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Verborgene Lebewesen des Meerwassers  
  Schwimmen wir im Meer, sind wir umgeben von Tausenden einzelliger Tiere und Pflanzen. Mit bloßem Auge sind sie nicht zu erkennen. In der Nahrungskette, aber auch für die Biodiversität sind sie ein wichtiger Faktor. Ein Forschungsprojekt im Rahmen des Hertha-Firnberg-Programms befasst sich nun mit der Beschreibung und Ökologie von Wimpertieren im Plankton.  
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Hertha-Firnberg-Stellen 2001
Am 1. Oktober wurden von Bildungsministerin Elisabeth Gehrer die diesjährigen Stellen im Rahmen des Hertha-Firnberg-Programms verliehen. Neun Frauen beginnen damit ein dreijähriges Forschungsprojekt. Mit diesen Stellen sollen Frauen am Beginn ihrer akademischen Karriere größtmögliche Unterstützung erfahren. In Kooperation mit dem Wissenschaftschaftsfonds (FWF) stellt science.orf.at in lockerer Folge Forschungsprojekte der Firnberg-Stipendiatinnen in Originalbeiträgen vor. Am Beginn der Serie steht ein Beitrag von Dr. Sabine Agatha, Institut für Zoologie der Universität Salzburg.
->   Mehr über die Hertha-Firnberg-Stellen
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Gastbeitrag der Firnberg-Stipendiatin Sabine Agatha
Die verborgenen Lebewesen des Meerwasser werden sichtbar, wenn Massenentwicklungen mit bis zu 12 Millionen Zellen pro Liter zu einer deutlichen Verfärbung des Wassers führen. Ein bedeutender Teil dieser im Wasser treibenden Organismen (Plankton) gehört zur Gruppe der Wimpertiere (Ciliaten).
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Planktonciliat Strombidium sp. im Rasterelektronenmikroskop
Wimpertiere
Sie sind nicht nur wegen ihrer großen Anzahl im Plankton bedeutend, sondern auch weil sie eine wichtige Rolle im marinen Nahrungsgewebe spielen. So nehmen die Wimpertiere meist kleinere Planktonorganismen (pflanzliche Einzeller, Bakterien) auf und werden selbst von z.B. kleinen Krebschen gefressen. Diese kleinen Mehrzeller sind wiederum Nahrung für Fische, die einen bedeutenden Beitrag zu unserer Ernährung liefern.
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Biodiversität erfassen
Auf der UN-Tagung 1992 in Rio de Janeiro verpflichteten sich 170 Nationen, darunter Österreich, die Forschung über die Vielfalt tierischer und pflanzlicher Organismen (Biodiversität) auf der Erde voranzutreiben.
Wissenslücken
Große Wissenslücken bestehen jedoch immer noch bezüglich einzelliger Organismen. Durch ihre niedrige Stellung in den Nahrungsnetzen basieren zahlreiche höhere Nahrungsebenen (oft auch die unsere) auf dem Wohlergehen dieser Organismengruppe.

Bislang liegen jedoch nur Schätzungen über die Anzahl planktischer Wimpertierarten (rund 2.000) vor. So vielfältig wie das Artenspektrum sind vermutlich auch ihre Lebensansprüche, die ebenfalls weitgehend unerforscht sind.
Untersuchungen in Küstengewässern
Die geplanten Untersuchungen in den europäischen Küstengewässern (deutsche Nordseeküste, zentrale Nordsee, Irische See, Adria, italienische Mittelmeerküste) sollen weitere Erkenntnisse über die Artenvielfalt, geographische Verbreitung und die Lebensansprüche der planktischen Wimpertiere liefern.
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Universität Salzburg: Hotspot der Wimpertierforschung
Das Institut für Zoologie der Universität Salzburg stellt weltweit eine Hochburg für die Untersuchung und Beschreibung von Ciliatenarten dar, ist doch der Leiter der Protozoologischen Arbeitsgruppe, Prof. Dr. Wilhelm Foissner, mit etwa 450 Veröffentlichungen führend auf diesem Gebiet. Zur Kenntnis antarktischer Wimpertierarten und beschalter Amöben trägt entscheidend Dr. Wolfgang Petz bei. Die Hertha-Firnberg-Stipendiatin selbst, Dr. Sabine Agatha, beschäftigt sich seit mehr als zehn Jahren mit der Ökologie und Beschreibung von Wimpertierarten. Die dabei untersuchten Lebensräume erstrecken sich von den solegefüllten Kanälchen des arktischen und antarktischen Meereises über terrestrische Lebensräume in Namibia bis hin zum Plankton der deutschen und niederländischen Nordseeküste.
->   Institut für Zoologie
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Färbetechniken und molekulare Methoden

Gehäuse des Planktonciliaten Tintinnopsis cylindrica im Rasterelektronenmikroskop
Die meisten Beschreibungen planktischer Wimpertiere sind mehr als achtzig Jahre alt und basieren auf Lebendbeobachtungen oder Untersuchungen konservierten Materials. Anhand der dabei sichtbaren Merkmale lassen sich die oft ähnlichen Arten jedoch nur schwer unterscheiden; insbesondere bei den gehäusebauenden Tintinnen haben kleinste Unterschiede in der Gehäuseform und -größe zur Errichtung neuer Arten geführt.
Mikroskopie

Das räuberische Wimperntier Didinium sp. im Rasterelektronenmikroskop
Heutzutage sind neben besseren Lichtmikroskopen auch Rasterelektronenmikroskope und verschiedene Verfahren zur Färbung des artspezifischen Wimpermusters verfügbar; darüber hinaus wird versucht, durch modernste Gensequenzanalysen weitere Unterschiede zwischen Arten und Populationen aufzudecken.
Viele noch unbekannte Arten
Voruntersuchungen zeigten, dass auch viele bislang unbekannte Wimpertierarten im Plankton europäischer Küstengewässer vorkommen. Im Rahmen des Projektes sollen nun die neuen, aber auch die wenig bekannten Spezies auf höchstem wissenschaftlichen Niveau beschrieben werden, d.h. unter Anwendung von (i) Lebendbeobachtungen mittels hochauflösender Lichtmikroskopie; (ii) verschiedener Färbeverfahren; (iii) Rasterelektronenmikroskopie sowie (iv) zeichnerischer und fotografischer Dokumentation.
Wimpertiere
Obgleich Wimpertiere mit einer Größe von oft nur 0,03-0,3 mm winzig sind, so sind sie doch hochentwickelt und in der Lage eine Vielzahl von feuchten Lebensräume, z.B. Böden, Moose, sowie Süß- und Meerwasser, zu besiedeln. Der prominenteste Vertreter ist wohl das Pantoffeltierchen, das fast jedem aus dem Biologieunterricht gut bekannt ist.
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Wimpern und verschiedene Zellkerne
Die Wimpertiere zeichnen sich nicht nur durch die namensgebenden Wimpern, sondern auch durch den Besitz zweier verschiedener Zellkerne (ein oder mehrere Groß- und Kleinkerne) aus. Die Wimpern (Cilien) sind in artspezifischen Mustern angeordnet und können borstenartige oder fächerartige Strukturen bilden. Meist dienen sie nicht nur der Fortbewegung (Schwimmen, Laufen), sondern auch dem Heranstrudeln und Filtrieren von Nahrungspartikeln. Räuberische Arten erlegen ihre Nahrung mittels harpunenartigen Ausschleuderorganellen oder besitzen Hafttentakel und saugen die daran klebende Beute aus. Vor allem planktische Arten sind oft in der Lage, die photosynthetischen Organellen (Plastiden) einzelliger, pflanzlicher Nahrungsorganismen unverdaut, weiterzukultivieren, um sich so eine zusätzliche Energiequelle zu erschließen. Ein weitverbreitetes, rotes Wimpertierchen lebt vermutlich sogar nur von den Produkten seiner pflanzlichen Symbionten.
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Freibewegliche und sesshafte Arten
Neben freibeweglichen Arten existieren auch viele, die einen Großteil ihres Lebens festsitzend verbringen. Verschlechtern sich die Lebensbedingungen dramatisch, bilden die meisten Spezies Überdauerungsstadien, in denen sie mehrere Jahren verharren können. Die Wimpertiere verfügen sowohl über asexuelle Vermehrung (Querteilung) als auch über sexuelle Prozesse. Bei letzteren verschmelzen die Zellen lokal miteinander, tauschen genetisches Material aus und trennen sich schließlich wieder.
Ergebnisse für jeden zugänglich
Die Ergebnisse dieses Forschungsprojektes sollen nicht nur in schwerzugänglichen und schwerverständlichen wissenschaftlichen Fachzeitschriften veröffentlicht werden, sondern sollen auch auszugsweise über das "European Register of Marine Species" und als illustrierte, benutzerfreundliche "Karteikarten" jedem Internet-Benutzer zur Verfügung stehen.
->   The Journal of Eukaryotic Microbiology
->   European Register of Marine Species
->   Planktonic Ciliate Project Online
Internationale Kooperationen
Die Beprobung erfolgt in Zusammenarbeit mit den ortsansässigen Instituten (Niedersächsischen Landesamt für Ökologie, Biologischen Anstalt Helgoland, Universität Liverpool, Universität Triest, Zoologischen Station Alfred Dohrn).

Die meisten dieser Institute führen routinemäßige Analyse der küstennahen Gewässer durch, so dass umfangreiche ökologische Hintergrundinformationen (z.B. Temperatur, Salzgehalt, Anzahl anderer Planktonorganismen) zur Verfügung stehen. Die Gensequenzen der gefundenen Ciliatenarten werden in Zusammenarbeit mit dem Smith College (USA) und der Universität von Guelph (Kanada) analysiert.
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Dr. Sabine Agatha
Sabine Agatha studierte Biologie in Bonn. 1995 erwarb sie das Doktorat an der Universität Hamburg am Institut für Frischwasser- und Abwasserbiologie. Ihre Forschungstätigkeit auf dem Gebiet der Taxonomie von Planktonciliaten aus dem Meer und Brackwasser, von Bodenciliaten aus aller Welt und Ciliaten aus dem arktischen und antarktischen Meer-Eis führte sie schließlich 1998 auch nach Salzburg, wo Sabine Agatha an einem vom FWF finanzierten Projekt mitarbeitete.

Hertha-Firnberg-Stelle 2001
Marine Planktonciliaten aus europäischen Küstengewässern
Zoologisches Institut
Universität Salzburg
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01.01.2010