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Pestizidgefahr im Flugzeug?  
  Bei so manchem Fernreiseziel sind die Fluggäste nicht nur der trockenen Luft aus der Klimaanlage ausgesetzt. Um Vorschriften von Zielländern wie Australien zu genügen, muss das Bordpersonal immer wieder Pestizide versprühen, mit denen auch die Passagiere in Kontakt kommen können. Eine Methode, die mittlerweile äußerst umstritten ist.  
Wenige Flugreisende kennen diese Vorschriften, doch Flugzeuge, die bestimmte Länder anfliegen, müssen nach einem Bericht der "Süddeutschen Zeitung" regelmäßig im Innenraum mit Pestiziden besprüht werden.
Gegen gefährliche Schädlinge
Zweck dieser Maßnahmen ist es eigentlich, ungewollte "Eindringlinge" - landwirtschaftliche Schädlinge und Überträger von gefährlichen Krankheitserregern wie etwa Malaria-Moskitos - fernzuhalten.

Doch Beschwerden über gesundheitliche Probleme, vor allem des Flugpersonals, häuften sich in den vergangenen Jahren. Und das, obwohl die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die verwendeten Gifte für unbedenklich erklärt hat, wie die "SZ" berichtet.
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USA: Klagen gegen United Airlines
Wie die "SZ" schreibt, laufen in den USA bereits mehrere Prozesse von Betroffenen gegen die Fluggesellschaft United Airlines. Hauptforderung der Kläger sei, dass die Fluggesellschaften ihre Passagiere über die Anwendung der Pestizide informieren, was bisher unterbleibe.
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Gesundheitliche Beschwerden von Flugpersonal
Aufgekommen ist die Diskussion um die gesundheitsschädigende Wirkung der Pestizide durch eine Klage von Stewardessen, wie Irene Lukassowitz, Sprecherin des deutschen Bundesinstituts für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin (BgVV) gegenüber science.ORF.at berichtet.

Die Flugbegleiterinnen gingen demnach wegen Beschwerden vor Gericht, deren Auslöser offenbar der Kontakt mit den versprühten Insektiziden war. Dazu zählen unter Umständen auch Nervengifte, die gesundheitlichen Auswirkungen bei häufigem Kontakt können erheblich sein.
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Pestizide
Unter dem Begriff Pestizide werden Mittel zur Bekämpfung von pflanzlichen und tierischen Schädlingen aller Art zusammengefasst. Eingesetzt werden die mehr oder minder giftigen Stoffe vornehmlich in der Landwirtschaft, aber auch in privaten Haushalten. Viele dieser Substanzen gelten als Krebs erzeugend sowie erbgut- und fötusschädigend. Beschwerden, die bei Kontakt auftreten können, sind beispielsweise Allergien und eine verminderte Leistung des Immunsystems. Häufig sind Pestizide auch Nervengifte, als Folge können Übelkeit, Schwindel sowie Schädigungen des Nervensystems mit motorischen Störungen auftreten. Grundsätzlich gilt: Je häufiger und intensiver der Kontakt mit Pestiziden, desto wahrscheinlicher sind solche Beschwerden.
->   Greenpeace Österreich: Allgemeine Informationen zu Pestiziden
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Zwang zum Sprühen
Die Fluggesellschaften sind an diese Bestimmungen gebunden. Denn selbst wenn man lieber auf das giftige Sprühen verzichten würde, zwingen die Vorschriften der betreffenden Zielländer dazu. Sonst droht der Verlust der Verkehrsrechte, wie es juristisch heißt.

Das Einhalten der Bestimmungen wird allerdings nicht immer strikt überprüft. Die "SZ" zitiert etwa einen Lufthansa-Mitarbeiter mit den Worten, der Inhalt der Pestiziddosen werde bei Flügen nach Indien meist in die Toilette oder aus der Kabinentür gesprüht, da die dortigen Behörden lediglich drei bis vier leere Flaschen als Nachweis verlangen würden.
Die Angst vor den "blinden Passagieren"
Grundsätzlich sind die Vorgaben nicht unverständlich. Denn tatsächlich haben viele Länder einige Erfahrung mit gefährlichen "blinden Passagieren". Immer wieder landen Schädlinge per Schiff oder Flugzeug in fremden Ökosystemen und richten dort zum Teil erheblichen Schaden an oder übertragen gar gefährliche Krankheiten.

In diesem Zusammenhang spricht Lukassowitz etwa von der so genannten Flughafen-Malaria: In der Umgebung von Flughäfen komme es - selten zwar, aber dennoch hin und wieder - zu Malaria-Fällen, die keine Reisenden aus Risikogebieten beträfen und daher offenbar auf versehentlich eingeschleppte Moskitos zurückzuführen seien.
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Eingeschleppte Pflanzenschädlinge und Krankheitsüberträger
Ein Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit ist der "Western Corn Rootworm" (Diabrotica virgifera) - ein Pflanzenschädling aus Nordamerika. Er wurde in den frühen 1990ern in der Nähe des Belgrader Flughafens entdeckt. Sofortige Maßnahmen verhinderte allerdings der Balkan-Krieg. Inzwischen hat sich der Käfer in Kroatien, Ungarn, Rumänien, Bosnien, Bulgarien und Italien verbreitet (Stand 1999). Eingereist ist er vermutlich einst via US-Militärflugzeug - mehr dazu in science.ORF.at.

Auch Krankheiten können auf diesem Weg verbreitet werden - der jüngste Fall kommt aus den USA: Der aggressive asiatische Tigermoskito gelangte durch die massive Einfuhr einer asiatischen Bambusart von Taiwan in die USA. Das Insekt gilt als Überträger verschiedenster Viruserkrankungen, darunter das aus den Tropen bekannte und gefährliche Dengue-Fieber - mehr dazu in science.ORF.at.
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Wie effektiv ist der Schutz durch Pestizide?
Vor diesen Eindringlingen versucht man sich zu schützen - eben auch durch das Besprühen der Passagierflugzeuge mit Insektiziden. Die Frage ist allerdings, wie effektiv diese Methode tatsächlich ist. Eine Studie soll genau diese Frage nun beantworten.

In Zusammenarbeit mit der Lufthansa sowie dem Fraunhofer Institut für Toxikologie und Aerosolforschung versucht das BgVV zu klären, ob das so genannte "In-flight"-Sprühen - also die Anwendung während eines Fluges in Anwesendheit der Passagiere - überhaupt sinnvoll ist.
Ein Käfig voller Fliegen
Dafür werden auf Flügen nach Indien kleine Käfige mit Fliegen an verschiedensten Stellen der Kabine aufgestellt. Die Besatzung versprüht ganz nach Vorschrift ein Pestizid - über die Köpfe der Passagiere hinweg.

Die Wissenschaftler untersuchen im Anschluss daran, ob die Insekten tatsächlich alle getötet werden und wie hoch gleichzeitig die Kontamination bei den Passagieren ausfällt. Es sei eine "Nutzen-Risiko-Abwägung", meint die BgVV-Sprecherin.

Denn wie Lukassowitz erklärt, ist bisher noch gar nicht geklärt, ob das Versprühen der Schädlingsbekämpfungsmittel tatsächlich so effektiv arbeitet, dass es auch Insekten tötet, die etwa im Gepäck oder in der Kleidung der Reisenden verborgen sind.
Kurzzeit-Pestizide als Alternative?
Umstritten ist vor allem auch die Anwendung von Schädlingsbekämpfungsmitteln mit Langzeitwirkung. Denn die reichern sich nach Angaben der BgVV-Sprecherin in Kunststoffverkleidungen und Bezugsstoffen der Flugzeuge an.

"Das heißt, dass auch andere Flüge bzw. Passagiere betroffen sein können, die gar nicht in ein Land mit solchen Vorschriften fliegen", so Lukassowitz gegenüber science.ORF.at.

Im Anschluss an die erste Studie soll daher eine zweite Untersuchung klären, wie gut die Wirkung von Kurzzeit-Pestiziden ist, mit denen Passagiere gar nicht direkt in Kontakt kommen, weil sie etwa eine Stunde vor dem Flug in der leeren Kabine versprüht werden.
Suche nach der "gesündesten" Methode
Es geht also darum, die Maßnahme zu finden, die für die Passagiere und Flugbegleiter so harmlos wie möglich ist. Wie Lukassowitz erzählt, ist derzeit ein Abschaffen dieser Bestimmungen kein Thema. Das sei Ländersache, und Australien etwa ist diesbezüglich besonders strikt.
Welche Länder lassen sprühen?
Welche Länder solche Pestizid-Vorschriften erlassen haben, kann die Sprecherin im Übrigen nicht mit Sicherheit sagen, denn diese Liste ändere sich ständig. Laut der "Süddeutschen Zeitung" gelten solche Bestimmungen im Augenblick für Australien, Neuseeland, Indien, die Seychellen und Mauritius.

Von den Austrian Airlines war diesbezüglich keine konkrete Aussage zu erhalten. Wie ein Sprecher der Fluggesellschaft gegenüber science.ORF.at erklärte, seien die Bestimmungen Sache des jeweiligen Ziellandes, und die AUA müsse sich ebenso daran halten wie alle anderen Fluggesellschaften auch.
->   Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin
->   Fraunhofer Institut für Toxikologie und Aerosolforschung
->   Süddeutsche Zeitung: "Bedrohung aus der Dose"
 
 
 
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01.01.2010