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Kalter Mott-Isolator: Neuer Materiezustand erzeugt  
  Aggregatzustände wie "fest" oder "flüssig" spielen in der Physik eine große Rolle. Mittlerweile kennt man derer sechs, denn deutschen Wissenschaftlern ist es nun gelungen, einen neuen Materiezustand - und zwar sehr nahe dem absoluten Nullpunkt - zu erzeugen: Im Labor wurden Atome in die so genannte Mott-Isolator-Phase übergeführt. Möglicher Anwendungsbereich des fragilen Gebildes könnte in Zukunft der Quantencomputer sein.  
Über die Ergebnisse ihrer Experimente berichten die Forscher vom Max-Planck-Insitut für Quantenoptik und der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift "Nature".
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Artikel in "Nature" und "Nature Science Update"
Der Originalartikel "Quantum phase transition from a superfluid to a Mott insulator in a gas of ultracold atoms" ist das Titelthema des aktuellen "Nature" (Bd. 415, Seiten 39 - 44): Der Originalartikel in Nature (kostenpflichtig)
In der Rubrik "News and Views" ist dazu auch ein kommentierender Artikel - ebenfalls kostenpflichtig - erschienen: Bose-Einstein condensation: Breaking up a superfluid
Und auch das Online-Magazin "Nature Science Update" berichtet über das Titelthema des Magazins: New state of matter made
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Der sechste Materiezustand: Mott-Isolator
Den meisten Leuten sind vermutlich drei so genannte Aggregatszustände ein Begriff, nämlich "fest", "flüssig" und "gasförmig".

Dazu kamen bislang noch zwei weitere Formen, die eher dem interessierten Laien und dem Fachpublikum bekannt sein dürften: Plasma und das Bose-Einstein-Kondensat, für dessen Erzeugung 2001 drei Physiker mit dem Nobelpreis geehrt wurden.

Nun ist es den Wissenschaftlern allerdings gelungen, einen sechsten Materiezustand zu erzeugen, den Mott-Isolator, dessen Existenz zwar theoretisch schon vermutet wurde, im Experiment nun aber erstmals auch nachgewiesen werden konnte.
Kälter kann's nicht werden ...
Die Temperaturen, unter denen dies gelang, sind nicht besonders warm zu nennen. Immerhin rund minus 273 Grad Celsius mussten herrschen, damit der Mott-Isolator entstehen konnte.
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Minus 273 Grad: Null Kelvin oder der absoluter Nullpunkt
Warm oder kalt sind Begriffe, mit denen man im Grund die Geschwindigkeit von Atomen beschreibt, in einem Gegenstand oder auch in einem Gas. Je schneller diese Atome schwingen oder "fliegen", desto wärmer fühlt es sich für uns an. Physiker arbeiten daher mit einer anderen als der Celsius-Temperaturskala: Diese so genannte thermodynamische oder absolute Temperaturskala unterscheidet sich durch die Lage des Nullpunktes. Null Kelvin oder der absolute Nullpunkt liegen bei etwa minus 273 Grad Celsius. Gemessen wird in Kelvin (K), wobei ein Unterschied von einem Grad Kelvin auch einem Grad Celsius entspricht. Bei solcher Kälte sind Atome völlig zum Stillstand gekommen und verhalten sich ganz anders, als unter "wärmeren Bedingungen". Zum Vergleich: In der Natur liegen die tiefsten Temperaturen bei drei Grad Kelvin, zu finden im Weltall.
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Ausgangsmaterial: Ein Bose-Einstein-Kondensat ...
Ausgangsmaterial war nämlich ein so genanntes Bose-Einstein-Kondensat (BEC), das nur unter solchen extremen Bedingungen zu erzeugen ist. In diesem Zustand sind Atome wellenartig über ein von Laserstrahlen erzeugtes dreidimensionalen Lichtgitter verteilt.

D.h. die Teilchen verlieren völlig ihre Individualität, sind sozusagen identisch und verhalten sich kurzzeitig wie ein einziges "Superatom": Alle haben dieselben physikalischen Eigenschaften bzw. die gleiche Energie und lassen sich somit sehr viel genauer kontrollieren und steuern.

Wo genau sich ein einzelnes Atom auf diesem Gitternetz befindet, kann aber nicht mehr bestimmt werden. Die Teilchen sind praktisch nur mehr als Welle messbar, da sich jedes von ihnen über das gesamte Lichtgitter hinweg wellenartig ausbreitet.
->   Mehr zum Bose-Einstein-Kondensat
... wird zum Mott-Isolator
Das Forscherteam erhöhte nun bei dem BEC die Lichtstärke der Laserstrahlen - man nennt das von ihnen gebildete Gitter auch Lichtfalle - und konnte so einen Zustand erzeugen, in dem die darin "gefangenen" Atome wieder isoliert bzw. lokalisiert wurden.

Jeder Gitterplatz war mit einer exakt definierten Anzahl von Atomen besetzt, deren winziger Rest von Bewegungsenergie durch ihre abstoßende Wirkung aufgehoben wurde. Et voilà, der Mott-Isolator war entstanden.

Das Experiment funktionierte im Übrigen in beide Richtungen, denn auch die Rücküberführung der Teilchen von der Mott-Isolator-Phase in ein Bose-Einstein-Kondensat gelang den Forschern.

 
Bild: Max-Planck-Institut für Quantenoptik

Im Bild zu sehen ist das so genannte Interferenzmuster eines Quantengases: links das Gas als Bose-Einstein-Kondensat, das Interferenzmuster zeigt einen hohen Kontrast; in der Mitte das Interferenzmuster nach einem Quantenphasenübergang in einen Mott-Isolator - es ist praktisch keine Interferenz mehr zu messen; rechts die wiederhergestellte Phasenkohärenz nach einem Quantenphasenübergang von einem Mott-Isolator zurück in ein Bose-Einstein-Kondensat.
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Mott-Isolator: Und noch ein Nobelpreis ...
Diese Phase wurde zuerst von dem britischen Physiker Sir Neville Mott 1974 im Rahmen von Metall-Isolator-Übergängen in Festkörpern vorausgesagt. Mott wurde u.a. für diese Arbeiten 1977 mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet.
->   Mehr dazu im Nobel-Online-Archiv
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Atome als potentielle Quanten-Bits
Wer sich nun fragt, wozu dieser neue Materiezustand gut sein soll, denke an den vielbeschworenen Quantencomputer der Zukunft. Die Visionen der Münchner Forscher etwa gehen in Richtung Quanten-Bits, denn jedes einzelne Atom eines solchen Mott-Isolators ist ein potentielles "Q-Bit".

Das allerdings kann noch dauern, denn auch zu diesem spektakulären Erfolg muss angemerkt werden: Bis es zu einer praktischen Anwendung im Rahmen von Quantencomputern kommen wird, werden vermutlich noch Jahrzehnte vergehen.
->   Ausführliche Informationen zum Mott-Isolator beim Max-Planck-Insitut für Quantenoptik
->   Max-Planck-Institut für Quantenoptik
->   Ludwig-Maximilians-Universität München
Mehr zu diesem Thema in science.orf.at:
->   Physik-Nobelpreis 2001 für Bose-Einstein-Kondensat
->   Explosion von Bose-Einstein: Die Mini-Supernova
->   Quantencomputer - der richtige Zeitpunkt macht's aus
 
 
 
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01.01.2010