fährt ein einzigartiges Notlaufprogramm, so eine neue Studie einer Medizinergruppe um den Südtiroler Lawinenexperten Hermann Brugger.  
Der Körper reagiert in einer solchen Situation wie in sonst keiner anderen Extremsituation und fährt auf Minimalbetrieb, um die winzige Überlebenschance optimal zu nutzen - ein Regulationsmechanismus, der im Laufe der Evolution von wechselwarmen Tieren entwickelt wurde und als genetisches Erbe auch beim Menschen noch als Reflex vorhanden ist.
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Entscheidung über Leben und Tod
Bedroht von Sauerstoffmangel, Unterkühlung und Anreicherung von giftigem Kohlendioxid kommt es zu einer Ja-Nein-Entscheidung des Organismus. Entweder der Verschüttete stirbt, oder er überlebt ohne Folgeschäden. Das ist das wirklich Überraschende.
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Das Gift wirkt die Wunder
Möglich macht das ein Stoff, der sonst giftig wirkt: das Kohlendioxid, das durch das Ausatmen frei wird. In anderen Notsituationen führt der Anstieg von Kohlendioxid zum Erstickungstod. Das war auch die bisherige Lehrmeinung basierend auf amerikanischen Studien.
Doch mit diesem Modell konnte bislang das Überleben von extrem lang Verschütteten nicht erklärt werden. So wurde beispielsweise am 24.1. 2000 ein Snowboarder im Bregenzer Wald geborgen, der 20 Stunden verschüttet war. Er überlebte ohne gesundheitliche Schäden.
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Steuermann Kohlendioxid
Erst durch eine aufwändige Untersuchung im Jahr 2000 konnte das Rätsel der extrem lang Verschütteten gelöst werden. Es ist das Kohlendioxid, das Menschen, die in eine Lawine gerieten, das Leben rettet. Es wirkt in zwei Richtungen. Erstens gegen den Sauerstoffmangel. Das ansteigende Kohlendioxid sorgt dafür, daß der Körper mit dem Sauerstoff sparsamer umgeht. Die lebenswichtigen Sauerstoffmoleküle werden hierbei ohne Umwege in lebenswichtige Regionen transportiert, vor allem zum Herzen.
->   Bruneck 2000: Zusammenfassung der Studie
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Überlebensfaktor Bewußtlosigkeit
Wie in anderen Situationen wie z.B. bei Gasunfällen führt das giftige Kohlendioxid auch in der Verschüttung zu Bewusstlosigkeit. Bei einem Lawinenunglück reagiert deshalb der Körper auch nicht mehr mit Kältezittern auf die Unterkühlung. So wird Energie gespart - und das ist bei akuter Sauerstoffnot lebensrettend.
Denn die Unterkühlung an sich ist zunächst kein lebensgefährdendes Problem. Es ist schon vorgekommen, dass Lawinenopfer mit einer Körpertemperatur von nur 19 Grad geborgen wurden. Also weit unter der kritischen Grenze von 32 Grad. Die Wiedererwärmung ist inzwischen mit modernen notfallmedizinischen Methoden absolut machbar.
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Wie die Erkenntnisse gewonnen wurden
Im April 2000 wurde auf einer Tiroler Alm ein improvisiertes Freiluftlabor aufgebaut. In eine Schneewand wurden künstliche Hohlräume gebohrt. So konnte die Atmungssituation einer Verschüttung simuliert werden. Gleichzeitig konnten die Testpersonen uneingeschränkt beobachtet werden. Bei Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt und bei Schneefall wurden Tests durchgeführt. Dies mit Atemhöhlen, die ein bzw. zwei Liter umfassen. Ein Volumen also, das allein dadurch entsteht, wenn man die Hände vor das Gesicht hält.
->   Internationales Komitee für Alpine Notfallmedizin
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Erkenntnisse, die lebensrettend sein können
Die neuen Erkenntnisse dienen vor allem der Notfallmedizin. Zudem wird derzeit überprüft, welche Rettungsgeräte dafür sorgen können, dass eine solche lebensrettende Atemhöhle entsteht. Zum Beispiel Ballons, ähnlich den Airbags im Auto, die sich vor Gesicht und Oberkörper aufblasen.
Beste Überlebenschance ist: keine Verschüttung
Trotz der überraschenden, positiven Erkenntnisse warnt der Lawinenexperte Dr. Hermann Brugger vor Euphorie und Leichtfertigkeit: Lawinenunfälle sind und bleiben lebensgefährlich.
Statistische Überlebenswahrscheinlichkeiten
Knapp die Hälfte aller Lawinenunfälle enden mit einer Verschüttung des ganzen Körpers. In diesen Fällen konnten 54 Prozent der Opfer nur mehr tot geborgen werden. Nach 35 Minuten überleben nur mehr jene, die eine Atemhöhle haben. Abhängig von deren Größe und der Schneedichte ist ein Überleben bis ca. 120 Minuten möglich.
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->   Mehr dazu bei Modern Times: "Überleben in der Lawine"
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->   avalanche emergency
->   Info-point mountain medicine
->   Tips für alle, die auf Tour gehen
 
 
 
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01.01.2010