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Embryonenschutz und Menschenwürde  
  Embryonale Stammzellen gelten als "Rohstoff" der Biomedizin von morgen. Chancen und Risiken von Stammzellen werden aber unterschiedlich beurteilt. Einerseits hofft man auf neue Heilverfahren, andererseits wird auf die Gefahr eines erhöhten Krebsrisikos verwiesen. Aus ethischer Perspektive steht aber auch die Menschenwürde zur Debatte.  
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Embryonenschutz - Hemmschuh für die Biomedizin
Am 11. und 12. Oktober findet im Wiener RadioKulturhaus das Internationale Symposion "Embryonenschutz - Hemmschuh für die Biomedizin?" statt. Veranstalter sind die Ö1 - Wissenschaftsredaktion und das Institut für Ethik und Recht in der Medizin der Universität Wien, in Kooperation mit der Ärztekammer und dem Zentrum für Medizinrecht.
Am Beginn des Symposions wird Franz Josef Wetz, Professor für Philosophie an der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd ein Referat zum Thema "Haben Embryonen Würde?" halten. "Science.orf.at" stellt heute bereits seine Thesen vor.
->   Programm und Teilnehmer des Symposions
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Haben Embryonen Würde?
Von Franz Josef Wetz

Im Streit um Präimplantationsdiagnostik und embryonale Stammzellenforschung geht es um das Lebensrecht des Embryos - eine Frage, die eine Klärung seines Wertstatus' voraussetzt: Haben Embryonen Würde?
Staat sollte sich der Stimme enthalten
Ob Embryonen eine vorgegebene Wesenswürde haben, ist eine strittige, weltanschauliche Frage, in der sich ein Staat, der sich zur Religionsfreiheit bekennt, seiner Stimme enthalten sollte. Die Frage nach der Wesenswürde des Embryos wäre aus dem öffentlichen Recht auszulagern.
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Die Frage nach der aufgegebenen Gestaltungswürde ist zu verneinen, weil Embryonen weder Bedürfnisse noch Interessen haben. Die weltanschaulich neutrale Würdeidee, die staatlichen Schutz beanspruchen kann, untersagt lediglich, verletzbares menschliches Leben zu demütigen.
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Eine private Frage?
Aber sind Embryonen nicht potentielle Personen? Zweifellos, nur sagt Potentialität für sich genommen noch nichts über Existenzberechtigung aus. Erst wenn der Mensch als solcher aufgrund seiner Gottebenbildlichkeit oder Vernunftfähigkeit eine Wesenswürde besitzt, kann auch der Anlage hierzu eine besondere Würde zuerkannt werden. Ob der Embryo allerdings eine solche hat, bleibt eine metaphysisch-weltanschauliche und damit private Frage.
Als "DU" anzusprechen
Zwar bleibt es auch ohne metaphysische Erwägungen möglich, den Embryo in den Bezirk menschlicher Teilnahme aufzunehmen, ihn - statt als ein "Es" - bereits als "Du" anzusprechen, dessen Geschichte mit der frühesten Entwicklungsphase beginnt, doch gehört auch diese Entscheidung in die Privatsphäre, da sie von persönlichem sittlichen Empfinden abhängt.
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Keine Würdeverletzung?
Weltanschaulich neutral betrachtet können Embryonen verbrauchende Experimente oder Aussonderungen von Embryonen im Zusammenhang mit Präimplantationsdiagnostik nicht als Würdeverletzungen gelten, weil sich bei Embryonen noch überhaupt keine allgemeine Würde nachweisen und logischerweise daraus auch kein Argument hiergegen ableiten lässt.
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Verantwortung für die Folgen
Dennoch wären öffentliche Verbote auf den umstrittenen biotechnologischen Gebieten vertretbar, wenn sich die zu erwartenden Folgen gesellschaftlich und ordnungspolitisch nicht verantworten ließen.

Gleichfalls dürften Versuche mit embryonalen Stammzellen und therapeutisches Klonen vermutlich nicht mit öffentlichen Fördermitteln unterstützt werden, wenn die Mehrheit der Bürger auch aus weltanschaulichen Gründen dagegen wäre.
Embryonenforschung
Doch bliebe dann - infolge der staatlich garantierten Weltanschauungsfreiheit - immer noch eine frei finanzierte, privatwirtschaftlich betriebene Embryonenforschung möglich und die Präimplantationsdiagnostik - aufgrund ihrer finanziellen Unabhängigkeit - von solchen Restriktionen unberührt.
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Literatur-Tipp
Von Franz Josef Wetz ist das Buch "Die Würde der Menschen ist antastbar. Eine Provokation" 1988 im Klett-Cotta Verlag, Stuttgart erschienen.
->   Pädagogische Hochschule Schwäbisch Gmünd
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Menschenwürde
Menschenwürde ist ein auratischer Begriff mit vagem Auslegungsspielraum: Einem Orakel gleich ist sie im Anrufungsfall sofort zur Stelle, hält aber als Antwort auf drängende Fragen unserer Zeit oft nur dunkle Sprüche bereit.
Wesensmerkmal und Gestaltungsauftrag
Grundsätzlich ist zu unterscheiden zwischen Menschenwürde als abstraktem Wesensmerkmal, wonach dem Einzelnen kraft seines Menschseins und unabhängig von seinem Verhalten oder den Verhältnissen, in denen erlebt, ein absoluter, ideeller Wert zukommt, und Menschenwürde als konkretem Gestaltungsauftrag, demzufolge es von unseren Umgangsformen abhängt, wie wir unsere Würde achten.

In der Kulturgeschichte finden wir beide Ansätze - Würde als metaphysische Vorgabe und ethische Aufgabe - miteinander
vermischt.
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Drei Formen der Würde
Heute unterscheidet man drei Formen der Würde: eine religiös-christliche Position, nach der die Menschen schon aufgrund ihres Menschseins absoluten Wert besitzen, weil sie Gottes Ebenbild sind (Wesensmerkmal und Gestaltungsauftrag); dann eine vernunftphilosophische Position, der zufolge angeborene Würde auf der Fähigkeit zu moralischer Selbstbestimmung gründet (Wesensmerkmal und Gestaltungsauftrag), und schließlich eine
säkular-existenziale Position, wonach Würde erst im Umgang des Einzelnen mit sich und seinesgleichen sowie des Staates mit seinen Bürgern entsteht (reiner Gestaltungsauftrag).
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Weltanschaulich eingefärbt
Da die religiös-christliche und vernunftphilosophische Idee der Würde als Wesensmerkmal weltanschaulich eingefärbt ist, kann sie nicht an der Spitze der allgemeinverbindlichen Normpyramide unseres liberalen Staates mit offener Gesellschaft stehen.
Privatsphäre
Ausgehend von der modernen Trennung zwischen Privatem und Öffentlichem, ist die Frage nach der Würde als Wesensmerkmal in die Privatsphäre zu verlegen: Der Einzelne sollte seine Vorstellungen darüber nicht seinem Nachbarn, der Staat nicht seinen Bürgern, die Weltgemeinschaft nicht ihren Mitgliedstaaten aufzwingen wollen.
Existentielle Gleichstellung
Allein eine anthropologisch fundierte Würdeauffassung als reiner Gestaltungsauftrag ohne weltanschauliche Hintergrundannahmen verfügt über die geforderte Allgemeinheit, um Anspruch auf staatlichen Schutz erheben zu können; sie gehört in den öffentlichen Bereich.

Grundlage solch bedürfnisbezogenen Würdeverständnisses bildet die existenzielle Gleichstellung aller Menschen als schutzbedürftige, endliche, leidensfähige Wesen, die gedemütigt oder erniedrigt werden können. Als solche streben sie wohl alle nach einem Leben ohne materielle Not und geistige Unterdrückung.
Lesen Sie mehr über das Symposion "Embryonenschutz- Hemmschuh für die Biomedizin?" in science.orf.at:
->   Christian Kopetzky: Rechtliche Fragen des Embryonenschutzes
->   Ulrich Körtner: Debatte über Embryonenschutz geht in neue Runde
->   Forschungsethik und Menschenbild
->   Programm und Referenten des Symposions
 
 
 
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01.01.2010