News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Gesellschaft 
 
Völkermord - rechtzeitig erkennen und verhindern  
  In der Annahme, dass auch künftig Völkermorde begangen werden könnten, sind Strategien zur nachhaltigen Prävention, aber auch die Frage einer angemessenen Reaktion auf bereits geschehene Völkermorde von größter Bedeutung, wenn solche Tragödien in Zukunft verhindert werden sollen.  
Zum Abschluss des internationalen Ö1-Symposions "Völkermord - Geschichte und Prävention" wurden daher Maßnahmen und Strategien einer - wie Thomas Frühwald, Co-Präsident der hans jonas gesellschaft und Mitinitiator des Symposions, betonte - auf Erfolg und Nachhaltigkeit ausgerichteten Prävention dargestellt und diskutiert.
...
UN-Konvention wichtig, aber nicht ausreichend
Mit der Verabschiedung der UN-Konvention über Verhütung und Bestrafung des Völkermords wurde zwar ein Instrumentarium geschaffen, das zur Etablierung einer entsprechenden internationalen Rechtssprechung wie auch weltweiten Sensibilisierung beitrug, de facto aber weitere Völkermorde nicht verhindern konnte.
->   Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes
...
Maßnahmen gibt es viele
Während der Philosoph David H. Jones sich neben verschiedenen Maßnahmen vor allem für die konsequente Durchsetzung des Strafrechts aussprach, plädiert die Medizinerin und Expertin in Fragen der Menschenrechte, Jennifer Leaning für die Entwicklung eines umfassenden Frühwarnsystems, das eine rechtzeitige Erkennung bevorstehender Genozide garantieren soll.
Konsequente Strafverfolgung erforderlich
Die konsequente strafrechtliche Verfolgung von für Genozid Hauptverantwortlichen könnte laut Jones aus mehreren Gründen zum wesentlichen Bestandteil einer erfolgreichen Prävention von Völkermord werden.

Neben dem Abschreckungsargument überzeuge das rechtliche und ethische Argument von der Notwendigkeit eines stärkeren Engagements der Völkergemeinschaft für die Durchsetzung des internationalen Strafrechts.
Rechtsstaatlichkeit garantieren
Die rechtskräftige Verurteilung von militärischen und politischen Führern - als Hauptverantwortliche für Völkermorde - ist für Jones unerlässlich, wenn das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit nicht verletzt werden soll.

Denn niemand stehe über oder unter dem Gesetz. Auch sei die Einhaltung von Gesetzen nicht eine Frage der Freiwilligkeit, sondern eine der Durchsetzung von Regeln durch Zwang.
Gefühle der Vergeltung kanalisieren
Mit dem ethischen Argument griff Jones unter anderem die Problematik der Vergeltung auf, die angesichts von erlebtem Unrecht immer auftritt und der Kanalisierung bedarf, wenn weitere Grausamkeiten verhindert werden sollen.

Dazu eigne sich das Gericht als zentrale öffentliche Institution und Ort eines Rituals, das die Genugtuung der Vergeltung ermöglicht.
Auf Abschreckung beharren
Die häufig geäußerte Skepsis an der abschreckenden Wirkung von Strafverfolgung will Jones nicht gelten lassen, da es keinerlei Daten gebe, die das belegen würden. Allerdings sieht Jones im zögerlichen Vorgehen der internationalen Gemeinschaft eine Abschwächung des Abschreckungsarguments.

Denn leere oder zu spät geäußerte Drohungen wären ihrer Grundlage, der Glaubwürdigkeit, beraubt und somit nutzlos, das Abschreckungsargument wiederum wirkungslos.
->   Mehr über den Vortrag von David H. Jones
Durch Frühwarnsysteme Genozid verhindern
In einem umfassenden Frühwarnsystem, das die Zusammenarbeit der internationalen Gemeinschaft mit den Akteuren und Repräsentanten der Nationalstaaten wie auch den Nichtregierungsorganisationen erfordert, sieht Jennifer Leaning einen Weg, die in der Vergangenheit begangenen Fehler - bevorstehende Genozide nicht rechtzeitig zu erkennen - zu vermeiden.
Bewusst geplante Maßnahmen gehen jedem Genozid voraus
Die spezifische Form der kollektiven Gewaltbereitschaft im Falle von Völkermord erfordert laut Leaning bewusst und rational geplante Maßnahmen, die nicht erst mit dem Tatbestand Völkermord sichtbar werden. "Völkermord geschieht nicht plötzlich, sondern ist in einem Kontext zu sehen."

Da die Ingangsetzung der Tötungsmaschinerie die Mobilisierung von Massen erfordere, die andererseits erst unter bestimmten Umständen möglich ist, sei eine Früherkennung von bevorstehenden Genoziden realistisch, sofern die Signale wahr- und ernstgenommen werden wollen, so Leaning.
...
Frühwarnsignale
Als solche Frühwarnsignale gelten unter anderem: systematisches Ausschließen einer Zielgruppe von positiven Maßnahmen wie Bildung, Stigmatisierung der Zielgruppe, Einschränkung der Pressefreiheit, Entstehung paramilitärischer Organisationen, Vertreibungen und Deportationen der Zielgruppe, rege Waffentransporte in bestimmte Gebiete, Festnahmen, Exekutionen oder Ermordung der Zielgruppe.
...
Information und Kooperation unerlässlich
Die Früherkennung von bevorstehenden Völkermorden setzt jedoch Informationen voraus, die häufig von außen nicht zugänglich sind. Deshalb betont Leaning die Notwendigkeit von Kooperationen mit den Akteuren der Zivilgesellschaft und Nichtregierungsorganisationen.
->   Mehr über den Vortrag von Jennifer Leaning
Eine Frage von Ressourcen
Ungeachtet der unterschiedlichen Positionen, wie der Gefahr neuer Völkermorde und Grausamkeiten auf gesamtgesellschaftlicher Ebene wirksam begegnet werden soll, waren sich die Teilnehmenden des Symposions darin einig, dass eine effiziente Präventionsarbeit auch immer eine Frage der zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel und bereitgestellten Ressourcen sei.

Agnieszka Dzierzbicka, science.orf.at
Weitere Texte zum Symposion:
->   Völkermord: Die Verantwortung der Eliten
->   Völkermord: Zwei Erklärungsansätze
->   Völkermord - "Geschichte wiederholt sich nicht, aber..."
->   Völkermord - Geschichte und Prävention
->   Programm und Referenten des Symposions
...
Bericht in Radio Österreich 1
Eine Zusammenfassung des Symposions ist heute in der Sendereihe Dimensionen um 19.00 Uhr im Radioprogramm Österreich 1 zu hören.
->   Radio Österreich 1
...
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Gesellschaft 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010