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ORF ON Science :  News :  Umwelt und Klima .  Leben 
 
Leben in Eis und Schnee  
  Tiere und Pflanzen weisen oft erstaunliche Fähigkeiten auf, die ihnen das Leben in ihrer Umgebung - zum Beispiel im Eis und Schnee der Antarktis oder des Hochgebirges - ermöglichen: Frostschutzmittel in den Adern oder Fortpflanzung ohne Partner sind nur einige Strategien, mit denen sich Lebewesen gegen die Kälte schützen.  
34 Millionen Quadratkilometer Eis machen allein Arktis und Antarktis aus - die Gletscher am Festland noch nicht mitgerechnet. Die Kälte kann aber Leben nicht verhindern.
Blaualgen und Minustemperaturen
So schwimmen etwa in der Antarktis Blaualgen noch bei minus 14 Grad in Salzseen herum. Erst bei minus 20 Grad wird ihnen das Wasser zu zäh, und sie gehen in einen Dauerzustand über, bei dem der Stoffwechsel quasi auf null heruntergefahren wird.
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Frostschutzmittel zum ein- und ausschalten
Acht Millionen Jahre sind die ältesten aus der Antarktis isolierten Mikroorganismen alt. Viele der Kältebakterien wappnen sich mit Frostschutzmitteln gegen die Minustemperaturen, können ihren Kälteschutz aber je nach Bedarf ein- oder ausschalten, wie der englische Antarktis-Forsch David Wynn-Williams berichtet. Besonders flexible Zellwände helfen ihnen, die Temperaturschwankungen auszugleichen.
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Eine gemeinsame Strategie: Fett gegen die Kälte
Menschen, Pflanzen und Mikroben scheinen im Umgang mit der Kälte zumindest eine gemeinsame Strategie zu haben: die Verwendung von Fett, genaugenommen von ungesättigten Fettsäuren, die man in der Zellwand von Mikroorganismen genauso als Kälteschutz findet wie bei Pflanzen oder Säugetieren.
Kälte "verlangsamt" das Leben
Kälte ist aber auch ein Zeitfaktor. Da die chemischen Schutzmechanismen gegen die niedrigen Temperaturen viel Energie brauchen, geht alles sehr langsam.

Der Salzburger Zoologe Remigius Geiser erwähnt in diesem Zusammenhang einen antarktischen Eisfisch, der am Rand der Eisschollen bei konstanten minus 1,6 Grad lebt. Er braucht rund zehn Jahre, um die Größe einer Forelle zu erreichen.

Das gleiche gilt auch für Säugetiere: Überwintert man Hamster zum Beispiel in Räumen unter 15 Grad, fallen sie in Winterschlaf und werden doppelt so alt wie jene, die den Winter über aktiv bleiben.
->   science.orf.at: Fisch-Proteine gegen das Einfrieren
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Kalt, kälter, Antarktis
Während in der Arktis in Bohrlöchern stabile Temperaturen um die minus 10 Grad gemessen werden, ist die Antarktis weitaus kühler: minus 20-27 Grad wurden dort ermittelt. Der Kältepol wurde bei der Vostok-Station gemessen: minus 89 Grad.
->   Studie: Antarktis wird trotz Klimaerwärmung kälter
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Methodische Schwierigkeiten für Forscher
Das Leben in der Kälte zu untersuchen, stellt die Wissenschafter aber vor enorme methodische Schwierigkeiten. Es gibt laut Roland Psenner vom Institut für Zoologie und Limnologie in Innsbruck keine verlässlichen Labormethoden, mit denen man Leben in superkühlem Wasser, also flüssigem Wasser unter null Grad, studieren könne.

Daher sei auch die Artenzahl der Kältekünstler noch weitgehend unbekannt, man befinde sich derzeit vom Wissenstand her quasi in der ersten Klasse Volksschule.
Wie geht der Mensch mit der Kälte um?
Wie aber ergeht es den Menschen in den zahlreichen Forschungsstationen in der Antarktis? Die Limnologin Birgit Sattler ist in diesen Tagen zum Südpol unterwegs, war aber schon einige Male in der Antarktis, zuletzt auf einer US-Station in McMurdo - am 78. südlichen Breitengrad.
->   DieExpedition, an der Birgit Sattler momentan teilnimmt
Im Sommer hat McMurdo rund 1.000 Einwohner, die die Bars und den Friseur bevölkern, im Internet surfen und (alte) Zeitungen lesen. Im dunklen Winter halten nur mehr 150 Unermüdliche die Infrastruktur aufrecht.
Psychische und physische Veränderungen
Das Leben in Zelten der Außenlager, eine Stunde Hubschrauberflug von der Basis entfernt, verändere einen psychisch und physisch, erzählt Birgit Sattler. Ohne Zusammenarbeit könne man im antarktischen Frühling bei minus 20 bis minus 40 Grad nicht mehr überleben.

Ein Antarktis-Aufenthalt ist auf jeden Fall ein grandioses soziologisches Experiment. Nicht jedermann ist der psychischen Belastung der Eiswüste gewachsen.

In McMurdo gebe es zum Beispiel einen Club der Anonymen Alkoholiker, erzählt die Limnologin. Und hin und wieder würden Leute nach Exzessen und tätlichen Übergriffen ausgeflogen.
->   National Science Foundation: McMurdo Station
->   Bilder der McMurdo Station
Die heimischen Hochgebirge
Kälte hält aber auch das heimische Hochgebirge genügend bereit. Der Sommer dauert hier oft nur drei Monate, dann überziehen Eis und Schnee wieder die Gipfel.

Für Polsterpflanzen kein Problem - man könne sie sogar in flüssigen Stickstoff (-196 Grad) tauchen, und sie würden überleben, berichtet der Innsbrucker Ökophysiologe Gilbert Neuner.
Wärmende Schnee-Decke
Schnee ist für uns zwar ein Kältesignal, für Pflanzen wie die Alpenrose aber tatsächlich die wärmende "Schnee-Decke"; denn darunter taut der Boden wieder auf, bei Temperaturen um die null Grad können die Pflanzen auch wieder Wasser aufnehmen.

Der Kälteschutz kostet aber Energie: deshalb sind alpine Pflanzen im Sommer weniger kältetolerant als im Winter - ein Grund, warum Wetterlaunen wie zu früher oder zu später Frost der Vegetation sehr zusetzen.
Flexible Insekten
Sehr flexibel reagieren auch Insekten im Hochgebirge auf die kurzen Sommer und die monatelange Schneedecke. Eine Strategie: Sie legen ihre Eier nicht ab, sondern tragen sie so wie der Bergblattkäfer im Leib aus, sind also lebendgebärend. Damit können sie immer der Sonne folgen und ihre Brut wärmen.

Auch die Bergeidechse sichert so ihre Nachkommenschaft, ebenso wie der Bergsalamander. Letzterer scheint rekordverdächtig - oft braucht er vier Jahre, bis seine Brut schlüpft.
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Fortpflanzung als Präzisionssache: Jungfernzeugung
Die Fortpflanzung wird in der Kälte überhaupt zur Präzisionssache, denn drei Monate sind keine lange Zeit, wenn man bei der Partnersuche säumig ist. Manche Insekten brauchen zur Fortpflanzung jedoch keine Partner - sie beherrschen die so genannte Jungfernzeugung, die Parthenogenese. Das heißt, eine ausschließlich weibliche Population sorgt allein für Nachkommenschaft.
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Luft als Kälteisolator
Andere Tiergruppen verraten ihre Nähe zu Schnee und Eis schon im Namen - als da wären Schneehase, Schneehuhn, Schneemaus, Schneefink oder Eisbär. Eine weitere Gemeinsamkeit - sie tragen gern weiß.

Denn wo in dunklen Haaren die Pigmente eingelagert sind, sind bei weißen Haaren Luftkammern, weiß der Salzburger Zoologe Leo Slotta-Bachmayer zu berichten. Und Luft ist ein exzellenter Isolator.
Ungeachtet aller Tricks ...
Aber ungeachtet aller Anpassungen und Tricks gegen die Kälte - der Herr über Leben und Tod ist im Hochgebirge letztendlich doch der Winter. Er fordert mehr Opfer als alle Raubtiere am Berg.

Ein Beitrag von Franz Zeller für die Ö1-Dimensionen
->   Radio Österreich 1
 
 
 
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01.01.2010