News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Leben .  Medizin und Gesundheit 
 
Einem tödlichen Bakterium auf der Spur  
  Viele krankheitserregenden Bakterien sind der Wissenschaft schon Jahrzehnte bekannt. Doch 1982 entdeckte man das schnell mutierende Bakterium "Helicobacter pylori", dass durch die Verursachung von Magengeschwüren und Magenkrebs jährlich für den Tod von sieben Millionen Menschen verantwortlich ist. Jetzt ist es Wissenschaftlern gelungen, zu verstehen, wie das tödliche Bakterium die Degeneration der Magenzellen hervorruft und so Krebsvorläuferstadien entstehen.  
Dies berichten Masanori Hatakeyama von der 'Hokkaido University' und Kollegen im japanischen Sapporo, in der aktuellen Ausgabe von Science Express.
Artikel in 'Science Express' unter "SHP-2 Tyrosine Phosphatase As an Intracellular Target of Helicobacter pylori CagA Protein"
->   Artikel in 'Science Express'
Gesteigertes Risiko
Menschen, die sich mit Helicobacter pylori infizieren, haben im Gegensatz zu Nichtinfizierten eine bis zu sechsfach höhere Wahrscheinlichkeit, an Lymphdrüsen- oder Magenkrebs zu erkranken.

Wenn das Bakterium Helicobacter die Magenwände infiziert, dann verlängern sich die Magenzellen, bis sie schließlich die Form eines Kolibrischnabels haben. Das Bakterium injiziert dabei den Magenzellen ein Protein namens CagA, wo dieses mit so genannten Phosphatgruppen markiert wird.

Das Hinzufügen- oder Entfernen der Phosphatgruppen bei Proteinen kann zur Veränderung von Zellsignalen führen, was wiederum Krebs auslösen können, erläutern die Mediziner.
Der Mechanismus des CagA-Proteins
Um dem genauen Mechanismen des Proteins auf die Spur zu kommen, erstellten die Forscher ein detailliertes Modell, wie das Protein CagA mit den Magenzellen interagiert.

Dazu wählten sie den "hepatocyte growth factor" (HGF) aus, eine Substanz, die bei Magenzellen fast die selben Wirkungen hervorruft wie das Protein CagA. Genauer gesagt verändert der HGF-Rezeptor das Signalprotein SHP-2 der Magenzellen.

Daraufhin überprüften sie in einer Versuchsanordnung, ob das dem HGF ähnliche CagA-Protein dieselben Wirkungen hervorruft.
...
Helicobacter
Helicobacter pylori ist ein Bakterium, ca. drei Tausendstel Millimeter groß. Es besitzt eine spiralige, leicht gekrümmte Form und mehrere Geißeln. Mit diesen kann es sich schnell bewegen. In der Schleimhautschicht des Magens findet Helicobacter pylori ideale Lebensbedingungen. Diese hat genau den richtigen Anteil an Sauerstoff, den das Bakterium für seine Vermehrung braucht. Gleichzeitig schützt die Magenschleimhaut das Bakterium vor der agressiven Magensäure. Zusätzlich dazu bildet Helicobacter pylori einen Stoff, der in den Stoffwechsel der Magenschleimhautzellen eingreift und indirekt dafür sorgt, dass zu viel Magensäure produziert wird. Es kommt zu einer chronischen Entzündung. Giftstoffe, die direkt vom Bakterium abgesondert werden, greifen direkt die Magenschleimhaut an. So können Geschwüre auch ohne die vermehrte Produktion von Magensäure entstehen.
->   Mehr zur Helicobacter-Infektion
...
Das erwartete Ergebnis
Das Modell der Wissenschaftler konnte durch die Versuche bestätigt werden. Sie fanden heraus, dass das CagA-Protein direkt das SHP-2-Signalprotein der Magenzellen beeinflusst.
Das bedeutet, dass das CagA-Protein sich in das zelluläre Signalsystem der Magenzellen "einklinkt" und dieses massiv stört.

Dies wiederum erhöht laut Hatakeyama die Wahrscheinlichkeit, dass die gestörten Magenzellen sich zu Krebsvorläuferzellen weiterentwickeln.
Ein wichtiger Schritt
Für den Zellbiologen Brett Finlay stellen die neuen Ergebnisse "einen großen Schritt vorwärts" dar, in der Hoffnung eines Tages in das von 'Helicobacter pylori' ausgelöste Geschehen heilend eingreifen zu können.
Helicobacter: Ein Meister der Mutation
Warum Helicobacter pylori bisher so schwer in den Griff zu bekommen ist, liegt nach einer neuen Studie auch daran, dass das Bakterium sein Erbgut mit hoher Geschwindigkeit ändert.

Dies berichten die Mikrobiologen Sebastian Suerbaum und Christian Kraft vom Institut für Hygiene und Mikrobiologie der Universität Würzburg sowie Daniel Falush und Mark Achtman vom Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie in Berlin mit mehreren US-Forschern in der kommenden Ausgabe der "Proceedings of the National Academy of Sciences" (PNAS).
->   Proceedings of the National Academy
of Sciences (kostenpflichtig)
Mutationen schon nach 1,8 Jahren
Die Wissenschaftler haben Paare von Helicobater-Stämmen untersucht, die im Abstand von minimal drei Monaten bis zu maximal vier Jahren aus ein und demselben Patienten isoliert wurden.

Durch die Analyse von Stichproben des Bakterienerbguts konnten sie bei 11 der 24 Stammpaare bereits nach der kurzen Zeit von durchschnittlich 1,8 Jahren Veränderungen des Erbguts nachweisen.
->   Mehr zu Helicobater
...
Mutation
eine Abänderung im Erbgut eines Lebewesens. Mutationen treten spontan oder unter dem Einfluss von Mutagenen auf. Spontane Mutationen sind ein Evolutionsfaktor. Chemisch ist eine Mutation eine Änderung der vorliegenden Nukleinsäuresequenz der Gene.

1. Genmutationen: entstehen durch Einbau von Basenanalogen oder durch chemische Veränderung der Basen innerhalb eines Gens. Die Chromosomenstruktur bleibt unverändert. Größere Genmutationen sind Inversionen, Translokationen und Duplikationen; bei Deletionen gehen Genbruchstücke verloren.
2. Chromosomenmutationen: Veränderungen der Struktur eines oder mehrerer Chromosomen.
3. Ploidie- oder Genommutationen: Veränderungen der Zahl ganzer Chromosomen oder Chromosomensätze.
4. Plasmon- und Plastidenmutationen: Abänderungen plasmatischer Erbfaktoren bzw. der Plastiden.
...
Mathematisches Modell
Mit einem eigens für diese Untersuchung entwickelten
mathematischen Modell haben die Wissenschaftler berechnet, dass sich das Erbgut der Bakterien im Verlauf eines Infektionsjahres rund 60 Mal verändert.

So können die Bakterien innerhalb von nur 41 Jahren die Hälfte ihres Erbguts austauschen - "eine verglichen mit anderen Bakterien enorm hohe genetische Flexibilität", so Suerbaum.
Erbgut eines anderen Stammes aufgenommen
Die genetischen Veränderungen kommen dadurch zu Stande, dass die Bakterien kleine Stücke der DNS von einem anderen Helicobacter pylori-Stamm aufnehmen und dann mit ihrem eigenen Erbgut vereinigen.

Die in diesem Ausmaß noch nie beschriebenen dynamischen Veränderungen des Erbguts helfen dem Erreger wahrscheinlich, sich immer wieder neu an den Menschen anzupassen, der ihn beherbergt.

Die Wissenschaftler mahnen an, dass die enorme genetische Flexibilität von Helicobacter bei der Entwicklung von Impfstoffen und neuen Therapeutika beachtet werden müsse, damit die Erreger die neuen Substanzen nicht sofort unterlaufen können.
->   Institute of Hygiene and Microbiology
->   Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie in Berlin
->   'Hokkaido University' Sapporo
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Leben .  Medizin und Gesundheit 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010