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Wie liberal waren die 68er?  
  Eine Freiheitsrevolte gegen einen Unterdrückerstaat? Ein freiheitlicher Staat im Visier einer Umsturz-Bewegung?  
Die Debatte um die Vergangenheit des deutschen Außenministers Joschka Fischer hat die 68er-Bewegung neu in die Diskussion gebracht. Bei einer Umfrage der dpa haben prominente Historiker jene Zeit aus heutiger Sicht sehr unterschiedlich bewertet.
Mommsen: Abbau autoritärer Elemente
Für Hans Mommsen waren die 68er eine "Gegenbewegung gegenüber einer an sich demokratisch und liberal verfassten Gesellschaft, die aber immer stärkere autoritäre Züge annahm. Es ging dieser Bewegung primär um den Abbau der sich auch im politischen System ansammelnden autoritären Elemente".
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Bracher: Positives von Negativem überdeckt
Der Historiker und Politikwissenschafter Karl Dietrich Bracher versteht die 68er-Bewegung als eine "anti- oder außerparlamentarische Bewegung, die sich als antifaschistisch verstand, aber nicht als antiautoritär, das heißt Gewalt nicht ausschloss. Was an Positivem - Reform, Emanzipation - erreicht wurde, ist überdeckt durch das Negative des Zerstörerischen". Bracher wirft ihr eine Beschädigung der politischen Kultur vor, die ja damals schon, wie er anmerkt, auch durch Mitregieren der SPD gestaltet wurde.
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Wehler: Falsches Verständnis der Wirklichkeit
Auch Hans-Ulrich Wehler verweist auf die sozialliberale Regierung 1969. Man habe nun gewiss nicht mehr mit rationalen Argumenten von einem neuen faschistischen Staat sprechen können. "Infolgedessen ist die Vorstellung auch von Joschka Fischer, nach dem Beginn der sozialliberalen Koalition sich immer noch einem autoritären oder sogar autoritärer werdenden Staat gegenüber zu befinden, ein grundlegend falsches Verständnis der damaligen Wirklichkeit."
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Kocka: Liberalisierung und Modernisierung
Jürgen Kocka sieht die Hauptwirkung der 68er darin, dass sie "eine Art von Befreiung von älteren, engen Traditionen sowie Liberalisierung, Modernisierung und Verwestlichung bewirkt hat und damit ein wesentliches und auch aus der Rückschau positiv zu wertendes Element der Geschichte der Bundesrepublik gewesen ist".
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Winkler: Paradoxe Resultate nach Reformstau
Heinrich August Winkler stimmt dem zu, spricht aber von einem "paradoxen Resultat": Die Bundesrepublik sei zwar viel westlicher, wenn man so wolle: amerikanischer, geworden, doch gebe es keinen Zweifel, dass etwa der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS) massiv antiamerikanische Vorurteile gehabt und die parlamentarische Demokratie bekämpft habe.

Was die Konservativen angeht, so scheinen sie nach Ansicht Winklers völlig verdrängt zu haben, "dass sie schon damals zu dieser Revolte sehr viel beigetragen haben. Nämlich durch den Reformstau der späten Ära Adenauer, eine nur halbherzige Aufarbeitung der NS-Vergangenheit und den Verzicht auf jede Kritik am Krieg der Amerikaner in Vietnam. Das Letztere gilt auch für die Sozialdemokratie."
->   Hans Mommsen
->   Karl Dietrich Bracher
->   Hans-Ulrich Wehler im Interview
->   Jürgen Kocka
->   Heinrich August Winkler
 
 
 
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01.01.2010