News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Medizin und Gesundheit .  Gesellschaft 
 
Behinderte beim Arzt - Die Theorie in der Praxis  
  Behinderte Menschen müssen oft um ihre Rechte kämpfen. Ob rollstuhlgerechte Bauweise oder Gebärdendolmetscher für Gerichtsverhandlungen mit Gehörlosen - die Stolpersteine für Menschen mit besonderen Bedürfnissen sind allgegenwärtig und oft nur schwer aus dem Weg zu räumen. Extrem belastend sind zusätzlich die "menschlichen Ausrutscher" der Umwelt, im speziellen die der Mediziner.  
Zahlreiche Betroffene fühlen sich den Ärztinnen und Ärzten im wahrsten Sinne des Wortes "ausgeliefert", und nicht selten sind bei den Experten Defizite im Umgang mit behinderten Menschen zu bemerken.
Jeder zehnte EU-Bürger ist betroffen
Betroffen sind viele: Eine heuer erstmals durchgeführte EU-weite "Eurobarometer-Erhebung" zum Thema behinderte Menschen hat ergeben, dass etwa 38 Millionen Europäer unter irgend einer Form von Behinderung leiden, das ist immerhin jeder zehnte EU-Bürger.

Die gleiche Erhebung hat aber auch ergeben, dass mehr als 97 Prozent der 16.000 befragten Menschen für größere Anstrengungen plädieren, um Behinderte stärker in die Gesellschaft zu integrieren. Und immerhin 93 Prozent sind der Ansicht, man sollte mehr Mittel aufbringen, um Schranken abzubauen, mit denen sich Behinderte konfrontiert sehen.
...
Eurobarometer-Umfragen
Eurobarometer-Umfragen werden im Auftrag der Europäischen Kommission seit den 1970er Jahren durchgeführt. Seit rund 10 Jahren werden ergänzend zu den Standart-Erhebungen auch Befragungen zu speziellen Themen vorgenommen. Zuständig sind jeweils nationale Meinungsforschungsinstitute.
->   Informationen zu den Eurobarometer-Umfragen
...
Der Kampf der Behinderten gegen "Windmühlen"
Doch so positiv diese Einstellung der Menschen in Europa wirkt, es gibt eine Gruppe, die davon kaum etwas merkt: die Behinderten selbst. Sie kämpfen weiter gegen materielle, bauliche und menschliche "Windmühlen".
Falsche Erwartungen und fehlende Erfahrung
"Ärzte werden in der Regel als Experten für Behinderte angesehen, was sie allerdings oft nicht sind. Ein Zahnarzt etwa muss sich in seiner Ausbildung ebenso wenig im geeignetem Umgang mit "nicht der Norm entsprechenden" Menschen üben, wie Orthopäden, Chirurgen und andere," sagt Ernst Berger, Vorstand der Neuropsychiatrischen Abteilung für Kinder und Jugendliche mit Behindertenzentrum am Krankenhaus Rosenhügel.

Entsprechende Unsicherheiten und Fehlreaktionen von Ärzten und Ärztinnen sind gegenüber den Betroffenen ebenso anzutreffen, wie bei der übrigen Bevölkerung - mit dem Unterschied, dass viele Menschen aufgrund ihrer Behinderung besonders oft in medizinischer Behandlung sein müssen. Und so entsteht mitunter der täuschende Eindruck, dass sich gerade Ärzte häufig falsch verhalten.
Recht auf Information?
Eine Betroffene berichtet: "Bei mir ist es so, dass manche Fachärzte mich per du anreden ohne nachzudenken. Wenn ich etwas dazu sage, entschuldigen sie sich entweder, oder sie werden ganz verlegen. Über meinen Krankheitszustand wurde mit mir persönlich früher nicht gesprochen. Leider habe ich dass erst später durch Zufall bei einem Gespräch mitgehört. Ich habe mit meinen Eltern darüber geredet und sie haben mir dann alles erzählt. Leider war mein früherer Arzt nicht offen und ehrlich zu mir, da er mir das nicht persönlich gesagt hat."
"Normale" Probleme
Eines der größten Probleme für Betroffenen ist die "Defizitorientiertheit" der Schulmedizin. Kommt eine Mutter mit ihrem behinderten Kind zur Untersuchung, so hört sie oft nur, was alles nicht funktioniert, nicht der Norm entspricht oder nicht "repariert" werden kann.

Doch auch das ist vermutlich ein allgemeines Problem der Schulmediziner, welches allerdings bei Behinderten häufig besonders belastend wirkt.
...
Auch mit Behinderten kann man reden
Eine Betroffene regt an: "Wenn ein Behinderter mit einer Begleitperson zum Arzt geht, soll der Arzt nicht mit der Begleitperson sprechen, sondern auch mit der betroffenen Person. Ich finde, dass jeder das Recht hat, die Wahrheit zu erfahren - egal ob das jetzt positiv oder negativ ist. Sie sollen uns wie Erwachsene behandeln, nicht wie ein Kleinkind."

Bericht eines Behindertenbetreuers: "Ich sehe die Schwierigkeit, wenn Behinderte beim Krankenhausbesuch von ihrer Behinderung losgekoppelt werden. Behinderte bräuchten Zeit beim An- und Auskleiden, die oft nicht, oder nur sehr missmutig, gewährt wird. Zudem bräuchten geistig Behinderte Geduld sowie einfache und genaue Erklärungen, was mit ihnen geschieht."
...
Von der Schwangerschaft bis zum Sterbebett
Das mitunter problematische Spannungsverhältnis zwischen Ärzten und Patienten beginnt oft bereits vor der Geburt durch pränatale Untersuchungen mit Verdacht auf eine Behinderung des Ungeborenen.

Im Laufe des Lebens müssen viele Behinderte zahlreiche Kämpfe ausfechten, um von den Medizinern nicht als "interessantes Arbeitsmaterial" betrachtet zu werden, und sogar am Sterbebett sind Betroffene manchmal immer noch mit einer festgefahrenen Ärzte-Sichtweise konfrontiert.
"Patscherte Ärzte"
Den Kontakt zwischen Ärzten und Behinderten in das Medizinstudium zu "implementieren", würde, so der Neurologe Berger, die Situation auch nicht zwangsläufig verbessern.

Denn "auch praktizierende Ärzte haben keine ausführliche Gelegenheit Erfahrung mit Behinderten zu machen", kritisiert Berger. "In der Folge verhalten sich die Ärzte halt oft "patschert".

Gernot Uhl, Redaktion Radiodoktor
->   Österreich 1
Integration:Österreich - Elterninitiative für gemeinsames Leben behinderter und nichtbehinderter Menschen
->   Integration:Österreich
Behindertenberatungszentrum BIZEPS - Zentrum für Selbstbestimmtes Leben
->   BIZEPS
Österreichische Arbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (ÖAR) - Dachverband aller Behindertenverbände Österreichs
->   ÖAR
->   Ethikkommission FÜR die österreichische Bundesregierung
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Medizin und Gesundheit .  Gesellschaft 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010