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Krieg in Afrika: Hexerei und Kannibalismus blühen  
  Der Waffenhandel in Afrika hat die Gewalt in den letzen 20 bis 30 Jahren eskalieren lassen. Für die Menschen in Kenia, im Süden Sudans, in Somalia und in Uganda hat der alltägliche Umgang mit der Waffe traditionelle Familienstrukturen, Aberglauben und Feindschaften völlig verändert - Hexerei und Kannibalismus blühen. Anthropologen erforschen derzeit intensiv, wie das Kriegstreiben das soziale Gefüge der Gesellschaft umformt.  
Michael Bollig von der Universität Köln beobachtet die Gewalteskalation durch den Waffenbesitz in Afrika seit Jahrzehnten. Er sieht ganz massive Konsequenzen sogar für die Familien.
Waffenkauf: Streitigkeiten in den Familien
"Der Waffenkauf führt zu Streitigkeiten in den Familien. Für eine moderne Waffe müssen 30 bis 40 Rinder bezahlt werden. Die Väter schießen den Söhnen den Erbteil aus den Herden, die eigentlich den Frauen gehören, vor. In der Folge muss die Waffe dann auch produktiv genutzt werden", erläutert der Experte.
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Produktive Nutzung: Mehr Beute für moderne Waffen
Die Waffen produktiv zu nutzen, heißt in diesen Gebieten: Raubzüge machen. In der Regel geht es um Rinder, um private Beute. Im Norden Kenias oder im Süden Äthiopiens sammeln sich Hunderte Männer zu einem Überfall, bei dem mehrere hundert Rinder erbeutet werden.

Bei der Aufteilung der Beute werden die Männer mit mehr Tieren bedacht, die mit halbautomatischen Waffen teilgenommen haben. Schließlich haben sie damit den Schutz vor der Polizei und den Erfolg der Aktion erst ermöglicht, meint der Afrika-Experte Bollig.
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Junge werden mächtiger
Die traditionellen Muster von Freund und Feind verlieren sich. Die Älteren sehen eine Entwicklung in die falsche Richtung. "Die jungen Männer hören nicht mehr auf die Alten und greifen Stämme an, mit denen es nie zuvor Krieg gegeben hat", beobachtet Bollig.

Die traditionelle Gerontokratie, die Herrschaft der Alten, löst sich auf. Denn die Jungen verfügen über Ressourcen, die sie unabhängig und mächtig machen wie nie zuvor.
Hexerei lebt wieder auf
Neben der Technisierung in Afrika macht sich zugleich auch ein Trend zum Aberglauben bemerkbar. Heike Behrend von der Universität Köln fand in Uganda ein Phänomen, das die Folgen des Krieges auf ganz ungewöhnliche Weise zeigt. Dort wird die externe Gewalt zur inneren Bedrohung.

"Mit dem Ansteigen der Todesrate findet im Norden Ugandas eine Aktualisierung des Hexereidiskurses statt", erzählt die Expertin. "Die Frage 'Warum ich?', die wir im Westen mit 'Zufall' oder 'Pech gehabt' beantworten, produziert dort die Antwort, dass Hexerei im Spiel war. Der Soldat wurde von jemandem verhext."

Damit wird allerdings jeder zum potentiellen Feind. "Das führt zu einer neuen Form von internem Terror, des Krieges alle gegen alle", meint Behrend.
Kannibalenjagd in Westuganda
In Westuganda erfuhr das Klima des Hasses noch eine Verschärfung aufgrund der Bedrohung durch Kannibalen. "Kannibalen werden zum großen Teil imaginiert. Die Leute haben aber enorme Angst", so Behrend.

Das Tragische sei, so die Expertin weiter, dass durch die Kannibalenjagd der kirchlichen Organisationen letztlich das Problem noch verschärft wird, indem die Realität des Kannibalismus so bestätigt wird.

Der Kannibalismus blüht und gedeiht. Während Kannibalen in den 70er Jahren nur in ganz bestimmten Regionen zu finden waren, sind sie jetzt überall und es gibt Kannibalen verschiedener Klassen, zum Beispiel Kannibalen, die sich moderner Medien wie Fotos bedienen, um die Seele des Opfers zu vernichten.
Friedensprozesse und Gewalt
John Darby vom United States Institute of Peace studiert seit acht Jahren die Friedensprozesse in Südafrika. Der Experte untersuchte vor allem, was mit der Gewalt im Land geschieht, wenn ein Friedensprozess beginnt.

"Die Gewalt geht immer weiter. Sie nimmt nur andere Formen an", sagt der Wissenschaftler. "Manchmal setzt der Staat die Gewalt fort, manchmal sind es Splittergruppen, die den Kampf für die Freiheit - wie sie es nennen - fortsetzen wollen."
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Gewalt steigt auch in anderer Form an
Zudem steigt die Gewalt noch in anderer Form an. "In Südafrika gab es einen erfolgreichen Friedensprozess. Dennoch stieg die Kriminalität in Südafrika auf ein erschreckendes Level", erläutert Darby.

"70 Menschen werden jeden Tag getötet - obwohl die politische Gewalt aufgehört hat. Denn die Waffen sind noch in Umkreis und das äußert sich dann in konventionellen Verbrechen - in Morden, Rauben, Vergewaltigungen - alle diese Verbrechen sind gestiegen."
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Rechtsprechung zur Bewältigung der Gewalt
Darby glaubt, dass die Gewalt nie aufhören wird. Die Frage ist nur, ob man sie auf ein Level bringen kann, auf der sie so wie in anderen Staaten auch bewältigt werden kann - nämlich durch die Rechtssprechung.

Erst dann wird man sagen können, dass ein Friedensprozess erfolgreich war. Die Unterschrift unter einen Friedensvertrag ist alleine noch keine Garantie für ein Ende der Gewalt.

Ulrike Schmitzer, Ö1-Wissenschaft für das "Salzburger Nachtstudio"
->   Universität Köln
->   Uni Köln: The Practice of War - Social Relations and Cultural Networks
->   United States Institute of Peace
->   Radio Österreich 1
 
 
 
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01.01.2010