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"Designer-Babys": Wer soll über Leben entscheiden?  
  Eine britische Behörde hat eine umstrittene Entscheidung getroffen: Demnach ist es einer in Großbritannien lebenden Familie erlaubt, mit künstlicher Befruchtung ein "Designer-Baby" zu bekommen, dessen Blut bei der Heilung ihres schwer kranken Kindes helfen soll. Dieser aktuelle Fall stellt auch die Bioethik-Debatte in Österreich wieder vor brisante Fragen, wie der Genetiker Markus Hengstschläger in seinem Gastkommentar für science.ORF.at schreibt. Konkret geht es um die - in Österreich bislang nicht erlaubte - Präimplantationsdiagnostik, die genau solche Fälle erst möglich macht.  
Demokratie ist nicht gleich Ethik
Von Markus Hengstschläger

Die Präimplantationsdiagnostik (PID) erlaubt eine Untersuchung auf einen genetischen Defekt eines Embryos vor Eintreten einer Schwangerschaft. Dem durch künstliche Befruchtung entstandenen Embryo wird eine (seiner in diesem Stadium acht) Zellen entnommen und genetisch untersucht.

Der Mutter wird schließlich ein Embryo eingesetzt, bei dem der genetische Defekt ausgeschlossen wurde. Embryos, bei denen der Defekt nachgewiesen wurde, werden nicht eingesetzt. Dies bedeutet in vielen Ländern Europas nach heutiger Gesetzteslage, dass diese Embryos vernichtet werden.

Die PID ist für bestimmte Eltern eine Chance gesunde Kinder zu bekommen, für Eltern mit bestimmten genetischen Veranlagungen kann es sogar eine Möglichkeit sein überhaupt Kinder zu bekommen.
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Präimplantationsdiagnostik: Gegen-Argumente (Teil 1)
Zwei wesentliche Argumente werden gegen eine Erlaubnis der PID angeführt:
1) Die PID werde dazu benutzt um Eltern den Wunsch nach Kindern mit bestimmten Eigenschaften, bestimmter Intelligenz etc.zu erfüllen:

Man unterscheidet Merkmale die von einem Gen bestimmt werden (monogen) von solchen, die von mehreren, vielen Genen abhängen (polygen). Dazu kommt, dass Merkmale wie eben zum Beispiel Intelligenz multifaktoriell bestimmt sind. Der mit weitem Abstand überwiegende Anteil menschlicher Eigenschaften wird multifaktoriell vererbt. Dies bedeutet, dass nicht die Gene allein, sondern auch die Umwelt die Ausprägung dieser Merkmale bestimmt.

Die entsprechenden technischen Vorgaben der PID erlauben ausschließlich die Beantwortung einer einzigen konkreten genetischen Frage. Wie eben zum Beispiel ob die Blutkrankheit Thalassämie vorliegt. Eigenschaften wie Augenfarben, Intelligenz etc. können über PID nicht untersucht werden.
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In Österreich sollten die Fälle individuell geprüft werden
Mein persönlicher Ansatz für Österreich wäre es, von einem generellen Erlauben der Durchführung der PID abzusehen.

Vielmehr meine ich, dass eine Kommission (bestehend aus Medizinern, Genetikern, Psychologen, Ethikern etc.) jeden Fall individuell prüfen sollte, um im Einzelfall Erlaubnis erteilen zu können.

Entsprechende Voraussetzungen könnten sein, dass ein sehr hohes Risiko für das Auftreten der Erkrankung bei Nachkommen des Paares besteht, dass sich die Krankheit durch schwere körperliche und geistige Fehlbildungen (oft nicht lebensfähig) äußert, und dass zur Zeit keine wirkliche Therapiemöglichkeit besteht.

Gerade letzteres spricht gegen die Erarbeitung einer starren Liste - was erlaubt sein sollte und was nicht.
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Präimplantationsdiagnostik: Gegen-Argumente (Teil 2)
Das zweite Argument gegen die PID ist natürlich die Frage, was mit den nicht eingesetzten Embryos geschieht. Um ein gesundes Kind zur Welt bringen zu können, werden bei der PID Embryos vernichtet.

Im Zusammenhang mit der Frage der Schutzwürdigkeit des Embryos wird sehr oft (zum Beispiel im Zusammenhang mit Forschung an embryonalen Stammzellen) das Argument "Leben gegen Leben" angeführt: "Durch die Vernichtung von Embryonen können in Zukunft einmal Schwerstkranke geheilt werden."

Dieses Argument wird von den Gegnern zumeist als "utopisch" und "unrealistisch" bezeichnet und dafür kritisiert, dass es nur nicht realisierbare Hoffnungen wecke.
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Großbritannien: Ein Argument hat ein Gesicht bekommen
In Leeds in Großbritannien hat diese Tage dieses Argument ein Gesicht bekommen. Das Gesicht eines kleinen Kindes, das an der in diesem Fall tödlichen Blutkrankheit Thalassämie leidet.

Geholfen werden kann diesem Kind nur mehr dadurch, dass bei der nächsten Schwangerschaft seiner Mutter ein Kind eingesetzt wird, das mittels PID darauf untersucht wurde ein passender Knochenmarkspender zu sein. In jeden anderen Fall würde dieses Kind in naher Zukunft sterben.

Hier steht also das Leben eines achtzelligen Embryos, der bei der PID nicht eingesetzt wird, gegen das Leben eines kranken Kleinkindes. Es muss ohne Zweifel ethisch gerechtfertigt werden, wenn man im Zuge der PID Embryos nicht einsetzt.

Es muss aber genauso gerechtfertigt werden, wenn man eine Therapie kennt, sie aber nicht anwendet und das an Thalassämie erkrankte Kind sterben lässt.
Entscheidend ist: Ob man die Wahl hat
Ganz egal, wie sich jeder von uns individuell entscheiden würde in dem Fall, dass diese Kind unser eigenes wäre. Ein ganz wesentlicher Aspekt ist die Frage, ob man überhaupt die Wahl hätte, ob man die PID überhaupt anwenden dürfte.

Solche Fälle sind seltene Einzelfälle. Umso mehr muss man darüber nachdenken, ob die Stimmen so weniger in der Masse der Unbetroffenen überhaupt Gehör finden würden. Kann ein demokratischer Mehrheitsbeschluss in diesem Fall überhaupt zum Ziel führen?

Auf jeden Fall hat in Großbritannien dieser Tage eine Familie Gehör gefunden.
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Gastkommentar
Markus Hengstschläger, der Autor dieses Gastkommentars, ist Professor an der Universitätsklinik für Frauenheilkunde, Abt. für Pränatale Diagnostik und Therapie des Allgemeinen Krankenhauses in Wien.
Im Verlag Wilhelm Maudrich ist kürzlich sein Buch "Das ungeborenene menschliche Leben und die moderne Biomedizin. Was kann man, was darf man?" erschienen.
->   Markus Hengstschläger in science.ORF.at:: "Designerbabys" und "Kinder nach Maß"
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->   Bericht in science.ORF.at: Familie bekam Erlaubnis für "Designer-Baby"
 
 
 
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01.01.2010