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Der "ewige Kampf" in der Evolution  
  Wenn Biologen von Fortpflanzung sprechen, verwenden sie gerne martialische Begriffe wie "ewiger Kampf" und "permanentes Wettrüsten". Was nach politischen Analysen menschlicher Geschichte klingt, soll die Realität einfacher Organismen beschreiben. Z.B. von Wasserläufern, die nach einer neuen Studie als Musterbeispiele "Antagonistischer Koevolution" gelten: Männchen und Weibchen tun alles, um ihre eigenen, konträren "Interessen" zu verfolgen und dennoch Reproduktion zu ermöglichen.  
Paarungsverhalten von Wasserläufern
Ein Beispiel, wie gesellschaftlich konstruierte Begriffe zur Beschreibung von "Natur" verwendet werden, liefert die Titelgeschichte des aktuellen "Nature".

Göran Arnqvist von der University of Uppsala und Locke Rowe von der University of Toronto gehen dabei dem Paarungsverhalten von Wasserläufern nach.
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Originalartikel in Nature (kostenpflichtig):
->   Antagonistic coevolution between the sexes in a group of insects
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Aufmerksame Männchen, widerständige Weibchen
Das, was Wasserläufer-Weibchen und -Männchen miteinander tun, nennen sie den "ewigen Kampf der Geschlechter". Dieser beinhalte ein permanentes biologisches "Wettrüsten im Tierreich", das allerdings Phasen der "Eskalation" wie auch der "Deeskalation" kenne.

Weibliche Wasserläufer, so die Biologen, versuchen der Aufmerksamkeit der Männchen zu entkommen. Diese wiederum trachten danach, den "weiblichen Widerstand" zu überwinden.
Entwicklung passender Werkzeuge
Zur Erreichung ihrer Ziele habe sich im Laufe der Evolution bei beiden Geschlechtern die entsprechende Ausrüstung entwickelt.

Die Männchen bekamen immer wirksamere und kräftigere Klammerwerkzeuge. Im Gegenzug bildeten die Weibchen zur Abwehr immer effizientere stachelige Fortsätze am Hinterleib aus. Der Akt der Reproduktion gestaltete sich "naturgemäß" in einer Art Ringkampf.
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Männchen, Weibchen und ihre unterschiedlichen "Interessen"
Warum weibliche Wasserläufer tendenziell so wenig Kontakt zu Männchen wie möglich haben wollen? Die Biologen nennen das Risiko von Krankheitsübertragung, die größere Gefahr, während der Umarmungen von einem Beutetier gefangen zu werden, und schlicht und einfach die damit verbundene prinzipielle Anstrengung. Einziges Ziel sei die Befruchtung der Eier - und die soll möglichst schnell vonstatten gehen.

Für die Männchen wiederum sei es bloß wichtig, die eigenen Gene weiterzugeben. Weibchen seien für sie Trägerinnen der eigenen Erbsubstanz. Nachdem sich die Männchen auch in keiner Weise um den Nachwuchs kümmern, profitieren sie davon, mit möglichst vielen Weibchen Umarmungen der reproduktiven Art einzugehen, so Rowe und Arnqvist.
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Stillstand der Evolution?
Damit das Resultat dieser "antagonistischen Koevolution" gleich bleibt, bedürfe es aber einer Pattstellung zwischen den Geschlechtern. Nur so sei der Sinn der Evolution - der Fortpflanzungserfolg - sicher gestellt.

Wenn sich Männchen und Weibchen im Sinne ihres Wettkampfs aber auf den bzw. die jeweils andere/n reagieren und adaptieren, sieht das von außen aus betrachtet wie ein Stillstand der Evolution aus.
Wenn Wasserläufer "im Vorteil" sind
Aus diesem Grund haben Rowe und Arnquist 15 sehr nahe verwandte Wasserläufer-Arten untersucht. Bei den meisten fanden sie ein ausgeglichenes Adaptionsniveau zwischen den Geschlechtern vor.

Bei einigen jedoch entdeckten sie - kurzfristige - Vorteile von dem einen oder anderen Geschlecht. Bei jenen Spezies, in denen die Weibchen im "Vorteil" waren, beobachteten sie eine geringere Paarungshäufigkeit. Im umgekehrten Fall stellten die Biologen eine hohe Paarungsrate fest. Damit handle es sich um den ersten direkten Beweis eines "Wettrüstens" der Geschlechter.

Eine Beobachtung, die mindestens so aufschlussreich ist wie die Sprache der (männlichen) Biologen.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at
->   Nature
->   Universität Uppsala, Department of Animal Ecology
->   University of Toronto, Department of Zoology
 
 
 
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01.01.2010