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Diskussion: Die Bedeutung von Konrad Lorenz heute  
  Welche Bedeutung hat die Wissenschaft des Konrad Lorenz - auch vor dem Hintergrund seiner nationalsozialistischen Vergangenheit - für die heutige Verhaltensforschung?  
Diese Frage stand Mittelpunkt einer Podiumsdiskussion in der Aula des Uni-Campus in Wien, zum Buch "Die andere Seite des Spiegels. Konrad Lorenz und der Nationalsozialismus" von Benedikt Föger und Klaus Taschwer.
NSDAP-Migliedschaft und Distanzierung
Er war "als Naturwissenschaftler selbstverständlich immer Nationalsozialist", schreibt Konrad Lorenz 1938 in seinem Antrag auf NSDAP-Mitgliedschaft - und stellt so Wissenschaft und politische Ideologie damals selbst in nahen Zusammenhang.

Jahrzehnte später hat er sich von seiner früheren politischen Gesinnung distanziert - seine wissenschaftliche Laufbahn jedoch zeigte deutlichere Kontinuität.
Einfluss auf Wissenschaft?
Eine Verstrickung zwischen beiden zu sehen sei aber nicht angemessen, meinte bei der Diskussion der Verhaltensbiologe John Dittami von der Universität Wien, "die NS-Ideologie hatte keinen Einfluss auf die Inhalte der wissenschaftlichen Arbeit von Konrad Lorenz".

Eine Argumentation, der der Historiker Mitchell Ash wenig abgewinnen konnte. Er hält einerseits "die Inhalte" als zu wenig präzis definiert. Außerdem ließe sich der Dualismus Wissenschaft hier - nationalsozialistische Ideologie dort durch nichts rechtfertigen.
->   Konrad Lorenz: "Ich war immer Nationalsozialist"
Biologische Diskurse, damals ...
Wer sich mit der Geschichte der NS-Ideologie, wie auch immer diese im einzelnen definiert ist, beschäftigt, könne nicht leugnen, dass sie mit biologischen Diskursen der damaligen Zeit viel gemeinsam hatte. Ash schloss "das Konstrukt, das auf diesem Dualismus beruht, ist morsch."
... und heute
Welche Bedeutung aber haben die wissenschaftliche Arbeit Konrad Lorenz' und seine politische Vergangenheit für die heutige Verhaltensforschung? Gegen eine Überbewertung des Konrad Lorenz plädierte John Dittami, er wäre weder der "Erfinder" noch der "Vater" der Ethologie gewesen, sondern einer von vielen in einer langen Tradition dieses Wissenschaftszweiges.
Kindchenschema seit 1943
Dennoch, ein paar seiner wissenschaftlichen Erkenntnisse gelten noch heute, sind so etwas wie allgemeines Bildungsgut geworden und werden auch immer wieder zitiert - wie etwa das Kindchenschema.

Beschrieben hat es Lorenz erstmals in jener Publikation 1943, die nach der Nobelpreisverleihung 1973 für großes Aufsehen sorgte, weil sie in vielen anderen Punkten von nationalsozialistischem Gedankengut geprägt war.
Absetzbewegung von "Ethologie"
Aus dieser Verstrickung entsteht für Karl Grammer vom Ludwig Boltzmann Institut für Stadtethologie ein großes Problem für die Verhaltensforschung heute. Es sei schwierig, sich bei jeder Zitierung des Kindchenschemas vom Rest der damaligen Publikation explizit distanzieren zu müssen.

In der Verhaltensforschung gäbe es heute klare Trends zu einer Art "Absetzbewegung". Die International Society for Human Behaviour and Evolution zum Beispiel hätte die Worte Ethologie und Soziobiologie aus dem Titel ihrer Fachzeitschrift gestrichen, sie wären politisch zu belastet.

Der amerikanische "Vater" der Soziobiologie, E.O. Wilson, hätte der Gesellschaft daraufhin intellektuelle Feigheit vorgeworfen.
->   Human Behaviour and Evolution Society
Der Nobelpreis, ein Missverständnis?
Diese "Absetzbewegung" hält John Dittami wiederum für völlig sinnlos, wenn man eben nur die Bedeutung des Konrad Lorenz nicht überschätzt. Diese Aussage provoziere allerdings, so Peter Huemer als Moderator der Podiumsdiskussion, die Frage, ob der Nobelpreis dann ein nur ein Missverständnis zur besonderen Freude des Hauses Österreich gewesen wäre.
Gegen die Opferrolle der Verhaltensforschung
Gegen diese Art der Absetzbewegung und Argumentation wehrt sich Michael Hubenstorf vom Institut für Geschichte in der Medizin. Mit ihr werde die Verhaltensforschung als Opfer dargestellt, das sich, um nicht ständig ins rechte Eck gerückt zu werden, von Konrad Lorenz distanzieren müsse.

Unbestritten habe Konrad Lorenz - auch wissenschaftlich - partielle Zuarbeit zur NS-Ideologie geleistet, als zentrale Figur der Erarbeitung dieser Ideologie könne er aber auch wieder nicht bezeichnet werden.

Der Verlauf der Diskussion erstaune ihn, ebenso wie Reaktionen der letzten Monate aus den Reihen der Naturwissenschaftler auf das neue Lorenz-Buch.
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Hubenstorf: "In dem Versuch, das Opfer Verhaltensforschung, das des Nationalsozialismus bezichtigt wird, von seinem vermeintlichen Urheber zu entfernen, wertet man Lorenz in einer Art und Weise ab, dass ich sagen muss, also besser als dieser Lorenz, den uns da die Biologen darstellen, ist er schon gewesen."
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Detailliertere Aufarbeitung gefordert
Was aber fehlt, so Michael Hubenstorf, ist zweierlei: auf die Person Konrad Lorenz bezogen einerseits eine genaue Untersuchung dessen, was er als Militärpsychiater und Heerespsychologe in den Kriegsjahren 1942 bis 1944 im Spital in Posen getan hat.

Andererseits sei die Verhaltensforschung, als deren eine Galionsfigur er bis heute wahrgenommen wird, gut beraten, ihre historische Entwicklung detaillierter aufzuarbeiten.

Birgit Dalheimer, Ö1-Wissenschaft
->   Institut für Geschichte
->   Institut für Zoologie/Ethologie
->   Ludwig Boltzmann-Insitut für Stadtethologie
->   Institut für Geschichte der Medizin
 
 
 
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01.01.2010