News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Gesellschaft 
 
Zeithistoriker besorgt über Dokument-Skartierung  
  Unter Österreichs Zeithistorikern herrscht Besorgnis über ein Vorhaben des Kanzleramtes: Geplant ist eine Bundesarchivgutverordnung zu erlassen, die genau definiert, welches Schriftgut unter Schutz steht und aufbewahrt werden muss.  
Alles Andere, was seit dem 1. November 1955 anfiel und anfällt, habe demnach skartiert, also vernichtet, zu werden. Ministerialrat Alois Schittengruber begründet das Vorhaben mit begrenzten Kapazitäten im Staatsarchiv, was vom Leiter des Staatsarchivs, Lorenz Mikoletzky, zurückgewiesen wird.
'Personen des öffentlichen Lebens'
Aufbewahrenswert sind laut dem Entwurf, dessen Begutachtung bis 25. Oktober läuft, vor allem Akten der Zentralstellen des Bundes sowie Schriftgut über "Personen des öffentlichen Lebens".

Juliane Mikoletzky, Leiterin des Archivs der TU Wien, spricht von einem Skandal: Die Auswahlkriterien seien "von einem recht eingeschränkten Geschichtsverständnis" getragen, sehr oft sei die spätere historische Bedeutung eines Vorgangs noch nicht zu erkennen.

Zudem befürchtet sie, dass bei Aktenvernichtung an Ort und Stelle "durch mangelnde Kompetenz oder mit Absicht" die historische Überlieferung "durch entsprechende Selektion bewusst oder unbewusst manipuliert" werde.
Erschüttert
Auch Eva Blimlinger von der Historikerkommission ist erschüttert. Schließlich wären viele Bestände, die für die derzeit laufenden Forschungen fundamental sind (wie die rund 600.000 Akten des Kriegs- und Verfolgungssachschädengesetzes), nicht mehr archivierungswürdig.

Sie weist auf "ein besonderes Apercu der Vernichtungsbestimmung" hin: "Nach Ende der Arbeit müsste sämtliches nicht publizierte Schriftgut der Historikerkommission vernichtet werden!"
Verständnis für Kollegen?
Schittengruber, der den "positiven Abgrenzungsvorschlag" erstellte, will - weil selbst Historiker - für die Anliegen der Kollegen Verständnis haben. Und gesteht gerne ein, dass es sich um
eine Gratwanderung handle.

Denn es gebe sehr wohl Akten, die erst mit der Zeit Bedeutung erlangen. Dennoch: "Wir verbrauchen viel Platz für nicht archivwürdiges Gut." Durch die rasant wachsende Zunahme des "ganzen Wusts" würden die Kapazitäten im Staatsarchiv "in naher Zukunft" erschöpft sein.

Doch Lorenz Mikoletzky, der Generaldirektor des Staatsarchivs, widerspricht energisch: Platz gebe es auf Grund des neuen "elektronischen Akts" bis ins Jahr 2010, wenn nicht länger. Würde skartiert, was die Verordnung vorschreibt, wäre sein Haus fast leer. Er werde daher eine dezidierte Stellungnahme abgeben.
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Gesellschaft 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010