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Was blieb von Chaos und Fraktale?  
  In den 80er und 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts galten sie als die großen Renner unter den zukunftsträchtigen Theorien. Wer in irgendeiner Wissenschaft vorne mit dabei sein wollte, musste wenigstens einen Hinweis auf die Verträglichkeit mit z.B. Chaos- oder Selbstorganisationstheorien bringen. Im 21. Jahrhundert scheinen diese Begriffe - mit wenigen Ausnahmen - aus den Wissenschaften eliminiert zu sein. Auch in der öffentlichen Diskussion spricht kaum jemand von Fraktalen oder dem Mandelbrot-Bäumchen.  
Aber die Theorien sind nicht wirkungslos geblieben und haben sich in den Wissenschaften etabliert! Der Begriff Selbstorganisation ist beispielsweise in der Systemischen Theorie wichtig geworden.
Selbstorganisation und Hirnforschung
Als besonders erfolgreich hat sich die Theorie der Selbstorganisation in der Hirnforschung erwiesen. Chaos, Ungleichgewicht und Selbstorganisation im Gehirn erforscht der Neuropsychologe Gerhard Roth aus Bremen.

Er gilt als einer der wichtigsten Hirnforscher der Gegenwart. Ohne Selbstorganisation würde das komplexe System Gehirn nicht funktionieren, denn die Gene allein könnten die Gehirnvorgänge nicht steuern: "Der Begriff der Selbstorganisation war einer der wichtigsten Begriffe im Verständnis des Gehirns", sagt Roth.

"Man weiß heute, wie viele Gene es gibt, nämlich etwa 30.000 bis 40.000. Und selbst wenn man annimmt, dass die Hälfte für das Gehirn zuständig sind, sind das niederschmetternd wenige Gene. Das heißt, dass allermeiste, was das Gehirn tut, und das kann man heute experimentell belegen, tut das Gehirn selbstorganisiert."
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Ordnung und Chaos
Wo Ordnung ist, da muss auch Chaos sein. Chaos sollte, so Gerhard Roth, nicht mit Unordnung gleichgesetzt werden. "Auch das Chaos hat seine Berechtigung", meint Gerhard Roth. "Gleichzeitig ist das Gehirn sehr stabil, denn wir sind ja nicht verrückt. Man vermutet, dass Kreativität auf einem selbstinduzierten Vorgang im Stirnhirn beruht. Also Chaos ist notwendig, damit neue kreative Dinge entstehen."
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Das Gehirn der Neugeborenen produziert mehr Zellen als nötig
Hirnforscher können Selbstorganisation beobachten. Sie sehen, wie Nervenzellen sich verdrahten. Das Gehirn des Neugeborenen produziert um das Zehnfache mehr Nervenzellen als benötigt.

Gerhard Roth: "Es kommt zu dramatischem Sterben der Nervenzellen und zu Abbau der Verknüpfungen. Man kann nachvollziehen, dass Nervenzellen um Ressourcen und Information kämpfen. Am Ende dieses Prozesses bleiben bestimmte Verbindungen übrig, die gewonnen haben. Das ist der Prozess der Selektion der Selbstorganisation, und der ist absolut dramatisch."
Selbstorganisation, Kreativität und Neuerschaffung
Der Grazer Wissenschaftsphilosoph Johann Götschl gilt international als wichtiger Vertreter der Selbstorganisation. Sie hat mit Selbstschöpfung und Eigenentwicklung zu tun. Damit wird die Frage der Schöpfung neu diskutiert.

"In Wahrheit ist es so, dass der Mensch sich selber permanent erschafft, sich selber generiert", meint Götschl. "Menschen haben in den letzten 10.000 Jahren die Städte gebaut. Der Anstoß zur Kreation von physikalischen, ökonomischen Theorien und zur Musik ist nicht von außen gekommen. Sie sind das Resultat der Eigenschöpfung des Menschen. Man kann sogar sagen, dass die Menschheit erst dadurch stattfindet, dass sie sich selbst erschafft."
Freiheit verlangt Verantwortung
Freiheit, Kooperation, Teamentwicklung, Selbstmanagement: das sind Trends der 90er Jahre. Nach dem Modell dieser Theorien beginnen sich Unternehmen zu restrukturieren.

Johann Götschl: "Heute möchte man haben, dass die Mitarbeiter sich möglichst verantwortungsvoll und gleichzeitig autonomer verhalten. Insoferne sind die Theorien der Selbstorganisation faszinierende Erneuerungen unserer Kultur. Gleichzeitig aber bedeutet es, wenn die Menschen selbstorganisatorisch sind, dass dem Individuum auch größere Verantwortlichkeit zu kommt."
Das fraktale Unternehmen
Das "Fraktale Unternehmen" fördert die Kompetenz und Freiheit der Menschen. Fraktale haben sich in der Unternehmensberatung als "Fraktale Fabrik" etabliert.

Der Leiter der Frauenhofer Gesellschaft, Warnecke, hat auf dem Modell der Fraktale ein Modell zur kreativen Umstrukturierung von Unternehmen entwickelt.

Der Grazer Professor Helmut Jaberg (Institut für Hydraulische Strömungsmaschinen an der TU Graz) arbeitet mit diesem Modell an der "Neuschöpfung" von Unternehmen. Selbstorganisation und Chaos scheinen das dynamische Grundprinzip aller Formen der Evolution, aller Stufen von Leben und aller Erscheinungsformen von Kultur zu sein.

Ein Beitrag von Alois Kogler für die Ö1-Dimensionen
->   Ö1
 
 
 
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01.01.2010