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Informationstechnologie und Politische Ökonomie  
  Parteien präsentieren sich online, Behörden bieten Ihre Dienstleistungen im Netz an, politische Abstimmungen sollen über das Internet abgewickelt werden. Die Informatisierung der Politik wirft nicht nur für das Demokratieverständnis neue Fragen auf. Sie steht auch in einem engem Zusammenhang mit E-Commerce, dem elektronischen Handel. Hardy Hanappi vom Institut für Volkswirtschaftslehre und Wirtschaftsinformatik der TU Wien beschreibt in seinem Beitrag für science.orf.at die neuen Trends für Wirtschaft und Politik.  
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International Conference on Electronic Commerce
Die "International Conference on Electronic Commerce" findet von 31. 10. - 4. 11. in der Wiener Hofburg statt. Wissenschaftlicher Leiter des Symposions ist Univ. Prof. Hardy Hanappi vom Institut für Volkswirtschaftslehre und Wirtschaftsinformatik der TU Wien.
->   Homepage des Symposions
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Politische Ökonomie im Zeitalter der Informationstechnologien
Ein Beitrag von Hardy Hanappi, TU Wien

Die nächsten Jahre werden zwei wichtige Änderungen im täglichen Leben österreichischer Haushalte bringen:

1. Ein rasch wachsender Anteil ihrer Aktivitäten wird sich auf Produktion, Austausch und Konsum von Informationsgütern beziehen.

2. Sie werden mit den Folgen der Osterweiterung der Europäischen Union zu leben lernen.

Noch sind nur die Konturen dieser beiden, ineinander verschränkten Prozesse abschätzbar.
Second Coming der New Economy?
Der Abschwung der New Economy Aktien an den Börsen war ebenso beeindruckend wie ihr fulminanter Aufschwung in der Phase davor - es liegt nahe zu vermuten, dass die beiden in ursächlichem Zusammenhang stehen.

Immer wenn die Zukunft schwer zu prognostizieren scheint, tendieren selbstverstärkende Erwartungsprozesse - Paradebeispiel Börse - zu Übertreibungen.

Sieht man jedoch von diesen gar nicht so überraschenden Schwingungen ab, so stellt man eine recht kontinuierliche Verbreitung der Informationstechnologien in allen Lebensbereichen fest.
Konsum von Informationsgütern
Ein stetig wachsender Teil unseres Konsums ist Konsum von Informationsgütern. Informationsgüter, das sind Güter, die sich im Prinzip als Bitmuster darstellen lassen: Texte (gelesen oder gesprochen), Musik, Programme, Bilder, Software in Gebrauchsgegenständen.
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Informationsgüter: Der Vorteil billiger Kopien
Alle Informationsgüter unterscheiden sich in einer Beziehung ganz fundamental von anderen Waren: Wenn ein zusätzlicher Konsument eine Kopie dieses Bitmusters erwirbt, so wird das Bitmuster nicht weniger oder schlechter. Ein gekaufter Apfel wird beim Konsum vernichtet, ein Text hingegen kann von vielen gelesen werden, ohne dass sie sich darum kümmern müssen, wer wieviele Worte bekommt. Darin lag auch ein guter Teil des Booms der New Economy begründet - die Produktionskosten einer weiteren Kopie eines Informationsgutes sind dank neuer Informationstechnologien verschwindend gering.
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Ende des Booms
Der ungeheure Boom musste brechen. Nicht nur, weil die Logik sebstverstärkender Erwartungsprozesse kein anderes Korrektiv kennt, sondern auch, weil die niedrigen Kosten weiterer Kopien eines Informationsgutes nur ein Teil der Story sind.

Zwei andere, wichtige Elemente sind einerseits die hohen Investitionskosten, die ein qualitativ hochwertiges Original eines Informationsgutes erfordert, und andererseits die große Ungewissheit, welche Informationsgüter die Konsumenten um welchen Preis zu kaufen bereit wären.
Das Brechen der Welle
Die hohen Erstinvestitionen wurden von den meisten Firmen mit Krediten finanziert, deren Rückzahlungsplan wiederum auf der Erwartung eines raschen Absatzwachstums aufbaute.

Doch das blieb, siehe zweites Element, mittelfristig aus: Die Konsumenten wurden zwar mehr und mehr in die Welt der Informationsgüter eingebunden, am Arbeitsplatz, mittels Mobiltelefonen, durch die Allgegenwart von elektronischen Massenmedien, auch der viel beschworene Generationenwechsel tat das seine. Dennoch ging all das wesentlich langsamer, als es die Geduld der Gläubiger vieler Start-ups erlaubte. Die Welle brach.
Content is King
Inzwischen ist ein guter Teil der Stars der New Economy verschwunden oder zumindest in den sicheren Hafen der Flaggschiffe der Old Economy geflüchtet. Die Geschäftsumgebung ist dennoch durch vorsichtigen Optimismus gekennzeichnet.

Die zentrale Frage ist nicht mehr "Was können wir mit den neuen Technologien alles anbieten?", sondern eher "Welche Informationsgüter könnten Haushalte so sehr reizen, dass sie Geld und Zeit für ihren Kauf ausgeben würden?".

Damit verschiebt sich das Augenmerk aber auf den Inhalt der Informationsgüter: "Content is King", wie man nun hört.
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Das Wesentliche erkennen
Die Entwicklung der Informationsbedürfnisse einer Gesellschaft verdient jedenfalls eine genauere Betrachtung. Was Not tut, ist weniger das Auffinden elementarer Fakten in Datenbanken, sondern Denkhilfen zur Erfassung wesentlicher Zusammenhänge im Chaos gegenwärtiger Informationsüberflutung.
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Hoffnungen auf neuen Auschwung
"Sich ein Bild machen", "das Wesentliche erkennen", "Die möglichen Handlungsoptionen und ihre Konsequenzen feststellen", das sind die Bedürfnisse für die Informationsgüter immer dringender gebraucht werden.

In der Sprache klassischer Wissenschaftsdisziplinen heißt diese Tätigkeit Modellbildung, sie wird langfristig den Wiederaufschwung der New Economy tragen.
Die Chancen für Wien erkennen
Wien ist Hauptstadt eines Alpenlandes - mit nur mäßigen Chancen sich in der bevorstehenden Verschärfung internationaler Arbeitsteilung so standortgünstig darstellen zu können, dass der gegenwärtige Rang im internationalen Wohlfahrtsvergleich auch nur einigermaßen erhalten bleibt.

Es sei denn es gelingt, einige zukunftsträchtige Wissenschafts-/ Wirtschafts-Cluster hier anzusiedeln. Electronic Commerce für Zentraleuropa wäre der beste Kandidat.
Ein politisch zu initiierender Prozess
Die Grundvoraussetzung hierfür ist die Schaffung einer hier ansässigen kritischen Masse wissenschaftlich/wirtschaftlicher Kapazität - und das wiederum ist ein politisch zu initiierender Prozess.

Denn Politik, speziell Wirtschaftspolitik ist gegenwärtig "the name of the game". Das zögerlich-taktierende Verhalten der großen transnationalen Spieler wartet auf Anstöße.

Doch wie kann das in einem Klima schwindender nationalstaatlicher Macht in Europa überhaupt noch gehen? Der Schlüssel liegt vielleicht im steigenden Einfluss der großen Städte.
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Neugestaltung der Demokratie
Der politische Feedback-Mechanismus in einem osterweiterten Europa, die Demokratie, wird jedenfalls neu zu gestalten sein. Schon lange wird im Westen über die Verhinderung der möglichen Einkommenstransfers von West nach Ost nachgedacht, die demokratisch für den Osten durchsetzbar wären, wenn die Bürger Osteuropas politisch jenen Westeuropas gleichgestellt wären (siehe [Kandogan, 2000]).
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E-Government
Wahlmechanismen - in Europa, weltweit, aber auch in jeder Gemeinde - das ist ein zentrales Thema des Bereiches E-Government.

Hier haben die neuen Technologien zweifellos Möglichkeiten eröffnet, deren wünschenswerte Nutzung aber nur möglich ist, wenn die Aufklärung des Wählerpublikums in Richtung modellhaftes Denken (siehe oben) weiterentwickelt wird.
Das Problem des Regierens
Einmal gewählt stellt sich der jeweiligen Exekutive wie auch der Legislative das Problem des Regierens - die E-government Frage aus der anderen Richtung.

War der demokratische Wahlmechanismus auf größtmögliche Flexibilität zur Gewährleistung eines möglichst direkten Einflusses der Wähler auf ihre Repräsentanten gekennzeichnet, so ist in dieser Richtung größtmögliche Stabilität während der Regierungsperiode die Maxime.
Regieren oder Verwalten?
Man versteht, warum manche von oben initiierte E-government Initiative den ersten Aspekt gerne ausblendet und den zweiten hinter dem scheinbar neutralen Mantel "besserer Verwaltung" verbirgt.

Als Conference Chair der International Conference on Electronic Commerce lade ich alle an diesen Themen Interessierten zur Diskussion der Fragen des E-Commerce und des E-Government in die Wiener Hofburg ein.
->   Programm des Symposions
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Literaturtipp
Kandogan Y., 2000, Political economy of eastern enlargement of the European Union: Budgetary costs and reforms in voting rules, European Journal of Political Economy, Vol.16, 685-705.
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01.01.2010