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Gicht: Folge üppiger Gaumenfreude  
  Wer einmal einen Gichtanfall hatte, weiß was Schmerzen bedeuten. Das betroffene Gelenk ist gerötet, geschwollen und extrem berührungsempfindlich. Gerade an den Weihnachtsfeiertagen und beim Rutsch ins neue Jahr wird das gesellige Beisammensein der Familie mit einem üppigen Mahl gekrönt, die Folge kann allerdings ein solcher schmerzhafter Gicht-Anfall sein.  
So köstlich Speisen mit Fischroggen, Innereien, Fleisch oder Hülsenfrüchten schmecken, so schmerzhaft folgt bei zirka drei Prozent der Österreicher der Gichtanfall sprichwörtlich und tatsächlich auf dem Fuß. Denn bei 60 Prozent der Fälle ist es das Grundgelenk der großen Zehe, das vom akuten Gichtanfall betroffen wird.
Ursachen der Gicht
Bei der Gicht handelt es sich um eine Störung des Purinstoffwechsels, dessen Endprodukt die Harnsäure ist. Purine, wie z.B. Adenin und Guanin, sind Bestandteile der DNA beziehungsweise RNA, also des genetischen Materials des Zellkerns und kommen somit in allen menschlichen und tierischen Zellen vor.
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Purine
Purine sind lebensnotwendige Bausteine der Zellen. Sie werden bei der ständigen Erneuerung von Zellen im menschlichen Körper freigesetzt und anschließend zu Harnsäure abgebaut. Die durch Speisen zugeführte Purine unterliegen ebenfalls dem Abbauprozess in der Harnsäure.
->   Mehr über Purine
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Übersteigt die Konzentration der Harnsäure im Blut mehr als 6,4 mg/dl, so spricht man von einer Hyperurikämie (griech.: "zu viel Harnsäure im Blut"). Es kann nun zu Ablagerungen von Harnsäurekristallen in Gelenken und anderen Geweben kommen. Diese Ablagerungen in den Gelenken führen zu den typischen Symptomen der Gicht.
Unerwartet und schmerzhaft - der erste Gichtanfall
Gichtanfälle treten völlig überraschend und häufig in den Nachtstunden auf. Meist haben die Betroffenen ein üppiges Mahl und/oder reichlich Alkohol am Abend davor genossen.

In etwa zwei Drittel der Fälle ist das Grundgelenk der großen Zehe (Podagra) betroffen, das rötlich-violett anschwillt, heiß wird und stark zu schmerzen beginnt. Schon leichte Berührungen oder der Druck der Bettdecke können unerträgliche Schmerzen auslösen. Oft lassen die Beschwerden in den Morgenstunden nach, sie können aber in den nächsten Tagen anfallsartig wieder zurückkehren. Begleitsymptome des Gichtanfalls können Fieber, Kopfschmerzen und allgemeines Krankheitsgefühl sein.
Häufige Anfälle führen zu bleibenden Schäden
Ein einzelner Gichtanfall zieht meist noch keine bleibende Schädigung des Gelenkes nach sich. Treten die Anfälle aber gehäuft auf oder wird die Gicht gar chronisch, kommt es zu einer Zerstörung des Gelenkknorpels, der Knochen und der Sehnen. Die Folge: Dauerhafte Gelenkschäden mit Bewegungseinschränkungen.

Nach längerer Krankheitsdauer kann es an Füßen, Händen, Ohrmuscheln, Schleimbeuteln, Gelenken und knapp unter der Haut zu bizarren Verwachsungen kommen, den so genannten Gichtknoten. Die Gefahr von ernsten Komplikationen wie Nierensteine oder Harnsäureeinlagerungen im Darm ist heutzutage kaum mehr gegeben, denn die Schmerzen des Gichtanfalles führen die Patienten in der Regel rasch zum Arzt.
Die primäre Gicht
"Von der sogenannten primären Gicht", so der Experte Johann Bröll, "ist die Mehrzahl der Patienten betroffen. Der genaue Erkrankungsmechanismus ist nicht völlig geklärt. Man weiß aber, dass Enzymdefekte vorliegen, die zu einer Störung des Harnsäureabbaus im Blut führen. Diese Enzymdefekte können übrigens bei ca. 20% der Bevölkerung festgestellt werden."

Zum Glück entwickeln aber nicht alle diese Menschen eine manifeste Gicht. Denn im Normalfall reicht die Ausscheidungskapazität der Nieren trotz der genetischen Beeinträchtigung aus, um einen Harnsäurerückstau zu verhindern.
Die sekundäre Gicht
Zur sekundären Gicht kann es im Rahmen von Krebserkrankungen wie Leukämien (erhöhter Zelluntergang), bedingt durch Medikamente (Zytostatika) oder im Zuge von Nierenfunktionsstörungen (Harnsäure wird im Blut zurückgehalten) kommen.

Die Gicht ist übrigens eine, entwicklungsgeschichtlich betrachtet, recht alte Erkrankung.
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Vor 80 Millionen Jahren
Es gibt Hinweise, dass bereits fleischfressende Dinosaurier - Spezies an einer der Gicht ähnlichen Erkrankung litten: Ende 2000 wurden von amerikanischen Forschern Harnsäureablagerungen in den Fingergelenken eines Tyrannosaurus Rex gefunden. Ähnlich wie beim Menschen dürfte die fleischreiche Nahrung bei den Dinos die Ursache für die schmerzhaften Ablagerungen gewesen sein.

Bis ins vorletzte Jahrhundert galt die Gicht, im Volksmund auch Zipperlein genannt, als die Krankheit der Könige. Denn nur die Reichen waren in der Lage, sich von jenen Lebensmitteln zu ernähren, die Gicht auslösen können.
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Die Diagnose der Gicht
"Die Diagnose des akuten Gichtanfalls", so der Stoffwechselspezialist Johann Bröll, "ergibt sich aus dem charakteristischen Bild der Beschwerden. Bereits vorher können Erhöhungen der Harnsäurekonzentration im Blut Arzt und Patient als Warnung dienen. Allerdings hat eine Erhöhung des Harnsäurespiegels noch keinen Krankheitswert. Mit anderen Worten: Wir sind dazu übergegangen, erhöhte Harnsäurewerte nicht sofort mit Medikamenten zu behandeln, sondern empfehlen den Betroffenen zunächst eine Diät."

Liegt bereits ein chronisches Krankheitsstadium vor, finden sich Gichtknoten sowie Gelenkveränderungen im Röntgenbild. In unklaren Fällen kann eine Punktion des Gelenks durchgeführt werden. In der punktierten Flüssigkeit sind dann die Harnsäurekristalle leicht nachzuweisen.
Therapiemöglichkeiten
Bei der Therapie der Gicht muss man zwischen der Behandlung des akuten Gichtanfalles und der Dauerbehandlung zur Verhütung weiterer Anfälle unterscheiden.
Behandlung der akuten Attacke
Wenn Maßnahmen wie Ruhigstellung oder Kälteapplikation nicht ausreichen, um die oft dramatischen Schmerzen zu lindern, stehen drei medikamentöse Strategien zur Verfügung:

Meist werden ausreichend hoch dosierte Rheumaschmerzmittel wie Indometacin, Diclofenac, Ibuprofen etc. oder Kortisonpräparate eingesetzt. Falls dennoch keine Schmerzlinderung und Abschwellung des Gelenkes eintritt, wenden die Ärzte Colchicin an. Es hemmt jene Abwehrzellen, die die starke Entzündungsreaktion im betroffenen Gelenk auslösen, und führt zur raschen Linderung der Entzündung und damit der Schmerzen.

Eine dritte, sehr effiziente, aber invasive Methode ist die Injektion von Triamcinolon in das Gelenk. Jene Medikamente, die zur Dauerbehandlung der Gicht eingesetzt werden, finden im akuten Anfall keine Anwendung.
Dauertherapie der Gicht
Die wichtigsten Allgemeinmaßnahmen zur Senkung des Harnsäurespiegels bestehen in Diät mit Alkoholkarenz, Gewichtsnormalisierung, ausreichender Flüssigkeitszufuhr und purinarmer Kost (z.B. keine Innereien, wenig Fleisch, Fisch, Hülsenfrüchte, Bier und Bierprodukte usw.)
"Bei bereits länger bestehender Gicht und bei stark erhöhten Harnsäurewerten sind Medikamente nötig", so der Gichtspezialist Johann Bröll.

Sie sollen weitere Anfälle sowie eine Chronifizierung vermeiden. Zu diesem Zweck stehen Urikosurika (führen zu einer erhöhten Ausscheidung von Harnsäure) und Urikostatika (senken die Harnsäureproduktion im Körper) zur Verfügung. "Auf diese Weise können wir in der Mehrzahl der Fälle weitere Gichtattacken verhindern, vorausgesetzt die Patienten halten sich an ihre Diät und trinken mindestens 2 Liter Flüssigkeit täglich."
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Urikosurika und Urikostatika

Urikosurika: Unter diesem Begriff versteht man Medikamente, die die Harnsäureausscheidung fördern. Es gibt zwei verschiedene Wirkstoffe: das Probenecid und das häufiger eingesetzte Benzbromaron. Beide hemmen die Rückresorption der Harnsäure in der Niere und vermindern so deren Konzentration im Blut. Die Neubildung von Gichtknoten wird verhindert, es kann sogar zu einem teilweisen Abbau kommen.

Urikostatika: Hierbei handelt es sich um Medikamente, wie z. B. Allopurinol, die die Harnsäuresynthese hemmen. Es hemmt ein Enzym des Purinstoffwechsels, das die Bildung von Harnsäure katalysiert. Die dadurch vermehrt anfallenden Vorstufen der Harnsäure sind wesentlich besser wasserlöslich und können daher einfacher über die Nieren ausgeschieden werden.
->   Langfristige Behandlung von Gicht
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Unangenehm aber nötig - die Gichtdiät
Der Harnsäurepool des Menschen speist sich aus zwei Quellen: Jene Mengen, die im Rahmen der ständigen Zellerneuerung anfallen, und jener Anteil, der durch den Abbau der purinhaltigen Nahrungsmittel entsteht.

Die Tatsache, dass 20 Prozent der Bevölkerung den erwähnten Enzymmangel im Purinstoffwechsel aufweist, aber nur etwa drei Prozent an Gicht erkranken, führt pfeilgerade zur Rolle der Ernährung.

Christoph Leprich, Martina Weigl Ö1-Radiodoktor
->   Ernährung bei Gicht
->   Verband der Diplom-DiätassistentInnen und
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->   Die Gicht
 
 
 
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01.01.2010