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Keine Antibiotika in der Tiermast - keine Resistenzen  
  Eine belgische Studie stützt die Theorie, dass Antibiotika-Resistenzen von Bakterien beim Menschen eng mit in der Tiermast eingesetzten Medikamenten zusammenhängen: Seitdem die Beigabe eines bestimmten Antibiotikums im Tierfutter untersagt wurde, sind resistente Keime beim Menschen drastisch zurückgegangen, so das Ergebniss der belgischen Wissenschaftler.  
Wenn es nach den Forschungsergebnissen der belgischen Mikrobiologin Greet Ieven geht, dann gehören Antibiotika in der Tierzucht sprichwörtlich ausgemistet.

Seit nämlich die EU die Verwendung des Antibiotikums Avoparcin - verwandt mit dem in Spitälern hoch geschätzten Vancomycin - verboten hat, verringerte sich in Belgien die Verbreitung Vancomycin-resistenter Keime beim Menschen drastisch.
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Präsentation der Ergebnisse bei Interscience-Konferenz
Die Experten stellten die Ergebnisse vor kurzem bei der Interscience-Konferenz über antimikrobielle Substanzen und Chemotherapie vor. Ein Artikel im Fachmagazin "Science", das am Freitag erscheint, nimmt auf die dort präsentierten Ergebnisse Bezug.
->   Interscience Conference on Antimicrobial Agents and Chemotherapy
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Resultate legen Zusammenhang nahe
"Da sich die Häufigkeit der Verwendung von Vancomycin in den belgischen Spitälern nicht geändert hat, erhärten unsere Resultate die Hypothese, woher die resistenten Bakterien gegen dieses Antibiotikums in Europa kommen", erklärte die belgische Wissenschaftlerin Greet Ieven gegenüber der US-Wissenschaftszeitschrift "Science".

Die Hypothese: Die unempfindlichen Keime gegen dieses Medikament, das zur Behandlung sonst kaum mehr beherrschbarer Infektionen in Tonnen-Mengen eingesetzt worden war, stammen aus der Landwirtschaft.
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Antibiotika in der Tierzucht
Antibiotika werden sowohl beim Menschen, als auch beim Tier gegen Infektionskrankheiten eingesetzt, die durch Bakterien verursacht werden. Allerdings ist es in der Tiermast gängige Praxis, Antibiotika auch als Wachstumsförderer und zur Leistungssteigerung bzw. Krankheitsprophylaxe einzusetzen: Sie dienen also unter anderem dazu, dass die Tiere schneller und billiger ihr Schlachtgewicht erreichen. Die Dosis ist so gering, dass Krankheitskeime nicht abgetötet werden. Doch Rinder, Schweine oder Geflügel nehmen um fünf bis 15 Prozent schneller zu und verbrauchen gleichzeitig weniger Futter.
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Avoparcin seit 1998 EU-weit verboten
Nach einer jahrelangen Diskussion wurde Avoparcin, das eng mit dem in der Humanmedizin verwendeten Glykopeptid-Antibiotikum Vancomycin verwandt ist, 1998 in der EU verboten.

Das erste Resultat des Banns war, dass sich laut den Experten von der Universität Antwerpen die Häufigkeit von Vancomycin-resistenten Keimen bei Schweinen, Hühnern und auch in Hühnerfleisch aus Supermärkten drastisch reduzierte.
Vancomycin - letzte Hoffnung der Mediziner
Allerdings war bisher nicht klar, ob sich diese Entwicklung auch bei Spitalspatienten mit bakteriellen Infektionen fortsetzen würde. Das ist insofern von großer Bedeutung, weil Vancomycin als "letzte Hoffnung" bzw. als "Reserve-Antibiotikum" der Medizin gilt.

In Spitälern kommt es dann zum Einsatz, wenn alle anderen Antibiotika versagen, da die Keime bereits resistent gegen diese Mittel sind. Patienten der Intensivstationen erhalten Vancomycin bei schweren Infektionen wie Sepsis oder Lungenentzündung.
->   Mehr zu Vancomycin
Daten-Vergleich: Resistenzen drastisch zurück gegangen
Die Mikrobiologin Greet Ieven hatte die Daten aus dem Jahr 1996, also von einer Zeit noch vor dem "Bann", zur Verfügung. Damals waren bei Patienten 5,7 Prozent der Enterokokken-Keime aus Stuhlproben gegen Vancomycin resistent gewesen.

Die Wissenschaftlerin und ihre Kollegen wiederholten die Untersuchungen im Mai und im Juni vergangenen Jahres bei insgesamt 353 Patienten. Das Resultat: Nur mehr drei der Proben oder 0,6 Prozent enthielten Vancomycin-resistente Keime.
Auch US-Experte sieht enge Verbindung
"Das zeigt, dass eine enge Verbindung zwischen unseren Aktivitäten bei Tieren und der Situation beim Menschen besteht", kommentiert der US-Mikrobiologe Stuart Levy von der Tufts Universität in Boston die Erkenntnisse seiner belgischen Kollegen.

Michael Dudley, Pharmakologe des US-Unternehmens Microcide Pharmaceutical, ergänzte gegenüber Science: "Diese Resultate zeigen, dass Antibiotika-Resistenzen wie Wasser von den Farmen in die Klinik fließen. Indem man die Verwendung von Antibiotika verbietet, dreht man einfach den Hahn zu."
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Aktueller Anlass in den USA
Die US-Arzneimittelbehörde FDA hat empfohlen, in den USA die Verwendung von zwei Antibiotika für Tiere zu verbieten. Dies betrifft Virginiamycin und Enrofloxacin. Bei Resistenzen gegen die erste Substanz, ist auch das für den Gebrauch bei Patienten erst vor kurzem entwickelte Antibiotikum "Synercid" unwirksam.

Treten hingegen resistente Keime gegen Enrofloxacin auf, dürfte auch eine Kreuzresistenz gegenüber dem weltweit millionenfach verwendeten Ciprofloxacin vorliegen. Laut "Science" wehrt sich der Enrofloxacin-Produzent Abbott gegen das von der FDA vorgeschlagene Verbot.
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Noch sind vier Antibiotika zugelassen ...
Mittlerweile sind in der EU die meisten Antibiotika als Futtermittelzusatz längst verboten und dürfen nur noch zur veterinärmedizinischen Behandlung von Tieren eingesetzt werden. Vier Präparate dürfen dagegen noch immer legal ins Tierfutter gemischt werden.

Nach deutschen Presseberichten vom vergangenen Jahr wird allerdings bereits überlegt, auch diese vier Antibiotika als Wachstumsförderer in der Tierzucht zu verbieten.

Die EU-Kommission arbeite an einem Gesetzesvorschlag über das Verfütterungsverbot, erklärte demnach eine Sprecherin des EU-Verbraucherschutzkommissars David Byrne im Januar 2001.
Tendenz zu Einschränkung oder Verbot
Ähnliches berichtet auch Friedrich Schmoll vom Zweiten Medizinischen Klinik für Klauentiere der Veterinärmedizinischen Universität Wien: Die Tendenz gehe dahin, dass Antibiotika als Futterzusatzstoffe im Tierbereich weitgehend eingeschränkt bzw. ganz verboten werden, so Schmoll gegenüber science.orf.at.
->   Science (kostenpflichtig)
->   Universität Antwerpen
->   VetMed, Zweite Medizinische Klinik für Klauentiere
Mehr zu diesem Thema in science.orf.at:
->   Österreich-Studie zu Bakterien-Resistenzen
->   Antibiotika-resistente Bakterien in Lebensmitteln
->   Künstliche Antibiotika gegen resistente Bakterien
 
 
 
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01.01.2010