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Invasoren im Tier- und Pflanzenreich  
  Die Globalisierung hat auch Flora und Fauna erfasst. Pflanzen- und Tierarten reisen ebenso wie Touristen und siedeln sich in fremden Ländern manchmal auch an. Rund 1.350 eingewanderte Tierarten und etwa 600 neue Pflanzen sollen in Österreich bzw. Deutschland bereits heimisch geworden sein. Werden sie zur Gefahr für die einheimischen Arten? Darauf will das neue Feld der Invasionsbiologie Antworten geben.  
Wie die Kaninchen?
Als Beleg für mögliche Schreckensszenarien dienen meist die Kaninchen, die von Immigranten nach Australien gebracht und dort zu einer wahren Plage wurden, oder der aus Amerika eingeschleppte Kartoffelkäfer, der im vorigen Jahrhundert ganze Ernten vernichtete.

Viele ökologische Horrorvorstellungen sind zwar stark übertrieben, dennoch hat die "Invasion" neuer Arten massive Auswirkungen auf die heimische Tier- und Pflanzenwelt.
Zuwanderer unter Wasser
Unter Wasser findet man rund 15 Fischarten, die in der jüngeren Vergangenheit zugewandert bzw. eingesetzt worden sind - etwa Amur-Karpfen, den Bachsaibling oder die Regenbogenforelle.

Diese kam Ende des 19. Jahrhunderts nach Österreich und steht mit der einheimischen Bachforelle nicht nur in Nahrungskonkurrenz.

Die Regenbogenforelle laicht auch später als die Bachforelle und zerstört dabei deren Laich und damit die Nachkommenschaft, wie Albert Jagsch, der Leiter des Instituts für Gewässerökologie, Fischereibiologie und Seenkunde in Scharfling am Mondsee erklärt.
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Bachforelle und Regenbogenforelle
Wer Regenbogen- und Bachforelle unterscheiden will: Die Bachforelle hat rote Punkte mit weißem Hof, die zugewanderte Art niemals rote, nur schwarze Punkte. Die Regenbogenforelle ist außerdem weniger empfindlich als die Bachforelle - sie besiedelt auch noch regulierte Flussabschnitte.
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Signal-Krebse aus Amerika
Wer Kochbücher aus der K&K-Zeit liest, wird darin immer wieder Flusskrebsgerichte finden. In den 70er und 80er Jahren waren aber die einheimischen Edel-Krebse so gut wie verschwunden - woran einerseits die so genannte Krebs-Pest schuld war, anderseits ein Zuwanderer aus Amerika, der von Fischern ganz bewusst ausgesetzt wurde: der Signal-Krebs.

Da diese nordamerikanische Krebsart zwar nicht an der Krebspest erkrankt, sie aber überträgt und dazu noch widerständiger und aggressiver ist als der Edelkrebs, hat die einheimische Krebsart kaum mehr Chancen, wieder aufzukommen.
Eingeschleppte Krankheiten
Mit fremden Arten eingeschleppte Krankheiten machen auch anderen Wasserbewohnern zu schaffen: Pazifische Lachse brachten die Forellen-Krankheit IHN nach Europa; der Schwimmblasenwurm kam mit indo-pazifischen Aalen zu uns und dezimiert jetzt die lokalen Aalbestände.
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Die Dreikantmuschel: eine "dubiose" Berühmtheit
Zu einiger Berühmtheit ist ein anderer Fremdling gelangt - die Dreikantmuschel. Sie dürfte nach dem Bau des Suezkanals mit zurückkehrenden Baggern nach Mitteleuropa und dann in die Seen gelangt sein. Nach einer langen Ruhephase überwucherte sie in den 70er Jahren nicht nur die Salzkammergut-Seen. Im Bodensee etwa legte sie die Wasserversorgung von Stuttgart lahm, weil sie die Rohre verstopfte. Mittlerweile ist sie aber wieder auf dem Rückzug.
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Der Riesenbärenklau okkupiert die Gärten
In den Gärten hat sich der Riesenbärenklau breitgemacht, eine bis zu drei Meter hohe Staude - eingeführt als Zierpflanze sowie von Imkern als Bienenfutterpflanze.

Wie der Salzburger Botaniker Walter Strobl erklärt, kann diese Art tatsächlich gefährlich werden: Ihr Gift verursacht bei Berührung nämlich Ausschläge und Haut-Verätzungen, besonders schlimm bei Sonnenbestrahlung.
->   Mehr zum Riesenbärenklau
Verwilderte Zierpflanzen
Die meisten fremdländischen Pflanzen, die wir heute in Mitteleuropa finden, wurden ursprünglich für den Ziergarten importiert, sind aber irgendwann einmal verwildert.

Nur wenige kamen als blinde Passagiere ins Land, wie etwa das Franzosenkraut, das sich als Beikraut in Kartoffeläckern breit macht und die Ernte schmälert.
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Neophyten - grüne Zuwanderer
Neophyten - so der Fachausdruck für die grünen Zuwanderer - siedeln sich meist dort an, wo Flächen ökologisch ohnehin nicht ganz intakt sind. Zum Beispiel auf überdüngten Wiesen oder anderen nährstoffreichen Arealen, die alles andere als naturnah sind. Der Artenreichtum ist übrigens auf mageren Standorten viel höher als auf fetten. Neophyten halten sich deshalb oft nur während der "fetten" Jahre.
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Staudenknöterich, Springkraut und Scheinerdbeere
Flussufer werden zunehmend vom Japanischen Staudenknöterich überwuchert, der andere Arten verdrängt. Das Indische Springkraut schleudert seine Samen über Gartengrenzen hinaus und wuchert bis zu vier Meter hoch in freier Natur.

In Städten wie Salzburg macht sich die indische Scheinerdbeere breit, die vor etwa 200 Jahren als Zierde in Botanischen Gärten importiert wurde, dann aber ebenfalls auswilderte.
Städte als Klimalaboratorien
Städte sind extrem künstliche Lebensräume - selbst die Temperatur liegt je nach Größe mehrere Grad über der des Umlandes. Hier ist also eine mögliche Klimaerwärmung kleinräumig schon vorweggenommen. Vor allem subtropische Pflanzen bekommen dadurch eine Chance.

Generell gilt aber bei Neophyten: von 100 Zuwanderern überleben maximal zehn auf Dauer und nur einer, also ein Prozent, vermehrt sich massenhaft. Die größte Schwäche der Zuwanderer: Sie sind meist nicht frostbeständig - überleben kalte Winter also nicht.
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Der Laubholz-Bockkäfer - ein Zuwanderer aus Asien
Bei den Insekten hat im Vorjahr ein Zuwanderer aus Asien für große Aufregung gesorgt - der Laubholz-Bockkäfer, der als blinder Passagier in Holzkisten aus China nach Mitteleuropa kam.

Das etwa drei Zentimeter lange und schmale Insekt mit doppelt so langen Antennen gilt als extremer Holzschädling und wurde erstmals in Braunau in der Nähe eines holzverarbeitenden Betriebs gesichtet. Die Naturschutzbehörde ließ daraufhin eine ganze Allee abholzen, um die Ausbreitung zu verhindern. Nach Ansicht des Insektenkundlers Martin Behr von der Zoologischen Staatssammlung in München eine überzogene Reaktion, weil der subtropische Käfer Kälte ohnehin nicht überlebt.
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Die Linden-Miniermotte auf Wanderschaft
Nach der Kastanien-Miniermotte kommt ein neuer Schädling aus dem Osten: die Linden-Miniermotte. Rund 200 Kilometer pro Jahr drängt sie auf dem eurasischen Kontinent Richtung Westen und wurde schon in Niederösterreich gesichtet.

Auch die Pharao-Ameise ist ein Zuwanderer - sie macht sich sowohl in Computer-Innenräumen breit, als auch in der Küche. Wie viele Vorratsschädlinge gehört sie zu den synanthropen Neozoen - also jenen eingewanderten Tieren, die nur im Umfeld des Menschen, nicht in freier Natur anzutreffen sind.
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Buchtipp: Bernhard Kegel: Die Ameise als Tramp. Ammann 1999.
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"Invasive Arten" - ein unscharfer Begriff
Der Begriff "invasive Art" - also Einwanderer - ist nicht ganz scharf, bemängelt Josef Reichholf von der Zoologischen Staatssammlung in München, der an der Bayrischen Akademie der Wissenschaften eine Expertenkommission zum Thema "Invasive Arten" geleitet hat.

Denn auch Arten wie Hase, Rebhuhn oder Feldlerche seien als Kulturfolger erst mit der Landnutzung aus dem eurasischen Raum zu uns gekommen, gelten heute aber als einheimische Arten.
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Die Bisamratte aus Kanada
Ein weiteres Beispiel ist die Bisamratte: Sie wurde Anfang des 20. Jahrhunderts vom böhmischen Adeligen Colloredo-Mansfeld aus Kanada mitgebracht und in seinen Teichen ausgesetzt. Ein halbes Jahrhundert später hatte sich das putzige Tier über ganz Mitteleuropa ausgebreitet und fraß vor allem Teich-Abdichtungen kurz und klein. Ökologisch richtete die Bisamratte jedoch keinen Schaden an, da sie exakt in eine unbesetzte Nische zwischen dem großen Verwandten Biber und der kleinen Wasserratte passte.
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Auch Schwäne sind Exoten
Seit 70 Jahren macht sich auch der Waschbär in Europa breit und wird zunehmend kritisch beäugt. Selbst Schwäne sind Zuwanderer. Sie wurden im späten Mittelalter als schöne Exoten in Parks angesiedelt und leben erst seit etwa 150 Jahren in freier Natur.
Verkehr zwischen den Kontinenten
Zwischen den Kontinenten herrscht im Übrigen kein Einweg-Verkehr: Austausch findet in beiden Richtungen statt. Und da entdeckt man bei näherem Hinsehen, dass Europa weitaus mehr Fauna und Flora exportiert als importiert hat.

Mit schlimmen Folgen für die Empfängerländer und -Kontinente:
Als Klassiker gilt die Kaninchen-Plage in Australien, die erst durch die Myxomatose gelöst wurde. Mittlerweile leidet Australien unter der Aga-Kröte.

In den 30er Jahren wurden 100 Stück ins Land gebracht, um einem mit dem Zuckerrohr eingeführten Zuckerrohrschädling den Garaus zu machen. Inzwischen bevölkern sie ganz Queensland, große Teile der nördlichen Territorien und New South Wales und steht davor, den Kakadu-Nationalpark zu verwüsten.
->   Australien erklärt der Aga-Kröte den biologischen Krieg
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Invasoren aus Europa
An Invasoren aus Europa wären etwa die Nilbarsche zu nennen, die im Viktoriasee zum Aussterben von 300 Buntbarscharten führten. Auch Bachforelle und Regenbogenforelle sollten nicht vergessen werden: Sie waren ursprünglich nur auf der Nordhalbkugel heimisch und richteten auf der Südhalbkugel große Schäden an.
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Ökologische Stabilität in Europa
Europa scheint aufgrund seiner Landschaftsstruktur Invasoren gegenüber nicht übermässig empfindlich zu sein, meint der Münchner Käferkundler Martin Behr.

Die Kleinräumigkeit führe zu einer gewissen ökologischen Stabilität, während sich etwa durch die großen Flächen in Australien ein Schädling sofort rasant ausbreiten könne.
Zuwanderer sind nicht automatisch ein Problem
Die Wirkung invasiver Arten vorherzusagen, ist jedenfalls beim momentanen Stand der Forschung nicht möglich - eine Aussage, die auch für künstliche invasive Arten gilt, nämlich gentechnisch veränderte Organismen.

Zu Panikreaktionen besteht aber nach Aussagen von Ökologen wie dem Münchner Wolfgang Haber kein Grund. Auf jeden Fall, so meint auch der Zoologe Josef Reichholf, werde bei bei der Diskussion über invasive Arten oft Naturschutz und Ökologie vermischt - denn "zugewandert" bedeute nicht automatisch schlecht.

Ein Beitrag von Franz Zeller für die "Dimensionen" am 18. 2., 19.00 Uhr, Programm Österreich 1.
->   Radio Österreich 1
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Buchtipp
Josef Reichholf (Hsg.): Gebietsfremde Arten, die Ökologie und der Naturschutz. Pfeil Verlag 2001.
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Mehr zu diesem Thema in science.ORF.at:
->   Artenvielfalt kontra Invasion
 
 
 
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01.01.2010