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Wie Östrogene gegen Alzheimer wirken  
  Dass Östrogene den Verlauf einer Alzheimer-Erkrankung positiv beeinflussen, war bereits bekannt. Bislang war allerdings nicht klar, auf welche Weise dies geschieht. Wissenschaftler des Münchener Max-Planck-Instituts für Psychiatrie weisen nun neue Ergebnisse vor, die den Mechanismus erhellen, wie die Sexualhormone die Bildung von Alzheimer auslösenden Proteinen unterdrücken.  
Die Nachwuchs-Forschungsgruppe unter der Leitung von Christian Behl berichtet darüber in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins "MaxPlanckForschung".
Hormone wirken auch auf Zellen ohne Andockstellen
Die Wissenschaftler haben die Wirkung von Östrogenen auf Nervenzellen des Gehirns untersucht - und festgestellt, dass diese Hormone nicht nur auf Zellen wirken, die Östrogen-Andockstellen aufweisen.

Damit liegt nahe, dass bestimmte Bestandteile der Östrogenmoleküle eine nicht-hormonelle Wirkung ausüben, die für die Unterdrückung jener schädlichen Proteine verantwortlich ist.
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"Auf dem 'Östrogen-Pfad' gegen Alzheimer"
Der Artikel "Auf dem 'Östrogen-Pfad' gegen Alzheimer" ist erschienen in der "MaxPlanckForschung" (4/2001, S. 7-8). Das Magazin berichtet viermal im Jahr über Forschungsstand und -ergebnisse der Max-Planck-Institute.
->   Der Originalartikel im Internet (pdf-File)
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Sechs Millionen Erkrankte in Europa
In Österreich leiden etwa 80.000 Menschen an der Alzheimerschen Krankheit, die zu fortschreitendem Verfall der geistigen Fähigkeiten führt und bislang als unheilbar gilt.

Rund 800.000 Alzheimer-Patienten leben in Deutschland, sechs Millionen sind es in ganz Europa und vier Millionen in den Vereinigten Staaten.
Risiko wächst mit dem Alter
Das Risiko, an Alzheimer zu erkranken, wächst dabei mit zunehmendem Alter. Schätzungen zufolge sind in den westlichen Ländern etwa fünf Prozent der Bevölkerung über 65 Jahre und rund 20 Prozent über 80 Jahre betroffen.

Weil Frauen im Schnitt sieben Jahre länger leben als Männer, ist ihr Risiko deutlich erhöht. Mit zunehmendem Durchschnittsalter werden diese Zahlen nach Ansicht von Experten in den nächsten Jahrzehnten stark ansteigen.
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Alzheimer: Ursachen und Diagnose
Die eigentliche Ursache des Leidens ist noch immer unbekannt, vieles deutet darauf hin, dass es mehrere verschiedene Auslöser gibt.

1. Genetischer Faktor: Obwohl Alzheimer als Hauptursache altersabhängiger Demenz gilt, können seltenere erbliche Formen des Leidens bereits ab dem dreißigsten Lebensjahr ausbrechen: Auslöser ist eine Mutation im APP-Gen.

2. Toxischer Faktor: Da in den Plaques hohe Konzentrationen von Aluminiumsilicat nachgewiesen wurden, kommt Aluminium für eine Form des toxisch ausgelösten Alzheimer in Frage.

3. Äußere Faktoren: Die Krankheit fördernde äußere Einflüsse sind Schädel-Hirn-Traumen, die das Risiko an Alzheimer zu erkranken erhöhen. Im Tierexperiment wurde auch belegt, dass Hirnverletzungen eine vermehrte Produktion von APP bewirken.

Es gibt zur Zeit keine Heilungsmöglichkeiten für die Alzheimersche Krankheit, Medikamente können den Verlauf lediglich verzögern und Gedächtnis sowie Konzentrationsfähigkeit verbessern helfen. Ein frühzeitiges Erkennen der Krankheit ist dabei jedoch besonders wichtig: Bislang konnte Alzheimer erst nach dem Tod eines Betroffenen eindeutig diagnostiziert werden, da sich die Symptome mit anderen Alterskrankheiten decken. Neuere Studien konzentrieren sich nun darauf, mit Hilfe von bildgebenden Verfahren die Veränderungen im Gehirn bereits im Anfangsstadium aufzuspüren.
->   Mehr Informationen zu Alzheimer
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Östrogene gegen Alzheimer
Dass die weiblichen Sexualhormone Östradiol, Östron und Östriol - bekannt unter dem Sammelbegriff Östrogene - gegen Alzheimer wirken, wurde schon lange vermutet. Doch es fehlten Studien zur genauen Wirkungsweise der Hormone auf die Nervenzellen des Gehirns.

Denn dort finden sich die Auslöser für den akuten Verfall der geistigen Fähigkeiten, der bei Alzheimer-Patienten zu beobachten ist: Proteinablagerungen, die die Hirnrinde der Erkrankten durchsetzen und die Nervenzellen zerstören.
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Die "Nebenwirkungen" von Östrogenen
Die Östrogene stehen nicht nur im Dienst der Fortpflanzung. Vielmehr üben sie allerlei vorteilhafte "Nebenwirkungen" aus, so etwa auf das Herz-Kreislauf-System, auf den Stoffwechsel der Knochen und auch auf das Gehirn: Dort tragen Östrogene als Neurohormone und Schutzfaktoren auf vielfältige Weise zur Funktion und Erhaltung von Nervenzellen bei.

Die Arbeitsgruppe vom Max-Planck-Institut hat z.B. vor einigen Jahren festgestellt, dass Östrogene aufgrund ihrer chemischen Struktur als neuroprotektive - als die Nervenzellen schützende - Antioxidantien wirken: Sie fangen die so genannten "freien Radikalen" (chemisch aggressive Moleküle, die einen zerstörerischen oxidierenden Einfluss auf Nervenzellen haben) ab. Ähnlich dem Vitamin E wirken Östrogene also als Radikalenfänger und bilden eine Art "molekularen Schutzschild" für die Nervenzellen.
->   Mehr zu Östrogenen
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Eiweißmolekül führt zu Plaques im Gehirn
Ein für diesen Prozess zentrales Eiweißmolekül ist das APP (Amyloid Precursor Protein) und genau darauf konzentrierten sich die Untersuchungen der Max-Planck-Forscher.

Wird dieses APP im Gehirn weiterverarbeitet - man spricht auch von Prozessierung, so kann es zu einer fatalen Fehlentwicklung kommen: Ein toxisches Eiweiß, das so genannte Beta-Amyloid entsteht, dass sich in Form der Plaques (Eiweißablagerungen) im Gehirn ablagert.
Unbekannter Mechanismus ...
Frühere Studien hatten bereits einen Einfluss von Östrogenen auf die Prozessierung des APP beobachtet. Offenbar unterdrücken die Sexualhormone die Bildung von Beta-Amyloid, doch der genaue molekulare Mechanismus war bislang noch unbekannt.
Östrogene wirken "nicht hormonell"
Die Forschergruppe um Christian Behl konzentrierte sich auf diesen Aspekt - und wartet nun mit einem wesentlichen Befunden auf: Ihre Untersuchungen haben gezeigt, dass Östrogene nicht über den "klassischen" hormonellen Mechanismus wirken.

Denn die Sexualhormone beeinflussen offenbar auch die APP-Prozessierung in den Nervenzellen im Gehirn, die überhaupt keine aktiven Östrogenrezeptoren - Andockstellen für die Hormone, damit diese ihre (hormonelle) Wirkung entfalten können - aufweisen.
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Ein weiterer Befund
Zum anderen stellte sich heraus, "dass der Effekt der Östrogene auf die Prozessierung des APP in Nervenzellen jeweils sehr rasch erfolgt und über bestimmte intrazelluläre Signalfaktoren, so genannte Kinasen, vermittelt wird", schreiben die Forscher in der "MaxPlanckForschung".
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Chemische Östrogen-Bauteile als "Leitstruktur"
Der Forschungsansatz, den die Wissenschaftler aus diesen Erkenntnissen ziehen: Wenn man diejenigen Strukturelemente der Östrogenmoleküle identifiziert, die für die nicht-hormonelle Wirkung auf die APP-Prozessierung verantwortlich sind, so könnten diese chemischen Bauteile als "Leitstruktur" für neue Medikamente gegen Alzheimer dienen.

Wie Forschungsleiter Behl berichtet, habe man bereits "erste hoch aktive Molekülstrukturen" identifiziert, die im Tiermodell getestet wurden.

Zusätzlich suche man nach Genen, die in Nervenzellen durch Östrogene an- oder abgeschaltet werden und das Überleben der Zellen beeinflussen.
Für Männer und Frauen geeignet
"Auf der Grundlage dieser Daten ließen sich dann Medikamente entwickeln, die diese Schutzprogramme gezielt anschalten - und Östrogene wären dann, jedenfalls als Ganzes, nicht mehr notwendig, um neuroprotektive Wirkungen zu erzeugen", erklärt der Experte.

Diese Medikamente wären somit aufgrund der "nicht vorhandenen feminisierenden Wirkungen" bei Frauen wie bei Männern einsetzbar, heißt es weiter in dem Bericht.

Vorerst werden die Münchner Wissenschaflter allerdings noch eine ganze Reihe weiterer Untersuchungen durchführen. Am Ende aber führt diese "Spur" vielleicht zu einem neuen - und effektiveren - Medikament gegen Alzheimer.
->   Max-Planck-Institut für Psychiatrie
->   Wissenschaftsmagazin MaxPlanckForschung
->   Mehr zum Thema Alzheimer in science.orf.at
 
 
 
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01.01.2010