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Allergien: Neue Strategie gegen die Massenplage  
  In den vergangenen 30 Jahren haben sich allergische Krankheiten explosionsartig in allen hoch industrialisierten Gesellschaften ausgebreitet. Forscher der Universität Mainz sind nun einer neuen Strategie gegen die Massenplage auf der Spur.  
Für Professor Jürgen Knop, Chef der Hautklinik an der Uni Mainz, liegen die Ursachen für das massenhaften Auftreten von Allergien klar auf der Hand: "Der Kontakt mit ungefährlichen Bakterien unserer Umgebung im Säuglings- und frühen Kindesalter kann die Entwicklung von Allergien verhindern", sagt Knop.
Die Realität sieht anders aus ...
Die Realität aber ist anders. Da Bakterien als Sparringspartner für das Immunsystem von Kindern in der keimfreien Gegenwart mehr und mehr ausfallen, spielt die Immunabwehr bei einer zunehmenden Zahl von Menschen verrückt.
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Heuschnupfen, Neurodermitis, und Co
Unter einer Allergie versteht man eine von der Norm abweichende, übersteigerte Reaktion des Immunsystems auf bestimmte Allergene - also Stoffe, die diese Reaktion auslösen. Beschwerden treten solange auf, wie die betreffenden Reizstoffe im Organismus vorhanden sind. Dabei bestimmt der zugrunde liegenden Reaktionstyp - man unterscheidet insgesamt vier dieser Typen - und nicht das Allergen sowohl das zeitliche Auftreten der Symptome als auch die Art der Symptome.

Die Diagnosestellung erfolgt - je nach Reaktionstyp - durch Laboruntersuchungen (z.B. den Nachweis spezifischer Antikörper oder Abwehrzellen im Blut), oder durch Testverfahren am Patienten.

Erster Behandlungsschritt ist zunächst das Meiden jeglichen Kontaktes mit den die Allergie auslösenden Stoffen. Ist die nicht möglich, stehen Medikamente zur Verfügung, die einerseits den Ausbruch einer allergischen Reaktion verhindern bzw. in seiner Stärke abschwächen, oder die die bereits ausgebrochene allergische Reaktion mildern oder sogar abbrechen. Eine Sonderform der Therapie ist die Hyposensibilisierung.
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T-Helfer-Zellen und das Immunsystem
Wie Knop erklärt, sind für das zielgenaue Verhalten des Immunsystems im wesentlichen die dendritischen Zellen sowie die Thymus- oder kurz T-Helfer-Zellen ausschlaggebend.

Dringt ein fremder Stoff in den menschlichen Körper ein, treten die dendritischen Zellen in Aktion und alarmieren die T-Helfer-Zellen. Daraufhin nehmen die T-Helfer-Zellen den Kampf gegen die Eindringlinge auf.
Zerstörerische Auswirkungen beim Eindringen von Pollen
"Die T-Helfer-Zelle ist eine zentrale Zelle des Immunsystems", betont Knop. Doch was beim Kampf gegen Bakterien und Viren äußerst segensreich ist, kann beim Eindringen von harmlosen Pollen zerstörerische Auswirkungen haben.

So lösen die T-Helfer-Zellen bei Allergikern eine Kettenreaktion aus, an deren Ende der Körper eine Art Biobombe zündet: So genannte Mastzellen schütten Histamin aus, ein aggressives Hormon, das in der menschlichen Evolution eigentlich erfunden wurde, um Parasiten zu verjagen.
Mögliche Folgen: Kreislaufkollaps und Tod
Dieses Histamin richtet sich nun gegen den eigenen Körper und löst lokale Entzündungen aus. In manchen Fällen, wie der gefürchteten Allergie gegen Bienen- oder Wespenstiche, kann der Histaminschwall zum Kreislaufkollaps und zum Tode führen, wie Knop erklärt.
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Experten: Westlicher Lebensstandard begünstigt Allergien
Nach Schätzungen von Experten leidet etwa in Deutschland jeder Dritte an Heuschnupfen, Neurodermitis, Metallallergien oder einem verwandten Phänomen. Diese allergischen Krankheiten nehmen weltweit überall dort zu, wo der Lebensstandard westliches Niveau erreicht, wie Ärzte auf dem 20. europäischen Kongress für Allergologie berichteten. Der Grund dafür sei nach wie vor unklar, hieß es. Es gebe mehrere Vermutungen, wonach genetische Veranlagung, Umwelt und vor allem Lebensstil eine Rolle spielten.
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Kettenreaktion soll unterbrochen werden
Nach Auffassung der von dem Mainzer Hautmediziner geleiteten Forschergruppe könnte eine Allergie jedoch wirksam bekämpft werden, wenn es gelänge, die beschriebene Kettenreaktion zu unterbrechen.

Dabei wollen sich die Mainzer die Fähigkeiten eines weiteren Zelltyps zu Nutze machen, der so genannten Regulatorzelle. "Die Regulatorzelle passt auf, dass die T-Helfer-Zelle dem Körper keinen Schaden zufügt", betont Knop.

Da die Regulatoren die Abwehrfunktion der T-Helfer-Zellen blockieren können, wollen Knops Mitarbeiter ab dem kommenden Jahr Allergiepatienten Regulatorzellen entnehmen und außerhalb des Körpers vermehren. Anschließend sollen die Zellen wieder in den Körper gespritzt werden.
Ziel: Allergische Reaktionen "im Keim ersticken"
Die Mainzer hoffen, mit dieser Methode die allergische Reaktion im Keim ersticken zu können. "Ich sehe keine großen Gefahren bei dieser Therapie", sagt Knop.

Das Verfahren sei letztlich einer Impfung ähnlich. Bis die neue Strategie zu einer gängigen Therapieform wird, dürfte es allerdings noch ein Jahrzehnt dauern.
Experten-Rat: Gezielter Kontakt mit Keimen
Bis dahin rät der Chef der Mainzer Hautklinik zur Vorbeugung schon bei kleinsten Kindern. Um das Immunsystem richtig zu trainieren, müsse der Körper in einem vertretbaren Umfang mit Keimen bekannt gemacht werden.

"Eigentlich müsste man schon werdenden Müttern raten, in den Kuhstall zu gehen", empfiehlt Knop. Da der Kuhstall für moderne Menschen jedoch ein eher exotischer Ort sei, könnten Schwangere auch zu ungefährlichen Bakterienpräparaten wie beispielsweise Lactobazillen greifen, die eine ähnliche Wirkung hätten.
->   Hautklinik der Universität Main
Mehr zu diesem Thema in science.orf.at:
->   Allergieforschung: Neues Zentrum an der Uni Wien
->   Allergie-Gene noch kaum entschlüsselt
 
 
 
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01.01.2010