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Keine Krimis, sondern "chemisches Lehrbuch"  
  Die britische Schriftstellerin Agatha Christie gehört noch immer zu den meistgelesenen Kriminalautoren weltweit. Besonders gerne verwendete die "Queen of Crime" in ihren Romanen Gifte als Instrument des Mordens. Dabei, so das Ergebnis einer Studie zweier deutscher Mediziner, hat sie so akribisch recherchiert, dass die Beschreibungen an die Qualität eines Lehrbuchs heranreichen.  
Volkmar Schneider vom Institut für Rechtsmedizin der Freien Universität Berlin und Benno Rießelmann vom Landesinstitut für gerichtliche und soziale Medizin in Berlin untersuchten die Genauigkeit und den Wahrheitsgehalt, mit der Agatha Christie die Wirkung und Symptomatik von Giften in ihren Werken beschreibt.
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Publikation im Druck
Die Ergebnisse der Studie werden von der Gesellschaft für toxikologische und forensische Chemie im Verlag Dr. Dieter Helm veröffentlicht. Die Publikation befindet sich im Druck.
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Gifte als "roter Faden"
Giftmorde ziehen sich wie ein roter Faden durch Agatha Christies literarisches Werk. Mit Anfang zwanzig arbeitete die künftige Schriftstellerin in einer Apotheke und eignete sich dort das Wissen über unheilvolle Substanzen an, das sie später in ihren Romanen verwertete.

In insgesamt 41 Romanen spielen denn auch letalwirkende Stoffe eine entscheidende Rolle: Chlor, Arsen, Nikotin, Morphin, Thallium, Strychnin, Salz-, Blau- und Oxalsäure - die Liste der von ihr beschriebenen Substanzen liest sich wie ein chemisches Wörterbuch.
Präzise Beschreibungen
Die Vielfalt der Chemikalien geht dabei einher mit einer erstaunlichen Präzision bei der Beschreibung ihrer Wirkungen, wie Schneider und Rießelmann belegen.

In ihrer Studie stellen sie aus zehn ausgewählten Giften zwei - nämlich Nikotin und Thallium - besonders ausführlich vor und überprüfen die von Christie beschriebene Wirkung auf ihren Wahrheitsgehalt.
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Nikotin und Thallium in der forensischen Toxikologie
Die Auswahl der beiden Substanzen ist kein Zufall: Die Aufklärung eines mit Hilfe von Nikotin verübten Mordes im Jahr 1850 gilt unter Fachleuten als Geburtsstunde moderner forensischer Toxikologie. Zum ersten Mal konnte damals ein biologisches Gift posthum wissenschaftlich nachgewiesen und der Mörder durch die Rechtsmedizin überführt werden.

Thallium hingegen sorgte erst knappe fünfzig Jahre später für Schlagzeilen. 1897 wurde mit dem in der Erdkruste nur in geringen Mengen verbreiteten Metall ein Mord begangen - gerade einmal ein Jahr, nachdem es zum ersten Mal isoliert worden war. Beide Fälle waren Agatha Christie wohl bekannt.
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Ein Roman hilft Leben retten
Tatsächlich half die genaue Beschreibung einer Thallium-Vergiftung in Christies Roman "Das fahle Pferd" sogar ein Leben retten: Zugetragen hat sich der Vorfall 1977 in England, als ein neunzehn Monate altes Kind mit mysteriösem Krankheitsverlauf in eine Londoner Klinik eingeliefert wurde.

Die Ratlosigkeit der Ärzte ging mit der Gewissheit einher, dass das Kind bald sterben würde, wenn nicht schnellstens die Ursache der Erkrankung ermittelt werden könnte.

Erst eine Krankenschwester verknüpfte die Symptome mit den Beschreibungen ihrer Lieblingsautorin und gab schließlich den entscheidenden Hinweis.
Die Wirklichkeit "kopiert" ...
Ähnlich die Darstellung der Fehleinschätzung bei Christie: Im Roman "Das fahle Pferd" wird die Thallium-Vergiftung von einem Arzt nicht erkannt und fehldiagnostiziert.

In der Tat sind die äußeren Merkmale kaum von einer Grippe zu unterscheiden. Brechreiz und Durchfall sowie im späteren Verlauf Muskelschmerzen und Schlafstörungen lassen keinen Verdacht zu.

Erst in der späteren Phase einsetzender Haarausfall und Streifen auf den Fingernägeln könnten auf eine andere Erkrankung schließen lassen, doch dann ist es - zumindest im Roman - bereits zu spät.
"Nicht nur Unterhaltung"
Die Mediziner jedenfalls gelangen übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass Agatha Christie profunde Kenntnisse über unterschiedlichste Gifte besaß und dass sie die Vergiftungssymptome und Wirkungen medizinisch einwandfrei beschrieb.

Für Benno Rießelmann erreicht die - literarisch umschriebene - genaue Darstellung der Giftwirkung, fast Lehrbuchniveau. Ein Grund, meint er, die Romane nicht nur als Unterhaltungsliteratur zu betrachten.
->   Institut für Rechtsmedizin der FU Berlin
 
 
 
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01.01.2010