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ORF ON Science :  News :  Leben .  Gesellschaft 
 
Anhaltende Debatte um Präimplantationsdiagnostik  
  Um medizinethische und sozialethische Aspekte der umstrittenen Präimplantationsdiagnostik ging es am Freitag beim zweiten Themenblock des Ö1-Symposions "Embryonenschutz - Hemmschuh für die Biomedizin?".  
Präimplantationsdiagnostik - Hilfe für Betroffene oder neue Eugenik?
Während der Mediziner Karl-Friedrich Sewing, Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirates der Bundesärztekammer Deutschland, die Präimplantationsdiagnostik (PID) als Teil verantwortungsbewussten ärztlichen Handelns betrachtet, sieht der Sozialethiker Dietmar Mieth, Professor für Theologische Ethik an der Universität Tübingen, darin die Gefahr einer Selektion von Leben.
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Präimplantationsdiagnostik
Präimplantationsdiagnostik (PID) bedeutet, dass nach einer im Reagenzglas erfolgten Befruchtung (in vitro) ein Test auf mögliche genetische Schädigungen des Embryos durchgeführt wird. Ist der Embryo gesund, wird er in die mütterliche Gebärmutter verpflanzt, ist er geschädigt, lässt man ihn absterben.
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PID - verantwortungsbewusstes ärztliches Handeln?
Sewing stellte vom Standpunkt des Mediziners aus die Frage, ob PID als verantwortungsbewusstes ärztliches Handeln anzusehen sei.

Um diese Frage zu beantworten, zitierte er zunächst aus den 1985 veröffentlichten "Richtlinien für die Forschung an frühen menschlichen Embryonen" der Bundesärztekammer Deutschland.
->   Mehr über Karl-Friedrich Sewing
Aufgabe der Ärzte: Gesunden Kind
Ärzte müssten demnach in erster Linie anstreben, dass sich aus einem in vitro gezeugten Embryo ein gesundes Kind entwickelt. Die Verpflichtung gegenüber diesem Kind sei ungleich größer als gegenüber dem Embryo in vitro.

Vor diesem Hintergrund, so Sewing, füge sich die PID mühelos in ein verantwortungsbewusstes ärztliches Handeln ein. Seine Argumentation: die zum Ziel führenden diagnostischen Möglichkeiten müssen in dem Rahmen ausgeschöpft werden, der zu dem angestrebten Ergebnis führt.
Krankheitsprävention statt "Reparaturmedizin"
Der Mediziner konstatiert grundsätzlich einen Paradigmenwechsel in der Medizin: Der Schwerpunkt verlagere sich "weg von einer 'Reparaturmedizin' auf eine breit gefächerte Krankheitsprävention". Es stelle sich somit die Frage, ob man der PID die Legitimation versagen dürfe.
Vergleich mit der Abtreibungsregelung
Derzeit ist weder in Deutschland noch in Österreich eine eigene rechtliche Regelung zur PID gegeben. Grundlage des "Verbotes" ist das geltende Embryonenschutzgesetzt in Deutschland bzw. das Fortpflanzungsmedizingesetz in Österreich.

Vor diesem Hintergrund verwies Sewing darauf, dass ein Schwangerschaftsabbruch derzeit bis zur 12. Schwangerschaftswoche straffrei ist (in Deutschland mit der Einschränkung, dass zuvor eine Beratung stattgefunden hat). Der Abbruch sei somit unabhängig von jeglicher medizinischer Indikation.
->   Österreichisches Fortpflanzungsmedizingesetz
Abwägen zwischen Lebensrecht und -fähigkeit
Übertrage man nun diesen Sachverhalt auf die Situation der PID, dann werde hier abgewogen zwischen Lebensrecht und Lebensfähigkeit des Embryos. Die Argumente, die hier zum Tragen kommen, sind Sewings Ansicht nach gewichtiger als bei Schwangerschaftsabbrüchen ohne medizinische Indikation.
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Lebensrecht und Lebensfähigkeit
Verschiedene genetisch bedingte Krankheiten können dazu führen, dass die Lebensfähigkeit bzw. Lebenserwartung eines Kindes stark eingeschränkt ist. Auf solche Beispiele bezog sich Sewing hier.
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Beratung der Betroffenen
Das ärztliche Aufgabenspektrum in Hinsicht auf die PID erstreckt sich auf die umfassende Beratung der Schwangeren bzw. des betroffenen Paares, so die Argumentation des Mediziners.
Letzte Entscheidung obliegt der Frau
Hier allerding ende bis auf weiteres das ärztliche Handeln. Die Entscheidung, ob ein Embryo eingesetzt wird oder nicht, obliege einzig und alleine der Frau im Rahmen ihres Selbstbestimmungsrechts.
Mieht: Verantwortung des Arztes lässt sich nicht delegieren
Der Sozialethiker Dietmar Mieth vertritt dem gegenüber einen anderen Standpunkt. Die Verantwortung des Arztes lässt sich seiner Meinung nach nicht an das Selbstbestimmungsrecht der Frau delegieren. Gerade durch die Ärzte werde dieses Recht bereits vorbestimmt.

Der soziale Druck auf die weibliche Selbstbestimmung wachse, so Mieth. Denn durch die steigende Zahl der medizinischen Angebote werde diese Selbstbestimmung spezifiziert und damit letztlich instrumentalisiert.
->   Mehr über Dietmar Mieth
Keine Gleichsetzung von PID mit Pränataler Diagnostik
Vor allem gegen den häufig angeführten Vergleich bzw. eine Gleichsetzung der PID mit der Pränatalen Diagnostik wendete sich der Sozialethiker. Während es bei letzterer Methode die Konstellation Mutter - Fötus gebe, stünden bei der PID mehrere Föten zur Auswahl.

Für ihn stehen sich damit Selektion von Leben (PID) und Abwägung (Pränatale Diagnostik) gegenüber, was auch rechtliche etwas anderes sei.
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Mehrere Embryonen für höhere Erfolgschance
Bei einer geplanten In-vitro-Fertilisation werden, um die Erfolgschance zu erhöhen, mehrer Eizellen im Reagenzglas befruchtet. Nach geltendem Recht dürfen nur so viele Embryonen erzeugt werden, wie gebraucht bzw. müssen alle erfolgreich befruchteten Eizellen eingesetzt werden. Daher kommt es bei dieser Methode häufig zu Mehrlingsgeburten.
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Früher Embryo hat Teil am Lebensrecht
Seiner Ansicht nach hat jedoch bereits der frühe Embryo teil am menschlichen Lebensrecht und gilt als menschliches Lebewesen. Wenn man also ein solches Lebensrecht zugestehe, dann stelle sich die Frage, ob Lebensrechte abwägbar sind.

Bei der PID jedoch werde das menschliche Lebewesen auf eine genetische Charakteristik reduziert und in seinem Schicksal dieser Charakteristik unterworfen.
Recht auf das "So sein"
Der Mensch habe aber ein Recht auf das "So sein", auf eine genetische Disposition, die dem natürlichen Zufall zu verdanken ist und nicht einer (Fremd)Bestimmung durch Eltern oder Ärzte, so Mieht.

Damit stellt er auch die Frage nach der "Beziehungskultur", als Ideal sieht er die "unbedingte Annahme zwischen Menschen", der die "bedingte Annahme" durch die PID gegenübersteht.
Wunsch ist kein durchsetzbares Recht
Aus dem verständlichen Wunsch bzw. Anspruch eines Elternpaares auf ein gesundes Kind leitet sich seiner Argumentation zufolge kein durchsetzbares Recht ab. Für den Ethiker Mieht ist letztlich die PID moralisch nicht legitimierbar.

Sabine Aßmann, science.orf.at
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"Embryonenschutz - Hemmschuh für die Biomedizin?"
Das Symposion fand am Donnerstag und Freitag in Wien statt. Teilnehmer aus verschiedenen Disziplinen diskutierten das Thema Embryonenschutz aus rechtlicher, medizinischer und theologischer Perspektive.
->   Programm und Teilnehmer
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Weitere Artikel zum Symposion in science.orf.at:
->   Embryonenschutz: Ethische Dilemmata, juristische Fragen
->   Franz Josef Wetz: Haben Embryonen Würde?
->   Christian Kopetzki: Rechtliche Fragen des Embryonenschutzes
 
 
 
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01.01.2010