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Leben mit chronischen Kopfschmerzen  
  Über einen Million Menschen leiden in Österreich an chronischen Kopfschmerzen. Obwohl die Betroffenen starke Schmerzen haben, sucht nur jeder Zweite von ihnen einen Arzt auf. Durch medikamentöse Selbstbehandlung verschlimmern sich jedoch die Beschwerden, und bald steht die Angst vor der nächsten Schmerzattacke im Mittelpunkt des Lebens.  
Durch den andauernden, unkontrollierten Griff zu Tablette entsteht mit der Zeit eine eigene Kopfschmerzform - der medikamenteninduzierte Kopfschmerz. Der durch Gewöhnung und ständige Steigerung der Medikamentendosis entstandene Schmerz kann von dem ursprünglichen Kopfschmerz nicht mehr unterschieden werden.
Schmerz - Medikament - Schmerz
Der medikamenteninduzierte Kopfschmerz verschmilzt sozusagen mit dem ursprünglichen Schmerz und verstärkt diesen. Dadurch erhöht der Betroffene die Medikamentendosis, die wiederum weitere Schmerzen auslöst. Am Ende stehen tägliche Schmerzen und organische Folgeschäden.
Kopfschmerz als Krankheitssymptom
"Damit es gar nicht so weit kommt, sollte man bei regelmäßig wiederkehrende Kopfschmerzen auf jeden Fall den Arzt aufsuchen", meint der Leiter der Schmerzambulanz des AKH Linz, Christian Lampl.

Schließlich können Kopfschmerzen auch ein Symptom organischer Krankheiten sein wie etwa Nieren- und Lebererkrankungen, Blutunterzuckerung, Schilddrüsenunterfunktion und Hirnhautentzündung, um nur einige zu nennen.
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Chronischer Schmerz
ist eingetreten, wenn der Schmerz länger als ein Jahr besteht. Zu den primär chronischen Schmerzen zählen: Migräne, postzosterische Neuralgie, Stumpf- und Phantomschmerz, Cluster-Kopfschmerz etc. Alle bisherigen Therapieversuche sind ohne Erfolg geblieben, zu den eigentlichen Schmerzen sind meist weitere Schäden hinzugekommen. Die psychosozialen Auswirkungen haben den Patienten niedergedrückt. Der Schmerz ist lebensbestimmend geworden.
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Die häufigsten Kopfschmerzformen
Neben dem medikamenteninduzierten Kopfschmerz zählen zu den häufigsten Kopfschmerzformen der Spannungskopfschmerz, von seiner chronischen Form sind vier Prozent der Österreicher betroffen, Migräne, an ihr leiden ca. zwölf Prozent der Bevölkerung, und der Cluster-Kopfschmerz.
Medikamente nur als Ergänzung der Behandlung
Bei der Behandlung dieser chronischen Kopfschmerzen müssen aber nicht unbedingt medikamentöse Therapien im Vordergrund stehen.

Migräne und chronische Spannungskopfschmerzen treten z. B. häufig in Zusammenhang mit Stress- und Konfliktsituationen auf. Daher gehören zu ihrer Behandlung auch psychologisch-verhaltensmedizinische Strategien, Stressbewältigungstraining, Biofeedback und bestimmte muskuläre Entspannungstechniken.
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Der chronische Spannungskopfschmerz
Dieser dumpf-drückende Schmerz beginnt häufig im Hinterhaupt- oder Stirnbereich und breitet sich von dort allmählich über den ganzen Kopf aus. Zu Beginn sind die Schmerzen meistens am Morgen stärker und lassen im Laufe des Tages wieder nach. Sie treten meistens im Zusammenhang mit Stress- und Konfliktsituationen auf, können aber auch anatomisch belastende und falsche Körperhaltungen als Auslöser haben. Treten die Schmerzen häufiger als 15 Tage im Monat auf, dann spricht man von einem chronischen Spannungskopfschmerz.
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Eine multidisziplinäre Behandlung
"Bei der Behandlung von Migräne und Spannungskopfschmerzen können die besten Ergebnisse durch eine fächerübergreifende Behandlung erzielt werden", sagt der ärztlicher Leiter des Caduceus-Zentrums für Psychotherapie, Psychosomatik und Verhaltensmedizin, Michael Bach.

Diese Dreisäulenbehandlung beinhaltet Psychologie, Physiotherapie und die medizinisch-neurologische Behandlung. "Im Rahmen der Zusammenarbeit dieser drei Disziplinen werden auch Schlafgewohnheiten der Patienten überprüft und wenn notwendig umgestellt, Ernährungsumstellungen durchgeführt oder gezieltes Krafttraining zum Aufbau der Muskeln verordnet", so Bach weiter.
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Migräne
Rund zwölf Prozent der Österreicher leiden unter einer besonders quälenden Form des Kopfschmerzes: unter Migräne. Diese Form tritt schubweise in Form von Schmerzattacken auf. Charakteristisch für einen Migräneanfall ist der pochende, stechende Schmerz, der durch Bewegung verstärkt wird. Migräneattacken können vier Stunden bis zu drei Tage andauern. Bei dieser Form des Kopfschmerzes handelt es sich um eine Erkrankung des Gehirns bzw. der Gehirngefäße, die nicht heilbar, jedoch gut behandelbar ist. Sie kann prinzipiell in jedem Alter auftreten, meistens jedoch zwischen der Pubertät und dem 50. Lebensjahr. Frauen sind drei Mal häufiger betroffen als Männer.
->   Migräne
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Schmerzauslöser Psyche
"Gerade bei der Migräne ist die Behandlung mit psychotherapeutischen Methoden sehr zielführend, da es sich um eine 'neurobiologische Krankheit' handelt", so Bach.

"Migräne ist allerdings nicht psychologisch bedingt, vielmehr werden die Schmerzattacken durch psychologische Faktoren wie Stress, Lebensstil oder übertriebenes Perfektionsgefühl ausgelöst." Bach weiter: "Daher zeigen Veränderungen des Lebensstils oder der Beziehungsführung eindrucksvolle Ergebnisse."

So haben internationale Studien gezeigt, dass bio-psycho-soziale Krankheitsmodelle wie die Migräne durch Kombinationstherapien, die auch auf eine Änderung der Lebenssituation abzielen, am erfolgreichsten zu behandeln sind.
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Der Cluster-Kopfschmerz
Der stechende, bohrende Cluster-Kopfschmerz ist der heftigste und stärkste aller Kopfschmerzen. Typisch für diese Form ist ihr saisonal gehäuftes Auftreten im Frühjahr und Herbst. Derartige Schmerzattacken dauern zwischen 15 Minuten und drei Stunden, und können bis zu sieben Mal pro Tag auftreten. Cluster-Kopfschmerzen manifestieren sich meist einseitig und vor allem im Bereich der Stirn, Schläfe und Augenhöhle.
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Biofeedback gegen Kopfschmerzen
Eine typische Auswirkung chronischer Schmerzen ist die Beeinflussung der Psyche und des alltäglichen Verhaltens der Betroffenen. So führen etwa chronische Spannungskopfschmerzen bei 40 Prozent der Patienten zu deutlich erkennbaren depressiven Verstimmungen.

Gerade beim Spannungskopfschmerz kann man mit Biofeedback gute Behandlungserfolge erzielen, meint Prof. Bach. Mit dieser Methode wird das Erleben des eigenen Körpers bewusst gemacht und so Verspannungszustände erlebbar und auch abbaubar gemacht.
Ganz ohne Medikament geht es nicht
"Natürlich werden bei der Behandlung von chronischen Kopfschmerzen auch Medikamente eingesetzt", sagt der Schmerzspezialist Lampl.

Hier reicht die Palette von Antidepressiva über einfache Analgetika bis zu Substanzen wie Tirptane, die in den Entstehungsmechanismus des jeweiligen Schmerzes eingreifen.
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Triptane
...sind so genannte Serotonin-Agonisten. Das bedeutet, sie weisen eine ähnliche Wirkungen wie der Botenstoff Serotonin auf. Serotonin ist ein Neurotransmitter im Gehirn und wesentlich an der Migräneentstehung beteiligt. So konnte nachgewiesen werden, dass der Serotoninspiegel im Blut bei vielen Patienten während eines Migräneanfalles sinkt.

Unter dem Einfluss von Serotonin werden bestimmte Gefäße erweitert, andere verengt. Kommt es nun zu einem Mangel dieses Stoffes, kann er seine regulierende Wirkung nicht mehr ausüben. Triptane verstärken - einfach ausgedrückt - die Serotoninwirkung. Sogar während des Anfalls kann dieser Wirkstoff manchen Patienten Linderung verschaffen.
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Neue Medikamente zur Kopfschmerzbehandlung
"Ab November wir ein neues Triptan in Österreich erhältlich sein", sagt Lampl. "Es wird in zwei Dosierungen auf den Markt kommen und eine weitere Ergänzung zu den herkömmlichen medikamentösen Behandlungsmethoden bilden."

Auch zur Behandlung des Spannungskopfschmerzes gibt es ein neues Medikament - Botulinum-Toxin. "Dabei handelt es sich um ein Nervengift, dass die Übertragung des Nervenimpulses vom Nerv auf den Muskel hemmt", erklärt Lampl.

Solche Medikamente kennt man aus der Therapie von Muskel-Spasmen, der Hyperhydrosis und der "kosmetischen" Faltenbehandlung.
Bei Cluster-Kopfschmerzen hilft nur Sauerstoff
Gängige Schmerzmittel wie Aspirin sind gegen diesen Schmerz völlig unwirksam. Als Akut-Therapie hat sich interessanterweise das Einatmen von 100-prozentigem Sauerstoff bewährt.

Über die Ursache diese Schmerzes herrscht noch Unklarheit. Möglicherweise ist eine Entzündung des sogenannten Sinus Cavernosus, dabei handelt es sich um ein großes, venöses Blutgefäß im Gehirn, für die Cluster-Kopfschmerzen verantwortlich.
Das Ziel einer chronischen Kopfschmerztherapie
Das Endziel der Therapie ist sehr verschieden und hängt vom jeweiligen Patienten ab. Prinzipiell soll der Umgang mit der Krankheit erlernt werden.

"Die Frequenz der Attacken soll reduziert werden, und der Patient soll lernen, mit den Schmerzattacken, die er dann noch hat, umgehen zu können. Also auf die ersten Anzeichen achten, rechtzeitig Gegenmaßnahmen ergreifen usw.", sagt der Neurologe Bach.
Loslassen und entspannen
Je nach Charaktertyp müssen die einen lernen, sich zu entspannen, andere wiederum müssen Veränderungen in ihrem Leben, ihrer Partnerschaft vornehmen und ein anderer Typus muss ganz einfach lernen mit Medikamenten umzugehen.

"Ein typisches Muster, das sich bei Menschen mit chronischen Spannungskopfschmerzen zeigt, ist z. B. übertriebener Ehrgeiz. Das sind Menschen, die sich immer zusammenreißen, die Spannungen über Wochen anhäufen, die eher genussfeindlich sind", sagt Bach.

Migränepatienten dagegen sind eher durch Instabilität und Gefühlsschwankungen gekennzeichnet, so Bach weiter.

Die einen müssten loslassen lernen, die anderen müssten Sicherheit gewinnen. Dann gingen auch die Kopfschmerzen zurück. Das könne aber Wochen und Monate dauern.

Walter Gerischer-Landrock, Ö1-Radiodoktor
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Die Sendung "Der Radiodoktor" informiert sie am Montag, dem 5.11.2001, um 14.05 in Ö1 über multidisziplinäre Therapieformen in der Kopfschmerzbehandlung und über zielführende Strategien für ein Leben mit chronischen Schmerzen.
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->   Deutsche Migräne- und Kopfschmerz-Gesellschaft
->   Stiftung Kopfschmerz
->   Caduceus-Zentrum für Psychotherapie, Psychosomatik und Verhaltensmedizin
Weitere Information zum Thema Schmerz finden sie in science.orf.at unter:
->   Schmerztherapie unter Beschuss
->   Maßgeschneiderte Schmerzmittel
->   Vorsicht bei Selbstbehandlung von Kopfschmerzen
->   Der schlimmste Kopfschmerz
->   Migräne - weit verbreitet, selten behandelt
 
 
 
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01.01.2010