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Was wäre wenn: Pocken als biologische Waffe  
  Seit dem Anschlag auf das World Trade Center und dem Auftauchen der Anthrax-Briefe hat die Angst vor dem Einsatz biologischer Waffen weltweit zugenommen. Würden Pockenviren als biologische Waffe eingesetzt, könnte sich die Krankheit innerhalb kürzester Zeit epidemieartig verbreiten. Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Studie. Allein in den ersten Stunden nach der Freisetzung des Pockenvirus würde eine infizierte Person zehn bis zwölf weitere anstecken.  
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) erklärte 1979 die Pocken offiziell für ausgerottet. Seit 1980 wird die immunisierende Pockenimpfung nicht mehr durchgeführt. Daher wird der Impfstoff auch kaum mehr produziert.

Diese Tatsachen und der Verlust der natürlichen Immunität würden laut Steve Leach vom "Centre for Applied Microbiology and Research" in Porton Down, UK, die Gründe für die verheerenden Folgen einer heutigen Pockenepidemie sein. Dies erklären die Forscher in der aktuellen Ausgabe von "Nature".
Nur rasche Gegenmaßnahmen könnten Epidemie aufhalten
Obwohl rund die Hälfte aller in der westlichen Hemisphäre lebenden Menschen gegen das Pockenvirus geimpft sind, könnte nur durch eine rasche Erkennung der Krankheit und unmittelbar eingeleitete Gegenmaßnahmen der Ausbruch einer Epidemie verhindert werden.

Die Ergebnisse dieser Studie stehen im Gegensatz zu einem Modell, das Wissenschaftler des "US Center for Disease Control and Prevention" in Atlanta erstellt haben. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass zumindest die Vereinigten Staaten genug Impfstoff besitzen, um ein epidemieartiges Auftreten von Pocken kontrollieren zu können.
Die Studie von Steve Leach und Kollegen wurde in der Fachzeitschrift "Nature" veröffentlicht (Bd. 414, S. 748-751/ kostenpflichtig)
->   Nature
Das Modell des Centers for Disease Control wurde im Fachmagazin Emerging Infectious Diseases veröffentlicht.(Bd 7, S. 95-969)
->   Emerging Infectious Diseases
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Pocken
Die Pocken sind eine durch Viren hervorgerufene, hochgradig ansteckende, lebensgefährliche Infektionskrankheit, die zu typischen Hautveränderungen führt. Auf Grund der hohen Ansteckungskraft breiteten sich die Pocken rasch aus. Pockenviren rafften Millionen von Menschen hinweg, und bei Kleinkindern lag die Sterblichkeitsrate nach Ausbruch der Erkrankung sogar bei 80 Prozent. Nach einer zehn- bis 13-tägigen Inkubationszeit und einigen Tagen fieberhaften Initialstadiums treten bei den Pocken im Gesicht und auf der ganzen Haut Pusteln hervor, die mit der Zeit eitern und abtrocknen. Bei besonders schwerem Krankheitsverlauf fließen die Pusteln ineinander und entstellen den Körper, besonders das Gesicht, auf eine "Schrecken erregende" Weise.
->   Mehr Informationen über Pocken
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Lehren aus der Vergangenheit
Um die Auswirkungen einer heutigen Pockenepidemie prognostizieren zu können, studierten Leach und sein Kollege Raymond Gani Aufzeichnungen über historische Pockenausbrüche. Sie analysierten dabei Pockenausbrüche vor der Zeit der Schutzimpfung, wie z. B. die Epidemien im Jahre 1721 in Massachusetts und Boston und auch das Auftreten der Krankheit nach der Erfindung der Schutzimpfung, wie den Pockenausbruch im London des 20. Jahrhunderts.

Die Wissenschaftler berücksichtigten bei ihren Berechnungen den Grad der natürlichen Immunität auf Grund der vorherigen Kontakte mit der Krankheit und errechneten für jeden Pockenausbruch die wahrscheinliche Anzahl der Sekundärinfektionen, die jeder Infizierte verursacht.
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Die Entwicklung der Schutzimpfung, Teil I
Bereits vor über 3000 Jahren entdeckte man in Asien, dass schon nach einem leichten Verlauf einer Pockeninfektion ein Schutz gegen Wiederansteckung bestand. Da nach der Bewältigung der Erkrankung die Menschen gegen natürlich auftretende Pockenviren geschützt sind, injizierte man im asiatischen Raum eine wässrige Lösung von Pockenkrusten in die Haut, und in China wurden getrocknete Krusten in die Nase geblasen. Dieses Wissen und die Methode der "Variolation" wurden im Jahre 1718 durch Lady Wortley-Montagu nach Europa gebracht. Sie ließ das intrakutane Einbringen von Sekret an sechs Strafgefangenen ausprobieren - eine "barbarische" Vorgehensweise, aber von Erfolg gekrönt. Diese Form der Prävention verbreitete sich und wurde daraufhin auch im deutschsprachigen Raum eingesetzt. Ausgereift bzw. ungefährlich war diese Methode freilich noch nicht, es starben immerhin zwei bis drei Prozent der Menschen nach der Impfung.
->   Seuchengeschichte der Pocken
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Ergebnisse wichtig für Katastrophenplanung
Leach und Gani kommen zu dem Schluss, dass im Falle eines neuerlichen Auftretens der Pocken jeder Infizierte durchschnittlich vier bis sechs weitere Krankheitsfälle nach sich ziehen würde. Zu Beginn des Pockenausbruchs, wenn die Krankheit noch nicht entdeckt ist, würde die Zahl der Ansteckungen pro Infizierten auf zehn bis zwölf ansteigen.

Die Ergebnisse der Wissenschaftler könnten vor allem für die ersten Schritt der Katastrophenplanung wichtig sein. Denn wenn man davon ausgeht, dass bei einem Terrorakt nur etwa 100 Menschen infiziert werden, so sprengt die daraus resultierende Epidemie schnell die vorhandene medizinische Infrastruktur.
Gesundheitswesen wäre rasch überlastet
Ein großer Teil der Patienten wäre schwer krank und müsste stationär versorgt werden. Um eine Ausbreitung des Virus über die Luft zu vermeiden, müsste dies aber in Räumen geschehen, die mit einem Unterdrucksystem ausgerüstet sind. Nur wenige Krankenhäuser verfügen über solche Infrastruktur.

Kaum einer der derzeit praktizierenden Ärzte hat je einen Pockenkranken gesehen. Bei einem Ausbruch müssten die Mediziner also erst einmal trainiert werden, die richtige Diagnose zu stellen. Gleichzeitig muss aber mit der Impfung von Kontaktpersonen begonnen werden. Denn die Impfung wirkt nur dann, wenn die Vakzine innerhalb von vier Tagen nach der Ansteckung verabreicht werden.
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Die Entwicklung der Schutzimpfung , Teil II
Den Durchbruch schaffte der Landarzt Edward Jenner im Jahre 1796. Er entnahm nun sein "Serum" aus den Pusteln einer infizierten Kuhmagd und injizierte es einem kleinen Buben. Obwohl der Bub sechs Wochen und ein zweites Mal sechs Monate später "echte" Pockenviren injiziert bekam, wurde er nicht krank.
Daraufhin startete der Siegeszug der Vakzination (vom lat. "vaccinia" - Kuhpocken), und der Grundstein für Schutzimpfungen war gelegt. Es sollten jedoch noch fast 80 Jahre vergehen, ehe Forscher wie Pasteur, Robert Koch oder Emil von Behring die Grundlagen für moderne Schutzimpfungen legten.
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Praxis wichtiger als Theorie?
"Wenn es zu einem Ausbruch der Pocken auf Grund eines biologischen Krieges kommen würde, dann wären die Hauptprobleme eher praktischer Natur", sagt der Epidemieloge Jaques Valleron des St Antoine Institute for Health Research in Paris.

Er glaubt, dass in diesem Fall die Überwachung der Seuche und die gezielte Verteilung der Impfstoffvorräte weit wichtiger sind als das theoretische Wissen über die Seuchenausbreitung.
Gefahren sollten nicht unterschätzt werden
Die Studie des "Centers for Disease Control" berücksichtigt daher, im Gegensatz zu Leach, auch die logistischen Seiten und Reaktionszeiten der Seuchenbekämpfung. Diese Studie hat allerdings nicht die natürliche Immunität, durch die die Bevölkerung früher geschützt war, berücksichtigt.

Das könnte einer der Gründe für das optimistischere Bild dieser Studie sein, meint Leach. "Wir sollten die Reichweite der Maßnahmen, die wir benötigen, um eine Epidemie zu kontrollieren, nicht leichtfertig unterschätzen."
->   Centre for Applied Microbiology and Research
->   Centers for Disease Control and Prevention
 
 
 
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01.01.2010