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Prosperität mittels Bestrafung  
  Zahlt sich Kooperation mehr aus als egoistisches Verhalten? Ja sagen Schweizer Wissenschaftler, allerdings unter der Vorrausetzung, dass die "Schnorrer" in einer Gruppe bestraft werden.  
Mitglieder einer Gruppe sind bereit dafür zu zahlen, dass auf den eigenen Vorteil Bedachte bestraft werden, vorausgesetzt ihre altruistischen Neigungen überwiegen ihre selbstbezogenen.

Das erklären Ernst Fehr von der Universität Zürich bzw. Simon Gächter von der Universität St. Gallen in der aktuellen Ausgabe von 'Nature'.
Artikel in 'Nature'(Fehr, E & Gachter, S. Altruistic punishment in humans. Nature, 415, 137 - 140, 2002. kostenpflichtig)
->   Artikel in 'Nature'
Grundlage kooperativen Verhaltens
Mit ihrer Arbeit wollen die Schweizer Wissenschaftler eine mögliche Erklärung für kooperatives Verhalten in der Gesellschaft liefern.

In einem Vermögens-Spiel, bei dem es vor allem um die Teilung von Profiten mit anderen ging, wurden von Mitspielern jene bestraft, die nach Meinung ihrer Mitspieler zu wenig für das Allgemeinwohl der Gruppe taten. Selbst wenn es zu ihrem eigenen Nachteil ging, führten einige Mitspieler die Bestrafung der "Schnorrer" durch, da die dabei entstehende emotionale Befriedigung im Vordergrund stand.

Interessanterweise beflügelte die Bestrafung jene Gruppenmitglieder, die vorher als "Schnorrer" 'disqualifiziert' wurden. Sie waren bereit nach erfolgter Bestrafung mehr in das "Allgemeinwohl" zu investieren.
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Der Spielverlauf
Bei jenem Spiel wurden Studenten in vier Gruppen aufgeteilt. Jedem stand ein bestimmter Geldbetrag zur Verfügung. Von diesem wurde ein bestimmter Bruchteil in eine gemeinsame Kasse eingezahlt. Der Inhalt der Gemeinschaftskasse wurde um einen bestimmten Faktor vermehrt, der kleiner als vier sein musste. Dieser wurde dann gleichmäßig unter den Studenten verteilt. Durch die Limitierung der Vermehrung wurde sichergestellt, dass jeder Teilnehmer von seinem eingezahlten Beitrag weniger retouniert bekam als er eingezahlt hatte. Einen Gewinn machen konnte er nur durch die Einzahlungen der anderen.
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Bestrafung als Regulativ
Die Angst, als "Schnorrer" vor und von anderen Gruppenmitgliedern entlarvt zu werden beschränkte selbstsüchtiges Verhalten in dem selben Maße, wie die Möglichkeit zur Bestrafung willigen Altruisten ein Gefühl der Sicherheit verlieh, so die Schweizer Wissenschaftler.

Diese dynamischen Prozesse könnten laut den Schweizern auch erklären, warum die Vorfahren des modernen Menschen bei Jagd- und Kriegszwecken kooperative Gemeinschaften bildeten.
Wichtiger als gedacht
Deutungen und Theorien zu kooperativem Verhalten haben sich lange darauf konzentriert, was denn altruistisches Verhalten wiederum für einen Gewinn bringt.

"Biologie und Ökonomie haben sich in erster Linie auf den persönlichen Gewinn konzentriert, der aus einem bestimmten Verhalten resultiert oder nicht. Jetzt scheint sich langsam durch zusetzten, dass altruistisches bzw. kooperatives Verhalten offensichtlich einen wichtigeren Stellenwert einnimmt als bislang vermutet", erklärt Herbert Gintis von der University of Massachusetts.
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Altruismus
Altruismus ist eine ethische Einstellung, die, von Selbstlosigkeit und Uneigennützigkeit geleitet, auf das Wohl anderer ausgerichtet ist. Für Comte basiert der Altruismus auf den natürlichen Tendenzen des Menschen zur Vergemeinschaftung, wodurch sich das Gefühl und das Handeln des Menschen über die egoistischen Tendenzen hinweg zu einer umfassenden Gemeinschaft ausrichten.

Der "moral sense" von Hutcheson veranlasst den Menschen zur Billigung altruistischer Motive bzw. Dispositionen und zur Mißbilligung menschenfeindlicher Neigungen. Häufig findet sich ein gemäßigter Altruismus, nämlich, daß die altruistische Position letztlich dem eigenen Wohl dient. Eine Position, die das eigene Glück, den eigenen Schmerz, die eigene Lust, das eigene Wohlergehen einbezieht, ist strenggenommen kein Altruismus, wird aber manchmal als ein solcher beschrieben. Insofern sind utilitaristische Theorien zumeist keinesfalls altruistisch.
->   Mehr zu altruistischem Verhalten
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Demokratische Prozesse?
Interessant sind die Ergebnisse für Fehr auch in Bezug auf die soziale Kohäsion von gesellschaftlichen Gruppen sowie die Art und Weise wie Entscheidungen getroffen bzw. vermittelt werden.

Fehr glaubt an eine höhere Akzeptanz von Entscheidungen, wenn diese aus einer Gruppe selbst kommen, als wenn sie, wie von stattlichen Stellen "verordnet", von außerhalb dieser Gruppe kommen.

"Das könnte nicht nur zu gemeinschaftsorientierteren Entscheidungsprozessen, sondern auch zu einer Stärkung von sozialen Bindungen führen", so Fehr.
Umstrittene Bestrafung
Förderung von sozialen Bindungen mittels Bestrafung ist für Fehr das in westlichen Industriegesellschaften derzeit gängige Modell. Als Beispiel nennt Fehr den Hass auf Streikbrecher in Arbeitskonflikten, der oft zu einer gesteigerten Solidarität und damit zu einer erhöhten sozialen Bindung innerhalb der Streikenden führt.

Gintis widerspricht Fehr und nennt die seit Jahrzehnten schwindende Unterstützung stattlicher Wohlfahrt durch die Wahrnehmung der amerikanischen Mittelschicht, dass zu viele "Schnorrer" das System der Unterstützung, ohne Angst entdeckt zu werden, ausnutzten.

Darüber hinaus führt Gintis an, dass ein zu starker Gruppendruck wiederum dazu führen könnte, das Gemeinschaften in sich bekämpfenden Fragmente zerfallen oder das Vorurteile gegenüber Nonkonformisten genährt werden.
->   University of Zürich, Institute for Empirical Research in Economics
->   University of St Gallen
->   Geld, Glück und Ungeduld
 
 
 
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01.01.2010