News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Medizin und Gesundheit 
 
Berge als Therapie  
  Die Gipfel, Wände, Grate und Kletterfelsen sind nicht nur Tummelplatz sportlicher Alpinisten. Berge bzw. Bergerlebnisse werden zunehmend auch für therapeutische Zwecke entdeckt.  
Verschiedene Probleme physischer und psychischer Art finden in Bergsportarten wie Klettern, Höhenwandern und Skitouren heilsame Aktivitäten. Schwierige Situationen, Anstrengung, Hunger, Durst und andere auf den ersten Blick unliebsame Erfahrungen werden dabei nicht vermieden, sie sind zum Teil sogar erwünscht.
Klettern als abwechslungsreiche Rehabilitation
Nach Verletzungen an Armen und Beinen, wenn die Beweglichkeit wieder trainiert und die Muskulatur wieder gestärkt werden muss, geht man mit den Patienten immer öfter zum Klettern in Kletterhallen.

In Absprunghöhe, bestens gesichert durch ein Seil und durch Matten am Boden, werden leichte Kletterübungen durchgeführt. Sie sind nach Ansicht des Linzer Unfallchirurgen Günther Straub allemal spannender als im Fitnesscenter ein bestimmtes Gerät vier mal 15 Mal zu betätigen, mit jeweils einer Minute Pause dazwischen.
Abwechslung in der Therapie
Verschiedene Kletterspiele bringen Abwechslung in die Therapie. So kann man etwa dem Patienten an der Kletterwand einen Ball oder eine Frisbeescheibe zuwerfen, der er ausweichen muss ohne von der Wand zu fallen.

Auch verhaltensauffällige Jugendliche profitieren von den Aktivitäten in Kletterhallen oder -gärten. Sie können zum einen ihre Aggressionen an den Wänden abbauen und finden zum anderen durch das Sichern mit dem Seil zu neuem Vertrauen in andere Menschen und in eigene Fähigkeiten.
...
'Hast du mit jemandem Schwierigkeiten hast, dann gehe mit ihm in die Berge'
Diesen koreanischen Spruch macht sich der Alpinist und Managertrainer Georg Bachler aus Abtenau zu nutze. Er geht mit Führungskräften aus der Wirtschaft zum Klettern oder unternimmt mehrtägige Bergtouren und löst in der alpinen Umgebung so manches persönliche und zwischenmenschliche Problem. Denn nach Ansicht des Extrembergsteigers Bachler ¿ er kann auf zahlreiche Erstbegehungen in den Alpen sowie auf einige Achttausender-Besteigungen verweisen ¿ sind es hauptsächlich zwischenmenschliche Probleme zwischen Führungskräften, die Wirtschaftsabläufe blockieren.

Beim Bergsteigen ist man aufeinander angewiesen, das Überwinden schwieriger Passagen schweißt die Wirtschaftsbosse zusammen. Beim Klettern muss sich einer auf den anderen verlassen können. Klettern erfordert klare Entscheidungen im Hier und Jetzt, Ursache und Wirkung liegen sehr eng beisammen. Ein kleiner Fehler würde zum Absturz führen und kann selten ¿ im Gegensatz zum Alltag ¿ abgeschwächt oder verändert werden.
->   Georg Bachlers Arbeit online
...
Rollstuhlfahrer im senkrechten Fels
Die Salzburger Psychologin und Alpinistin Elke Käfer widmet sich auf sommerlichen Integrationscamps des Alpenvereins Jugendlichen mit Behinderungen. Die Klienten leiden unter dem Downsyndrom oder Autismus. Klettern zählt bei den Camps in Weißbach bei Lofer und im Brennergebiet zu den beliebtesten Aktivitäten.

Die Betreuer beginnen mit den Patienten im abschüssigen Waldgelände mit leichten Kletterübungen, um den Behinderten das Vertrauen auf die Sicherungstechnik und auf die eigene Kompetenz zu vermitteln.

In einer zweiten Stufe geht man in gut abgesicherte Klettergärten und klettert mit den Jugendlichen sogenannte Kinderkletterrouten. Teamgeist, Sichern und Gesichert werden sind pädagogisch wertvolle Erfahrungen.
Vertrauen lernen
Auch Rollstuhlfahrer kommen bei diesen Camps nicht zu kurz. Sie können zwar nicht klettern, aber sie können die starke Erfahrung des Abseilens machen, sogar über senkrechte Felsen. Die Behinderten werden dabei von den übrigen Gruppenmitgliedern mittels Flaschenzügen und aufwendigen Sicherungstechniken nach oben transportiert. Die Gruppe unterstützt sich gegenseitig.

Die Behinderten, die von ihren Angehörigen nicht selten überbehütet werden, lernen bei den Klettercamps Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Stolz verweisen sie darauf, dass sie andere beim Klettern sichern können.
->   Obernberger Seminare
Mit Ex-Junkies und Ex-Alkis auf Tour
Suchtpatienten gehen mit dem Psychologen Thomas Legl regelmäßig bergsteigen, im Sommer wie im Winter. Legl ist sozialpsychologischer Leiter des Grünen Kreises, das ist eine drogentherapeutische Einrichtung, aufgeteilt auf mehrere Ortschaften in der Nähe von Schneeberg und Rax.

In der Suchttherapie wird vor allem Ausdauersport betrieben. Bergsteigen, Klettern und Skitourengehen ergänzen dabei das herkömmliche therapeutische Programm.
Dem Körper etwas Gutes tun
20 Prozent der Patienten des Grünen Kreises sind Alkoholiker, 80 Prozent sind Konsumenten illegaler Substanzen. Alle zusammen machen in den Bergen die Erfahrung, dass sie ihrem Körper etwas Gutes tun, nachdem sie ihn jahrelang geschädigt hatten.

Sie profitieren vor allem von der Kargheit der alpinen Landschaft, die etwas Beruhigendes, Meditatives bietet - im Gegensatz zur Reizüberflutung, der ein Suchtpatient häufig ausgesetzt ist.
->   Grüner Kreis
Warum wirken Berge ?
Berge vermitteln elementare Erlebnisse, so der Psychologe und Psychotherapeut Reinhard Skolek von der Niederösterreichischen Landesakademie. In den Bergen spürt man im Gegensatz zum Arbeitsalltag noch den Wind, den Regen, die Kälte.

Hunger, Durst und Anstrengung sind allgegenwärtig ¿ alles Erfahrungen, die aus der modernen Berufswelt so gut wie verschwunden sind, die aber der Mensch benötigt, um sich als Mensch spüren zu können. Berge vermitteln auch so etwas wie Demut, eine wichtige Erfahrung innerhalb der durchstrukturierten und technisierten Umwelt, so Skolek.

In den Bergen werde man sich der Kleinheit bewusst, die man im Angesicht der Unendlichkeit der Natur, des Universums, repräsentiert. Insofern habe der Berg auch religiösen Charakter.
Die Gesichter der Berge
Man kann also guten Gewissens Reinhold Messner beipflichten, wenn er behauptet, dass Berge ihren Charakter und ihre Gesichter haben.

Sie seien zwar keine Lebewesen, aber auch keine tote Materie. Sie sind so etwas wie ein zu Fels oder Eis gewordenes Therapeutikum.

Ein Beitrag von Wolfgang Bauer für das Ö1-Salzburger Nachstudio
->   Österreichischer Alpenverein
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Medizin und Gesundheit 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010