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Schädlicher Stress  
  Hinweise und Ansatzpunkte für eine direkte Schädigung des Immunsystems durch Stress gab es schon viele. Jetzt haben Wissenschaftler nach eigenen Angaben die direkte Verbindung festgestellt: Stress schwächt das Immunsystem.  
Dies berichtet ein Team um den Onkologen Steve Cole von der University of California in Los Angeles in der aktuellen Ausgabe der 'Proceedings of the National Academy of Sciences'.

Demnach erhöht sich bei stark gestressten, mit HIV infizierten Menschen die Vermehrungsgeschwindigkeit der tödlichen Viren. Gleichzeitig reduziert sich die regenerative Wirkung der Anti-HIV-Präparate auf das Immunsystem. Der Grund dafür liegt laut Steve Cole an der Ausschüttung des Hormons Noradrenalin.
Artikel in den 'Proceedings of the National Academy of Sciences' (98 (22) 2001; kostenpflichtig) unter dem Titel
"Impaired response to HAART in HIV-infected individuals with high autonomic nervous system activity".
->   Artikel in den Proceedings of the National Academy of Sciences
Konnex von Stress und Immunsystem
Die Wissenschaftler verglichen den Krankheitsverlauf von 13 mit HIV infizierten Männern im Alter von 25 bis 54 Jahren. Diese hatten bis zum Beginn der Untersuchung keine Kombination von Anti-HIV-Medikamenten eingenommen.

Nach der Bestimmung der Virenbelastung und der Anzahl der CD4-Immunzellen bei allen Patienten wurden schließlich diverse Stress-Parameter der Versuchspersonen erhoben wie Blutdruck, Feuchtigkeit der Haut sowie Herz- und Pulsschlag bei Ruhe.
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Was ist Stress?
Zustand der Alarmbereitschaft des Organismus, der sich auf eine erhöhte Leistungsbereitschaft einstellt. Der Begriff wurde 1936 von H. Selye geprägt, der zwischen Eustress als einer notwendigen und positiv erlebten Aktivierung des Organismus und Distress als belastend und schädlich wirkender Reaktion auf ein Übermaß an Anforderungen unterschied. Stress kann durch eine Vielzahl körperlicher und seelischer Reize ausgelöst werden: Wärme, Kälte, Lärm, Verletzungen, Infektionen, Probleme in der Partnerschaft, Überforderung im Beruf, Verlust eines geliebten Menschen u. a. Unabhängig von der Art der einwirkenden Stressoren kommt es zu körperlichen Anpassungsreaktionen.
->   Mehr zu Stress
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Stress als Katalysator?
Immer wieder konnten Wissenschaftler beobachten, dass manche HIV-Kranke die Virenzahlen in ihrem Blut über lange Zeiträume auf einem niedrigen Niveau halten konnten, während andere sich in kurzer Zeit dem Ansturm der Aids-Erreger nicht erwehren konnten.

Möglicherweise, so vermuten manche Wissenschaftler schon länger, spielen bestimmte Stressfaktoren eine nicht unwesentliche Rolle in der Krankheitsentwicklung von HIV.
Unterschiedlichste Wirkung
Über einen Zeitraum von drei bis elf Monaten erhielten die Probanden Antiviren-Präparate, um die HIV-Infektion bekämpfen zu können.

Doch die anschließend von den Mediziner gemessenen Effekte der HIV-Präparate auf die Virenbelastung des Blutes und die Anzahl der CD4-Immunzellen konnte bei den einzelnen Versuchspersonen nicht unterschiedlicher ausfallen.
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CD4-Zellen und HIV
Die CD4-Zellen gehören zu der Gruppe der Lymphozyten (Form der weißen Blutkörperchen) und aktivieren viele Formen der Immunantwort. Diese wichtigen CD4-Zellen der menschlichen "Schutz- bzw. Abwehrtruppe" werden durch HIV infiziert und in ihrer Anzahl reduziert. Ihre Anzahl pro Mikroliter Blut gibt einen Hinweis darauf, ob das Immunsystem noch funktionsfähig ist oder nicht. Sinkt ihre Zahl unter 200 pro Mikroliter Blut, ist der Infektionsschutz durch das Immunsystem lückenhaft. Die CD4-Zellzahl kann als Richtgröße dafür dienen, wann mit einer antiretroviralen Therapie begonnen werden sollte.
->   HIV und Immunsystem
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Je mehr Stress, desto geringer die Arznei-Wirkung
Die Ergebnisse der Analyse waren eindeutig. Je höher das individuelle Stressniveau der Patienten lag, desto geringer fiel die Wirkung der HIV-Medikamente aus.

So sank die Virenlast bei HIV-Infizierten mit wenigen Stress-Symptomen, also einer geringeren Aktivität des Autonomen Nervensystems, um bis zum vierzigfachen. Dagegen reduzierte sich bei Patienten mit starken Stress-Indikatoren trotz der Anti-Viren-Präparate die Virenzahl im Blut um weniger als das zehnfache.
Unterschiede auch bei Immunzellen
Auch die Wirkung der Stressfaktoren auf die Immunzellen brachte ein erstaunliches Ergebnis hervor: So steigerte sich die Zahl der CD4-Zellen von 396 auf 550 pro Kubikmillimeter Blut bei einer reduzierten Stressaktivität.

Männer mit erhöhtem Stressniveau zeigten hingegen keine Steigerung bei den CD4-Immunzellen. Im Gegenteil: Trotz Behandlung sank die Zahl der Immunzellen im Blut.
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Stress in drei Phasen
Stress verläuft in drei Phasen, der Alarmreaktionsphase, der Widerstandsphase und der Erschöpfungsphase. In der ersteren kommt es zur vermehrten Ausschüttung von Hormonen der Nebennierenrinde wie Cortisol und des Nebennierenmarks wie Adrenalin und Noradrenalin. Dadurch wird der Blutzuckerspiegel erhöht, Herzschlag und Blutdruck steigen, die Durchblutung wird vermehrt. In der 2. Phase versucht der Organismus, sich an den Stressor anzupassen. Dabei lässt die Widerstandsfähigkeit gegenüber anderen Stressoren nach, und es kann zu einer Schwächung des Immunsystems kommen, so dass sich die Abwehrbereitschaft gegenüber Krankheiten verringert. Bei chronisch einwirkendem Stress kann es in der Phase der Erschöpfung zu organischen Erkrankungen kommen wie z. B. Magengeschwüren, Bluthochdruck oder Herzinfarkt.
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Der dahinter liegende Mechanismus
Befindet sich ein Mensch unter Stress, reagieren die Nerven des Sympathikus mit einer erhöhten Ausschüttung des Hormons Noradrenalin. Dieses wird direkt in den Lymphknoten freigesetzt und übt hier auf zwei Arten seine schädliche Wirkung aus.

Zum einen erhöht das Hormon die speziellen Andockstellen auf den CD4-Zellen, die den HI-Viren ein Anheften und anschließendes Eindringen in die CD4-Zellen erst ermöglichen. Natürliche Killerzellen und Monozyten erkennen dann die virusinfizierten CD4-Zellen und töten diese ab.

Darüber hinaus steigert Noradrenalin auch die Vermehrung der HIV-Viren. Mehr Viren dringen in die CD4-Zellen ein und mehr verlassen diese nach erfolgter Vermehrung, resultierend in einer zehnmal so hohen Virenmenge.
Einfluss des Nervensystems auf Viren-Vermehrung
"Unsere Ergebnisse legen nahe, dass das Nervensystem einen direkten Einfluss auf die Replikation der Viren ausübt", erklärt Cole. "Dies impliziert, dass wir diesen Effekt ändern könnten, indem wir den Stresslevel reduzieren."
->   Department of Medicine, UCLA
->   Department of Psychiatry and Biobehavioral Sciences, UCLA
 
 
 
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01.01.2010