News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Medizin und Gesundheit 
 
Anthrax: Hochkonjunktur für Trittbrettfahrer  
  In Zeiten der Angst vor Anthrax haben auch die "Trittbrettfahrer" Hochkonjunktur. In mehreren europäischen Ländern wurden verdächtige Briefsendungen mit weißem Pulver sichergestellt, die sich bisher alle als harmlos, als Taten von so genannten Trittbrettfahrern erwiesen haben. Was treibt Menschen zu solchen Handlungen? Die Psychologie kann hier nur eingeschränkt helfen, denn den "typischen Trittbrettfahrer" gibt es nicht.  
Das menschliche Verhalten sei zu komplex, um es in fünf oder sechs Schubladen unterzubringen, erklärte Thomas Müller, Kriminalpsychologe des Innenministeriums, im Gespräch mit der APA. "Den typischen Trittbrettfahrer gibt es nicht."
Macht und Aufmerksamkeit
Für Kriminalpsychologen sind Trittbrettfahrer Leute, die sich auf Kosten anderer eine Machtposition verschaffen wollen. Sie nutzen die Aufregung um aktuelle Ereignisse, um ein tatsächlich passiertes Verbrechen, und lösen etwa Bombenalarm aus oder - wie im Augenblick - eine Milzbrand-Panik.

Mit seinen Taten - sei es das Verschicken von weißem Pulver, sei es eine Bombendrohung - erlangt der Trittbrettfahrer Macht, die er im täglichen Leben nicht hat, und Aufmerksamkeit, auch wenn er dabei anonym bleibt.
...
Zahlreiche verdächtige Briefsendungen in Europa
Die fatale Eigendynamik zwischen tatsächlichen Milzbrand-Anschlägen, gewissenlosen Trittbrettfahrern und wachsender Hysterie in der Bevölkerung beginnt sich auch in Europa zu beschleunigen: In zahlreichen europäischen Staaten tauchten am Montag und Dienstag Dutzende Briefsendungen mit zunächst verdächtigem weißen Pulver auf und lösten entsprechende Einsätze aus. Bisher stellten sich alle untersuchten Proben als harmlos heraus.

Auch in Österreich sorgten bereits wiederholt verdächtige Briefsendungen mit weißem Pulver für Aufregung - mehr dazu in ORF ON Österreich.

In den USA werden derweil immer mehr Fälle einer Infektion mit dem gefährlichen Erreger bekannt - mehr dazu in ORF ON News.
...
"Erhöhen" der eigenen Persönlichkeit
In den wenigsten Fällen, so Müller, erreicht der Trittbrettfahrer einen materiellen Vorteil. Zumeist gehe es darum, dass der Betreffende seine eigene Persönlichkeit "erhöht", also Achtung vor sich selbst erreicht.

Die Psychopathologie muss entsprechend "passen": Denn der Schritt von der Fantasie zur tatsächlichen Ausführung ist ein großer. Wünscht ein Mensch einem anderen Schlimmes an den Hals, bleibt es meistens bei dem Gedanken. Nur bei entsprechender Psychopathologie wird die Idee umgesetzt.
...
Trittbrettfahrer: Was das österreichische Gesetz sagt
Strafrechtlich kommen für so genannte Trittbrettfahrer nach der österreichischen Rechtslage mehrere Paragrafen in Betracht. Sollte etwa ein "Spaßvogel" auf die Idee kommen, in bewusster Anlehnung an die Angst vor Anthrax-Anschlägen ein in Wahrheit harmloses Pulver zu verschicken, käme womöglich die Bestimmung "Vortäuschung einer mit Strafe bedrohten Handlung" zum Tragen.

Die Frage, was einen Nachahmungstäter in strafrechtlicher Hinsicht erwarte, sei abstrakt allerdings kaum zu beantworten, gab Christian Manquet, Leitender Staatsanwalt im Ministerium, auf Anfrage der APA zu bedenken.

In jedem Fall muss ein Trittbrettfahrer damit rechnen, zivilrechtlich für den angerichteten Schaden haftbar gemacht zu werden. Sollte er beispielsweise einen Großeinsatz auslösen, könnte man ihn bei seiner Ausforschung zu Regresszahlungen verpflichten.
...
Psychiater: Tat von Außenseitern
Der Psychiater und Psychotherapeut Hans-Peter Bilek sieht das Verschicken von weißem Pulver durch "Scherzbolde" oder Trittbrettfahrer als Tat von Außenseitern, die Rache an der Gesellschaft nehmen wollen.
Eigene Minderwertigkeits- und Angstgefühle
Im Ö1-Mittagsjournal sprach der Experte von einem "billigen Racheimpuls, bei dem man eigene Minderwertigkeits- und Angstgefühle quasi verschicken kann". Indem er das Pulver verschicke, löse der Täter bei anderen die Ängste aus, die er selber in sich trage.
Freude an Unruhe und Panik
Der Meinung ist auch Rudolf Egg, Leiter der Kriminologischen Zentralstelle in Wiesbaden: Trittbrettfahrer "bekämpfen ihre Angst damit, dass sie Angst schüren. Sie haben Freude daran, wenn sie für Unruhe und Panik sorgen".

Auch die Berichterstattung der Medien spielt eine Rolle. Man dürfe die Täter nicht zu Superhirnen hochstilisieren, sondern solle auf die Feigheit der Tat hinweisen, betonte der Experte gegenüber der dpa.
Die großen "W" des Täterprofils
Für die Erstellung eines Täterprofils kann ein Trittbrettfahrer übrigens ein guter "Kunde" sein. Grundsätzlich ist es nämlich so, dass das so genannte "Profiling" umso exaktere Ergebnisse erzielt, je mehr Einzelentscheidungen eines Täters für die Analyse zur Verfügung stehen.

Und deren hat etwa der Versender von weißem Pulver - um beim Beispiel Anthrax zu bleiben - mehrere zu treffen: Wann schickt er wie was an welchen Adressaten ...
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Medizin und Gesundheit 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010