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Neue Technologie für den reinen Orgel-Klang  
  Wenn ein Orgelkonzert schief klingt, muss dies nicht am Organisten liegen. Auch eine falsch dimensionierte Luftzufuhr kann zu Schwankungen in den Orgelpfeifen führen. Eine neue Planungssoftware, die Entwicklung neuer Messverfahren und die alten Erfahrungen von Orgelbauern sollen in Zukunft ein weihnachtlicheres Konzerterlebnis ermöglichen.  
Mit dem Know-how der Orgelbauer und akustischen Messungen entwickelten Judit Angster vom Fraunhofer-Institut für Bauphysik (IBP) und ihre Kollegen eine Software, mit der sich neue Windsysteme planen und bestehende verbessern lassen.

Das komplexe Zusammenspiel der Einzelteile einer Orgel wird ebenso simuliert wie strömungsmechanische Vorgänge. Je nach gewünschter Abklingzeit und Größe der zulässigen Druckschwankung liefert das Programm Werte, wie groß Balg und die anderen Teile des Windsystems für einen ungetrübten Hörgenuss ausgelegt werden müssen.
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Internationales Projekt
Wissenschaftlich untersucht wurden alle Probleme in einer Cooperative Research Action for Technology (CRAFT) der EU, die jüngst erfolgreich abgeschlossen wurde. Neben zwölf Orgelbauern aus ganz Europa beteiligten sich daran das Fraunhofer-Institut für Bauphysik IBP, die Fachhochschule Ostfriesland und die Universität Edinburgh.
->   Cooperative Research Action for Technology
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Das bisherige Problem
Kirchenbesucher, die einem vorweihnachtlichen Orgelkonzert lauschen, brüten in den seltensten Fällen über aerodynamische Probleme. Selbst dann nicht, wenn die Töne in Höhe oder Lautstärke unregelmäßig klingen.

Solche Missklänge entstehen, wenn der Luftdruck im Atemapparat der "Königin der Instrumente" schwankt oder schwingt. Dies weitgehend zu vermeiden hat das Kunsthandwerk des Orgelbaus in den fünf Jahrhunderten seiner Tradition gelernt.

Aber nur weitgehend, denn bislang gab es lediglich empirische Regeln, um die Einzelteile zur Tonerzeugung ausreichend zu dimensionieren und aufeinander abzustimmen. Und dies immer wieder, denn jede große Orgel ist ein Unikat.
Wie die Missklänge mancher Orgeln entstehen
Die Puste einer Orgel erzeugt ein Gebläse. Der richtige "Winddruck" wird in einem Balg mit variablem Volumen eingestellt. Die Luft strömt durch einen verwinkelten Windkanal, steuerbare Tonventile und schließlich durch die Pfeifen.

"Bei plötzlichen Lastwechseln, bedingt durch sich öffnende oder schließende Ventile, reagiert der Balg auf die Änderung des Luftverbrauchs zeitlich verzögert", beschreibt Judit Angster, wie die Missklänge mancher Orgeln entstehen. "Solche Schwankungen können sich bis zu den Pfeifen fortpflanzen."

 


Schematische Darstellung der Funktionsweise einer Orgel
Suche nach dem Originalklang
Nicht viele Renaissance- und Barock-Orgeln sind heute noch originalgetreu erhalten: Im Laufe der Jahrhunderte wurden die Orgelpfeifen meist entsprechend den Hörgewohnheiten und dem musikalischen Geschmack der jeweiligen Zeit immer wieder verändert.

Nur wenige im Urzustand erhaltene Pfeifen geben heute noch Hinweise auf den Klang und die Bauweise der alten Instrumente.
Neue Wege der Rekonstruktion
Am Institut für Physik der Universität Potsdam versucht man bei der Rekonstruktion historischer Orgeln neue Wege zu finden. Im Mittelpunkt der Forschungen steht die Entwicklung eines objektiven und reproduzierbaren elektroakustischen Messverfahrens zur Analyse historischer und moderner Instrumente.
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Individuelle Prägung der Instrumente
Im Laufe von über einem Jahrhundert der Forschung - schon 1877 veröffentlichte der aus Potsdam stammende Physiker Hermann von Helmholtz in seiner "Lehre von den Tonempfindungen" die erste wichtige Arbeit über Orgelpfeifen - ist es bisher nicht gelungen, die komplexen Vorgänge in einer Orgel vollständig zu verstehen. Manche empirischen Erkenntnisse über die Klangerzeugung, über Generationen von Orgelbauern weitergegeben, können bis heute nicht physikalisch erklärt werden. Dazu zählt insbesondere die Auswirkung von Material und Querschnittsverlauf der Pfeifenwandung. Doch gerade hier offenbaren sich die feinen Unterschiede zwischen historischen und modernen Instrumenten: Die historischen Pfeifen entstanden vollständig in Handarbeit und erhielten so eine individuelle Prägung, die bei der modernen Fertigung mit maschineller Unterstützung nur schwer nachzuvollziehen ist.
->   Mehr zu Orgelpfeifen
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Schwingungsverhalten alter Orgeln
Die Physiker konzentrieren sich daher darauf, das Schwingungsverhalten und die Schallabstrahlung alter Orgelpfeifen zu untersuchen und nach Möglichkeit auch vorherzusagen.

Das entscheidende Problem bei der messtechnischen Untersuchung liegt dabei in der Diskrepanz zwischen Messtechnik und menschlicher Wahrnehmung: Klangliche Feinheiten, die im Ohr des Musikers Welten ausmachen, lassen sich mit den klassischen elektroakustischen Messverfahren kaum aufspüren.
Charakteristische Klangfarbe erfassen
Ein neu zu entwickelndes Messverfahren muss auf Basis von Schalldruckpegelmessungen im diffusen Schallfeld eine zeitabhängige Spektralanalyse zur Erfassung der charakteristischen "Klangfarbe" und der Ein- und Ausschwingvorgänge ermöglichen, kombiniert mit mechanischen Schwingungsmessungen.

Von besonderem Interesse ist dabei die zeitliche Entwicklung der einzelnen musikalischen Teiltöne der Orgelpfeife in Betrag, Frequenz und Phase. Bisherige Untersuchungen haben gezeigt, dass Einflüsse von Material und Querschnittsverlauf der Pfeifenwandung, die bisher nicht eindeutig nachgewiesen werden konnten, hier gut abzulesen sind.

Gelingt es, auf diese Weise klangentscheidende Konstruktionsmerkmale historischer Instrumente zu bestimmen, so kann schließlich auch aus einer einzelnen erhaltenen Orgelpfeife das ganze Register vollständig rekonstruiert werden.
->   Fraunhofer-Institut für Bauphysik (IBP)
->   Physik der Universität Potsdam
 
 
 
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01.01.2010