News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Medizin und Gesundheit 
 
Die Seuche ist gegessen  
  Die Rindern regelmäßig verabreichten Wachstumshormone seien die Ursache für die BSE-Seuche, so der deutsche Ernährungswissenschafter Udo Pollmer.  
Pollmer, international anerkannt und geschätzt für seine kontroversiellen Analysen, ist der wissenschaftliche Leiter des Europäischen Instituts für Lebensmittel- und Ernährungswissenschaften.
'Krank durch gesunde Ernährung'
Seine Bestseller "Krank durch gesunde Ernährung" und "Lexikon der populären Ernährungsirrtümer" beinhalten Antithesen zu allen aktuellen Trends der Ernährungswissenschaft.
Auch in Sachen BSE ist Pollmers Analyse ein wichtiger Kontrapunkt zu den gängigen Interpretationen. Seine Thesen zum Rinderwahnsinn, zusammengefasst aus einem für Modern Times geführten Interview.
...
Hormonspritzen als Initialzünder
Nicht verseuchtes Tiermehl, so Udo Pollmer, war der Auslöser der Epidemie, sondern die den Hochleistungsrindern regelmäßig verabreichten Wachstumshormone, die aus Rinderhypophysen gewonnen werden. Ist nur eines dieser Gehirne mit BSE verseucht - einer Krankheit die realiter seit mehr als 100 Jahren bekannt ist und immer wieder auftritt -, kommt es zu einem Multiplikatoreffekt.
...
'Embryonentourismus'
Mit dem in der Zucht üblichen "Embryonentourismus" wird, wie Pollmer betont, die Krankheit zur Epidemie. So geschehen in Großbritannien zu Beginn der Neunziger Jahre.
Folgt man Pollmers Analyse, trägt verseuchtes Tiermehl zwar zur Weiterverbreitung bei, allerdings nur als Überträger und nicht als auslösender Faktor für die Krankheit.
...
Das Schaf ist nicht der Sündenbock
Pollmer führt weiter aus, dass Scrapie ¿ eine dem BSE ähnliche Hirnerkrankung bei Schafen ¿ erwiesenermaßen bei Rindern nicht zu BSE führt. Selbst wenn infektiöses Material direkt in den Rinderschädel eingebracht wurde, kam es weder zum bekannten Krankheitsbild, noch waren BSE Prionen nachweisbar. Die Rinder erkrankten vielmehr am Downer Syndrom, das mit BSE nichts zu tun hat. Damit ist das Schaf, laut Pollmer, im Zusammenhang mit BSE sozusagen außer Obligo ¿ selbst dann, wenn an Scrapie gestorbene Tiere zu Futter verarbeitet worden sind.
...
Bio heißt nicht sicher
Eines der ersten BSE Rinder Deutschlands stammt von einem Bio¿Bauern. Für Udo Pollmer Anlass zur Warnung, dass auch biologisch angebaute Produkte bzw. unter "Bio"- Richtlinien produziertes Fleisch nicht automatisch BSE-frei sein müssen. Denn auch Biobetriebe sind genauso auf Zuchttiere angewiesen wie konventionell wirtschaftende Bauern.
Der Übertragungsweg von BSE ist jedoch längst nicht geklärt. Deshalb weist Pollmer eindringlich darauf hin, dass die Erreger nach dem bisherigen Wissensstand auch von Parasiten - wie Zecken oder Milben - übertragen werden könnten. Bei Scrapie sei dies zum Beispiel bereits nachgewiesen.
'Blutmehl auch in Bio-Landwirtschaft'
Parasiten, so Pollmer ironisch, respektieren bekanntlich keine Bio-Zertifikate. Ernsthaft zu analysieren sei jedoch die Tatsache, dass auch im biologischen Landbau Blutmehl als Dünger zugelassen ist. Das macht theoretisch auch die Biokarotte zum potentiellen Krankheitsüberträger, sollte BSE tatsächlich so infektiös sein wie behauptet.
...
'Der Höhepunkt der Seuche liegt hinter uns'
Die Epidemie hatte, wie Pollmer erklärt, ihren Höhepunkt bereits 1992. Schon damals warnte die Fachwelt, dass sich die Seuche nicht auf Großbritannien beschränken werde, da vor der damaligen Sperre Tausende Zuchtrinder allein von Deutschland importiert worden waren. Mit diesen wahrscheinlich auch der Rinderwahnsinn. Pollmer wirft den Verantwortlichen vor, dies gewusst und dennoch die erst jetzt rigoros verordneten Tests unterlassen zu haben.
...
Nun sei allerdings Panik nicht mehr angebracht. Pollmers These: Das aktuelle Risiko ist im Vergleich zur Situation vor 10 Jahren minimal. Das heutige Verbot von Tiermehl sei insofern Heuchelei und nur ein Versuch, vom Versagen während des damaligen Höhepunkt der Epidemie abzulenken.
'Gehirn, Rückenmark und Augen entfernen'
Werden Gehirn, Rückenmark und Augen entfernt, werde das Risiko einer BSE Infektion zu 90 Prozent reduziert, wahrscheinlich sogar bis zu 99 Prozent. Diese Maßnahmen seien einfach und kostengünstig zu bewerkstelligen.
Diese Empfehlung sei bereits vor 10 Jahren gekommen, allerdings aus Kostengründen nicht berücksichtigt worden. Kosten die inzwischen in keinerlei Verhältnis zu dem heutigen finanziellen Aufwand stünden.
'Rindfleisch weiter essen'
Wer in den vergangenen 10 Jahren Rindfleisch gegessen habe, könne dies auch weiterhin tun. Denn sollte BSE so infektiös sein, wie derzeit befürchtet wird, dann hätten sich alle Nichtvegetarier längst angesteckt.
Doch trotz aller Kritik und Skepsis ist auch der Feinschmecker Udo Pollmer selbst heute vorsichtiger beim Fleischkonsum. Bei ihm kommt weder Hirn noch Rückenmark ¿ auch nicht vom Schwein, Schaf oder anderen Tieren ¿ auf den Tisch. Denn beides birgt erwiesenermaßen das größte Risiko in Sachen BSE.



Gernhard Roth
->   Europäisches Institut für Lebensmittel- und Ernährungswissenschaften
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Medizin und Gesundheit 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010