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Simulierte Panik macht Neubauten sicherer  
  Mit Computersimulationen sollen Neubauten sicherer werden. Die Dimensionierung von Fluchtwegen und feuerpolizeilichen Bestimmungen wurde bisher mit statischen Modellen umgesetzt. Jetzt sollen schon Jahre vor der Errichtung der Gebäude mögliche Katastrophen virtuell simuliert werden, um das Verhalten flüchtender Menschenmassen besser zu verstehen.  
In Großbauten wie Stadien oder Hochhäusern kommen immer mehr Menschen auf immer kleinerem Raum zusammen. Dann genügt der geringste Anlass und es kommt zur Katastrophe.

In fast allen Wiener U-Bahn Linien kam es in der letzten Zeit immer wieder zu heiklen Situationen wie kleineren Bränden. Passiert ist bis jetzt noch nichts. Damit das auch so bleibt, werden künftig Stationen im Computer getestet, bevor sie gebaut werden.
Schachbrettartige Simulation
Wie ein Schachbrett ist die Struktur der Simulation aufgebaut. Darüber wird der Plan eines Gebäudes gelegt. Jede Person bewegt sich auf einem Feld, ist das nächste besetzt, kommt sie nicht weiter. Eigenschaften wie Fitness, Alter, Geschlecht oder Behinderung werden für jeden Menschen mit berücksichtigt.

Lässt man am Monitor eine einzelne Person sich über das Schachbrett bewegen, ist das kein Problem. Sind es aber Zehntausende, so beeinflussen sich die einzelnen Menschen in der Gruppe - direkt und indirekt. Die Auswirkungen können sich quer durch die homogene Masse fortpflanzen. An statischen 'Flaschenhälsen' steigt die Dichte der Personen an. Wird sie zu 'hoch', kann es zu Panikreaktionen kommen, und die Katastrophe nimmt ihren Lauf.
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Tunnelblick bei Panikreaktionen
Menschen in Panik entwickeln - so der Panikforscher Michael Schreckenberg - einen Tunnelblick. Sie nehmen ihre Umgebung nur eingeschränkt war. Das Blut fließt aus Gehirn und Bauch in Arme und Beine. Die Bewegungsmuskulatur wird stärker durchblutet, um schneller laufen zu können. In der Frühzeit der menschlichen Entwicklung sei das oft lebensrettend gewesen, heute ist es oft kontraproduktiv, so Schreckenberg.
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Die Katastrophe am Berg Isel
Die Programme werden auch für die Untersuchung von Katastrophen verwendet. Am 4. Dezember 1999 kamen bei der Snowboard Veranstaltung "Air and Style" im Berg Isel Stadion in Innsbruck fünf Menschen ums Leben. Ein Zaun war dem Ansturm der Menschenmassen am Ende der Veranstaltung nicht gewachsen und zusammengebrochen.

Monate später kann das Computermodell erklären, was passiert ist, und wird daher auch für die Untersuchungen der Staatsanwaltschaft eingesetzt. Vor dem einzigen Ausgang kam es zum Stau. Wie bei einem Trichter mit einem engen Abfluss konnten die Menschen an der zu schmalen Stelle nicht heraus. Bis zu sechs Menschen drängten sich pro Quadratmeter, die Opfer wurden von den Massen erdrückt.
Berg Isel neu simuliert
Für den Neubau wurde der Plan des Berg Isels neu übernommen und eine fiktive Katastrophe berechnet. Das bis jetzt nur virtuelle Stadion wird in dem Szenario geräumt.

Von angenommenen 5.000 Menschen können laut Simulation fast alle den Gefahrenbereich nach knapp acht Minuten verlassen. Im alten Stadion dauerte eine Räumung fast drei mal so lange, über 20 Minuten.
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Gespielte Panik
Ein Vorteil der Simulationen ist die Vermeidung von realen Übungen. Diese werden von Experten ohnehin kritisch beurteilt. Beim Feueralarm in der Schule herrscht oft eher "Partystimmung", keine Panik, nicht einmal Anspannung. Im Computer kann man Ausnahmesituationen nachstellen, die man in der Realität wegen der Verletzungsgefahr eben nicht "üben" kann.
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Laufende Verbesserung
Die Modelle werden laufend verbessert, verschiedene bekannte Effekte und Thesen von Experten eingebaut. Menschen flüchten zum Beispiel oft dorthin, wo sie hergekommen sind, obwohl es nähere Notausgänge gäbe.

Wird die Sicht bei einem Brand durch Rauchentwicklung schlecht, mutiert der Mensch zum Herdentier. Er folgt dem vor ihm Laufenden in der Hoffnung, dass dieser den richtigen Weg kennt. Die neuen Modelle haben auch für jeden simulierten Menschen das Blickfeld gespeichert, denn nur Notausgänge, die man sieht, kann man auch ansteuern.
Fluchtströme als Flüssigkeiten
In anderen Modellansätzen werden die Fluchtströme als fließende Flüssigkeiten dargestellt. Oder aber als rollende, verformbare Kugeln. Doch gleichgültig wie der Modellansatz auch aussieht, eines haben alle diese Methoden gemeinsam: Die Grenze liegt immer in den Regeln, die man den einzelnen "Teilen" zuschreibt.

Denn das Verhalten des Ganzen, wird von dem Verhalten jedes einzelnen Individuums in der Stress-Situation bestimmt. Und wie man sich in einer solchen Situation verhält, weiß man wohl nicht einmal von sich selbst.

Niki Popper, Modern Times
->   Physics of Transport and Traffic
->   Modern Times
 
 
 
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01.01.2010