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Informelles Lernen - Lernen um zu überleben  
  Wir tun es ständig, wir sind uns dessen meist nur nicht bewusst Lernen wird meist mit Schule, mit Auswendiglernen und Prüfungen assoziiert. Bildungsexperten sprechen mittlerweile von erweitertem Lernen, von informellem und von ad-hoc Lernen. Lernen sei eine natürliche Lebensfunktion und als solche könne man sie professionalisieren. Mit Lernservice-Zentren, Lerncafés, Bildungsparks, Wissenschaftsläden oder "Bildungshostessen".  
In Wien findet derzeit (27./28.September) die "Zukunftskonferenz" über neue Lernorte statt, veranstaltet von den Büchereien Wien und der Volkshochschule Donaustadt.
Der Bildungsexperte Günther Dohmen hielt vor Erwachsenenbildnern einen - für österreichische Verhältnisse -provokanten Vortrag.
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Ad personam
Günther Dohmen ist wissenschaftlicher Berater des deutschen Bundesministeriums für Bildung und Forschung des Europarates, der EU, der OECD, und weiteren europäischen Organisationen. Dohmen ist auch Gründungsdirektor des deutschen Instituts für Fernstudien und des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung und mittlerweile emeritierter Professor am Institut für Erziehungswissenschaft an der Universität Tübingen.
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"Informelles" statt "lebenslanges" Lernen
"Lebenslanges Lernen" haben sich die EU-Bildungsminister auf ihre Fahnen geschrieben. Doch in den Staaten der EU und der OECD nimmt nur etwa die Hälfte der Erwachsenen Weiterbildungsangebote an, sagt der Tübinger Bildungsexperte Günther Dohmen.

Ob Sprachkurse, Computerschulungen oder Vorträge - die Erfahrung zeigt, wer schon einmal solche Kurse besucht hat, macht es immer wieder. Die andere Hälfte der Erwachsenen bildet sich nicht mehr fort. Jedenfalls nicht bewusst und in den gelenkten Bahnen von Volkshochschulen und Erwachsenenbildung. Diesen Menschen will der Bildungsexperte Dohmen Bildung schmackhaft machen.
Problemorientiertes Lernen
Dohmen spricht vom informellen Lernen. Es sei zufällig und auf den persönlichen Horizont beschränkt, aber es sei effektiv. Es geschieht aus Neugier oder Notwendigkeit ¿ nämlich dann wenn wir uns "schlau machen" über etwas.
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Ein Beispiel
Dohmen erzählt ein Beispiel aus seiner Jugend: Während des NS-Regimes war er beim Arbeitsdienst. Als der Leiter eines kleinen Lazaretts krank wurde, musste er einspringen - ohne medizinische Vorkenntnisse. Also las er unzählige Fachbücher und holte sich bei seinem Vater (einem Arzt) Rat. "Ich habe in wenigen Wochen mehr über Medizin gelernt als in manchen Semestern Medizinstudium."
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"Bildungshostessen"...
Dieses informelle Lernen, das sich aus Problemen und Situationen heraus ergibt, das könne professionalisiert werden, sagt Dohmen.

Etwa in Lernservice-Zentren die aus herkömmlichen Bibliotheken entstehen, Gebrauchsinformationen und Internet-Terminals bieten und wo "Bildungshostessen" zum Nachschlagen, Fragen und Recherchieren anregen.
->   Dohmen über informelles Lernen und seine Unterstützung durch kulturelle Initiativen und Bildungszentren:
...und Wissenschaftsläden
Einen "Wissenschaftsladen" gibt es zum Beispiel in Tübingen. Wer eine wissenschaftliche Frage hat, kann sie dort den Studenten stellen. Diese kontaktieren dann Professoren, die, die Frage zu beantworten versuchen. Das Netz an Wissenschaftern immer weiter zu spinnen, scheitere leider manchmal an der Bereitschaft der Professoren.
Akzentverschiebung
Dohmen plädiert nicht für ein ausschließlich anlass- und problemorientiertes Lernen oder die Abschaffung des institutionalisierten Lernens, sondern für eine Mischung aus beidem: für eine "Akzentverschiebung".

Bei einer aktuellen Befragung unter 500 Bildungsexperten in Deutschland meinte die Mehrzahl, dass normiertes Wissen zunehmend unwichtiger werde im Vergleich zu problemorientierten Wissen, sagt Günther Dohmen.
Neuland für Österreich
Was für Österreich revolutionär klingt, ist im angelsächsischen Raum, in Skandinavien und auch Frankreich längst Gang und Gäbe. Warum das so ist, sei vielen Bildungsexperten ein Rätsel, sagt Dohmen.
Kompetenzen prüfen statt abfragen
In Schulzeit oder Studium wird meist nur das gelernt, was geprüft wird und das ist punktuelles, auswendig gelerntes Wissen. Kann man informelles Lernen überhaupt prüfen, wenn nicht, wie kann es anerkannt werden, so wie es Dohmen fordert?

Mit "Kompetenzprüfungen" - diese würde nicht danach fragen, was jemand gelernt habe, sondern was er könne. Für nachweisbare Kompetenzen würde dasselbe Zeugnis ausgestellt, wie für einen absolvierten Lehrgang.

In England stehe zum Beispiel in manchen Zeugnissen gar nicht, ob die Beurteilung auf einen Kursbesuch oder eine Kompetenzprüfung zurückgehe. "Was er kann ist wichtig, nicht wie er es gelernt hat."
Englisch lernen ohne Kurs
Dohmen zum Beispiel spricht Englisch, hat es aber nie gelernt. Heute hält er Vorträge auf Englisch, ohne die Regeln der Grammatik jemals bewusst gelernt zu haben.

Das "Wie" ist egal, das Ergebnis zählt. Für das heimische Bildungssystem eine provokante Forderung.

Barbara Daser, Ö1-Wissenschaftsredaktion
Erwachsenenbildung in Österreich
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->   Abteilung für Erwachsenenbildung der Universität Graz
Lesn Sie dazu auch in science.orf.at:
->   Werner Lenz: Weiterbildung in Not
 
 
 
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01.01.2010