News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Leben 
 
Ein ganz alter Tropfen  
  Wein ist ein edles Getränk - das war möglicherweise bereits den spätbronzezeitlichen Siedlern in Niederösterreich bewusst. Eine Wiener Archäobotanikerin hat bei Ihren vom Wissenschaftsfonds (FWF) geförderten Untersuchungen mit der Bergung von zwei vollständig erhaltenen Weintraubenkernen den Nachweis für den ältesten Kulturwein in Österreich erbracht.  

Bei der vom Wissenschaftsfonds (FWF) geförderten Ausgrabung einer geschlossen verfüllten Grube in Stillfried hat die Archäobotanikerin Marianne Kohler-Schneider vom Institut für Botanik der Universität für Bodenkultur in Wien zwei vollständig erhaltene Kerne vom Kulturwein (Vitis vinifera ssp. vinifera) entdeckt.

Ob die Menschen zur Spätbronzezeit aus den Weintrauben bereits Wein hergestellt haben, ist vorerst allerdings noch ein Geheimnis. Auf jeden Fall kannten sie neben der Wildrebe, die in den Marchauen reichlich wächst, auch den Kulturwein, der aus Südwestasien stammt.
3.000 Jahre alte Weintraubenkerne
Keramikbruchstücke und eine C-14-Datierung der Fundschichten ergaben, dass die Weinkerne tatsächlich aus der Spätbronzezeit stammen, also rund 3.000 Jahre alt sind.

Dies ist der älteste Nachweis von Kulturwein in Österreich und einer der ältesten Belege für diese wichtige Kulturpflanze in Mitteleuropa.
...
Ausgrabungen bei Stillfried a.d. March - Teil I
Obwohl Stillfried zu den bedeutendsten und am besten untersuchten prähistorischen Fundplätzen Ostösterreichs zählt, lagen bislang kaum Informationen zu den agrarischen Lebensgrundlagen der Siedlung vor. Das Forschungsteam rund um Kohler-Schneider konnte mit seiner Arbeit eine wichtige Basis liefern: Die Wissenschaftler zeigten, dass sich der spätbronzezeitliche Ackerbau in Stillfried - etwas 1200 bis 700 v. Chr. - auf eine beträchtliche Vielfalt von Getreidearten, Hülsenfrüchten und Ölpflanzen stützte. Unter den Getreidsorten waren Dinkel, Rispenhirse von größter Bedeutung, gefolgt von Einkorn und Gerste. In geringerem Maß wurden auch Emmer und Kolbenhirse genutzt.
...
Siedler in der späten Bronzezeit
"Unser Ziel ist eine umfassende Rekonstruktion von Ackerbau, Wirtschaftsweise und Landnutzung der spätbronzezeitlichen Siedler von Stillfried", erläutert Kohler-Schneider das Forschungsprojekt.

"Ausgehend von der Analyse verkohlter Pflanzenreste wie Samen, Früchte oder Holzkohlen haben wir in den letzten Monaten ein Kulturpflanzenspektrum erstellt, das sich im überregionalen Vergleich gut in das Gesamtbild der spätbronzezeitlichen Siedlungen Mitteleuropas eingliedert. Es zeigt allerdings auch ganz deutlich mediterranen beziehungsweise südosteuropäischen Einfluss", meint Kohler-Schneider.
Ein seltener Fund
Dies bestätigt neben dem Nachweis des Kulturweins auch der Fund eines bislang nur von wenigen südosteuropäischen Ausgrabungen bekannten "emmerähnlichen Spelzweizen", der Ähnlichkeiten zu Getreidesorten der Schwarzmeer- und Kaukasusregion zeigt.
...
Ausgrabungen bei Stillfried a.d. March - Teil II
Das Wildpflanzenspektrum von Stillfried ist mit 87 nachgewiesenen Arten ebenfalls reichhaltig: Es konnten Arten aus Verlandungsgesellschaften an Fluss- und Seeufern, aus Niedermooren und Nasswiesen oder auch aus Waldrändern und Rasengesellschaften festgestellt werden. Das Artenspektrum liefert den Wissenschaftlern ein zwar selektives, aber sehr aussagekräftiges Bild der Vegetationsverhältnisse im Umkreis der Siedlung. Es zeigt sich, dass die Natur schon damals stark von menschlichen Aktivitäten geprägt war. Für die Forscher besonders bemerkenswert sind die Hinweise auf das Vorhandensein von Grünland, das durch eine Kombination von Weide- und Mähwirtschaft entstanden sein könnte. Rund 75 Prozent der nachgewiesenen Wildpflanzenarten könnten auch als Sammelpflanzen in die Siedlung gelangt sein. Im Spektrum dieser Arten sind nicht nur potentielle Nahrungspflanzen, sondern auch Gift-, Heil-, Färbe- und Faserpflanzen zu finden.
...
Die gesammelten Ergebnisse
Eine erste Zusammenfassung der archäobotanischen Ergebnisse liegt nun in Form einer ausführlichen Publikation vor. Unter anderem hat Kohler-Schneider darin eine Rekonstruktion des landwirtschaftlichen Jahresablaufs im spätbronzezeitlichen Stillfried erstellt, wobei auch nicht-ackerbauliche Tätigkeiten wie Vieh- und Grünlandwirtschaft, Sammelwirtschaft, Jagd, Fischfang und häusliches Handwerk berücksichtigt worden sind.
Planung und Arbeitsteilung
"Das entworfene Szenario macht deutlich, dass das Arbeitsprogramm der prähistorischen Landwirte nur durch ein erhebliches Maß an Planung, Arbeitsteilung und geschickte Kombination vorhandener Ressourcen zu bewältigen war", resümiert die Archäobotanikerin.

Mit Hilfe dieser Ergebnisse werden paläo-ökonomische Modellrechnungen zur Nahrungsversorgung und zur möglichen Einwohnerzahl der Siedlung erstellt werden.
...
Der Katalog
"Verkohlte Kultur- und Wildpflanzenreste aus Stillfried an der March als Spiegel spätbronzezeitlicher Landwirtschaft im Weinviertel, Niederösterreich" von Marianne Kohler-Schneider. Verlag der Akademie der Wissenschaften, 226 Seiten, ATS 560 / Euro 40,70
->   Österreichische Akademie der Wissenschaften
...
Eva-Maria Gruber, Universum Magazin
->   Institut für Botanik
->   Wissenschaftsfonds (FWF)
->   Universum Magazin
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Leben 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010