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Neueste Pille-Präparate bergen geringere Infarktgefahr  
  Die langjährige Debatte um mögliche Risiken und Nebenwirkungen der neuesten Pille-Präparate der so genannten dritten Generation im Vergleich zu den älteren oralen Kontrazeptiva (2. Generation) scheint nun durch eine Studie aus den Niederlanden entschieden. Demnach bergen die Hormon-Präparate der dritten Generation ein geringeres Herzinfarktrisiko.  
Am ärgsten schlagen das Rauchen und ein erhöhter Cholesterinspiegel als Gefährdungsmomente für die lebensgefährliche akute Herzkrankheit zu Buche.

Das ist das Ergebnis einer landesweiten niederländischen Studie, die in der neuesten Ausgabe des "New England Journal of Medicine" veröffentlicht wurde.
->   Das Originalabstract der Studie
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Die Studie im Detail
Frits R. Tosendaal von der Universität Leiden und eine ganze Reihe niederländischer Co-Autoren haben in einer landesweiten wissenschaftlichen Untersuchung die medizinischen Daten von 248 Frauen im Alter zwischen 18 und 49 Jahren analysiert, die zwischen 1992 und 1995 ihren ersten Herzinfarkt erlitten hatten.

Als Vergleich dienten die Daten von 925 gesunden Frauen. Analysiert wurden die Informationen über den Gebrauch der verschiedenen oralen Kontrazeptiva, Bluthochdruck, zu viel Cholesterin, Diabetes, Fettsucht und Mutationen, die eine vermehrte Gerinnselbildung im Blut verursachen können.
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Potentielle Komplikationen seit Jahren ungeklärt
Im Hintergrund steht die seit Jahren schwelende Diskussion, ob Pille-Präparate der 2. Generation unter Verwendung des Gestagens Levonorgestrel bezüglich potenzieller Komplikationen durch Blutgerinnselbildung (Embolien, Infarkt etc.) möglicherweise weniger negative Auswirkungen hätten als die neueren Präparate.

In diesen Produkten der 3. Generation sind an Gestagenen vor allem Desogestrel oder Gestoden enthalten.
Bisherige Risikobewertung umstritten
Erst Ende September hat die europäische Arzneimittelagentur EMEA eine sehr umstrittene Risikobewertung abgegeben. Demnach stünde die "Pille der 3. Generation" im Verdacht, mehr venöse Thrombosen bzw. Embolien zu verursachen.

Mehrere internationale Experten und Vertreter der Arzneimittelindustrie bestritten dies allerdings vehement. Das österreichische Gesundheitsministerium informierte dennoch Ärzte- und Apothekerschaft.
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Der Hintergrund der "Pillen-Debatte"
Was "technisch" klingt, ist ein "Pillen"-Streit, der seit 1995 international geführt wird. Die zuvor erhältlichen oralen Kontrazeptiva hatten zumeist 30 Mikrogramm oder mehr des Östrogens Ethinylestradiol plus in den meisten Fällen das Gestagen Levonorgestrel enthalten. Das war die "Pille der 2. Generation".

Doch um die Zykluskontrolle samt Verträglichkeit zu erhöhen, wurden schließlich die oralen Kontrazeptiva der 3. Generation entwickelt: mit höchstens 30 Mikrogramm Östrogen und Desogestrel oder Gestoden als enthaltene Gestagene.

Bald nach der Markteinführung gab es allerdings - vor allem aus Großbritannien - erste Hinweise auf ein eventuell erhöhtes Thrombose-Risiko für die Frauen. In Großbritannien wurde gar die Neuverschreibung der oralen Kontrazeptiva der 3. Generation für jüngere Frauen gestoppt - kurz darauf stieg übrigens die Zahl der Abtreibungen deutlich an. Und der Streit ging weiter, bislang letzte Station ist nun die niederländische Studie.
->   EMEA
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Studie widerspricht europäischer Arzneimittelagentur
Beim Herzinfarkt aber schneiden laut den niederländischen Wissenschaftlern die neueren oralen Kontrazeptiva tendenziell besser ab als die alten: Insgesamt fanden die Experten ein auf das Doppelte gestiegenes Risiko für einen Herzinfarkt, wenn Frauen irgendwelche oralen Kontrazeptiva einnahmen.

Bei Frauen, welche die älteren Präparate (2. Generation) einnahmen, stieg das Risiko um den Faktor 2,5. Frauen, welche orale Kontrazeptiva der 3. Generation verwendeten, wiesen im Vergleich zu Nichtverwenderinnen ein bloß auf das 1,3-Fache gestiegene Infarktrisiko auf.
Ergebnisse nicht zwingend, aber...
"Die Ergebnisse bezüglich der Verwendung der Pille der 3. Generation waren nicht zwingend, deuten aber auf ein geringeres Risiko als bei den oralen Kontrazeptiva der zweiten Generation hin", so das Fazit der Wissenschaftler.
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Die Geschichte der Pille
Schon vor rund 4.000 Jahren verwendeten die Ägypter aus Granatapfelkernen hergestellte Scheidenzäpfchen. Tatsächlich enthält der Granatapfel eine Art natürliches Östrogen, das den Eisprung verhindert haben könnte. Ehe die erste Anti-Baby-Pille schließlich vor rund 40 Jahren zugelassen wurde, waren jahrzehntelange Forschungen betrieben worden. Maßgeblich an der Entwicklung beteiligt waren auch Österreicher: Unter anderen die beiden gebürtigen Wiener Carl Djerassi und Walter Hohlweg. Djerassi, 1923 in Wien geborener Chemiker, bezeichnete sich selbst als Mutter der Pille: Als Leiter eines Teams bei der Firma Syntex in Mexiko gelang ihm 1951 die Herstellung des ersten synthetischen Gestagens, eines wichtigen Bestandteils der oralen Kotrazeptiva. Walter Hohlweg, 1902 in Wien geboren, schrieb 1938 zusammen mit Hans Inhoffen Geschichte: Im Schering-Hauptlabor entwickelten die Hormonforscher das weltweit erste oral wirksame Östrogen.
->   Mehr zur Pille
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Rauchen und Cholesterin bleiben größte Risikofaktoren
Eindeutig belegt wird durch die wissenschaftliche Untersuchung das Faktum, dass andere Gefährdungsmomente eine viel größere Rolle spielen. So lässt Rauchen das Herzinfarktrisiko bei Frauen, welche die Pille nicht verwenden, allein schon auf das 7,9-Fache steigen.

Bei Frauen, welche orale Kontrazeptiva benutzen, erhöht es sich dann sogar auf das 13,6-Fache. Frauen (ohne Pille) haben durch einen erhöhten Cholesterinspiegel allein schon das 3,3-Fache Infarktrisiko. Ihre Geschlechtsgenossinnen, welche irgendeine Pille benutzen, tragen sogar das 24,7-fache Risiko.
->   New England Journal of Medicine (kostenpflichtig)
->   Universität Leiden
Artikel rund um die Pille in science.orf.at:
->   Spritze statt Pille für den Mann
->   Alternative Methoden zur Empfängnisverhütung
->   Pille für den Mann wirkt
 
 
 
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01.01.2010