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Kopfgesteuerte Raucher-Sucht  
  Um Rauchern die Beendigung ihres Lasters zu erleichtern, arbeiten Wissenschaftler ständig an neuen Ansätzen zur Suchtentwöhnung. Jetzt konnten jene Schaltkreisen im Gehirn identifiziert werden, die für die ersten schmerzvollen Entzugserscheinungen, eine Stunde nach der letzten Zigarette, verantwortlich sind. Diese Ergebnisse könnten jetzt neue und effizientere Therapiemethoden ermöglichen.  
Dies berichten Daniel McGehee und sein Team von der University of Chicago in der aktuellen Ausgabe von "Neuron".
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Artikel in "Neuron" (kostenpflichtig; Nicotine and Reward: Differential Modulation of Excitatory and Inhibitory Inputs to Dopamine Neurons, March 14, 2002: 33 (6) ).
->   Artikel in "Neuron"
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Desensibilisierung nach einem 'Zug'
Ein kräftiger Zug an der Zigarette überschwemmt die Gehirnzellen mit Nikotin. Dieses bindet im Gehirn an bestimmte Rezeptormoleküle (Andockstellen) der Nervenzellen und aktiviert diese. Jede Art von Nervenzelle trägt eine leicht unterschiedliche Version jenes Rezeptormoleküls, welches auch etwas unterschiedlich auf die Droge Nikotin reagiert.

Nikotin veranlasst jene Zellen zur verstärkten Ausschüttung des Neurotransmitters Dopamin. Dopamin ist ein Botenstoff (Neurotransmitter), der Impulse (Informationen) zwischen Nervenzellen, Gehirnzentren und Immunsystem weitergibt.

Innerhalb weniger Sekunden werden die nikotingesättigten Gehirnzellen gegenüber weiterem Nikotin allerdings desensibilisiert.
Feinabstimmung im Gehirn
Daniel McGehee und sein Team entdeckten in diesem Zusammenhang, dass Nikotin zwei bestimmte Schaltkreise im Gehirn beeinflusst, die den Dopaminausstoß regulieren.

Wenn ein Nikotinschub das Gehirn erreicht, so erhöht einer dieser Schaltkreise die Aktivität von Dopamin-freisetzenden Nervenzellen.

Der zweite Schaltkreis, der normalerweise die Dopaminfreisetzung von Nervenzellen unterbindet, wird aber gleichzeitig abgeschalten. Das zusammen führt für den Raucher zu jenem kurzen, intensiven "Wohlgefühl", denn er Dopaminspiegel bleibt durch die Deaktivierung des Dopamin-hemmenden Schaltkreises längere Zeit hoch.
Gekipptes Gleichgewicht
"Das Nikotin kippt in diesem Fall das natürliche Gleichgewicht, das durch die beiden Schaltkreise hergestellt wird, zugunsten einer ausschließlichen Dopaminfreisetzung", erläutert Daniel McGehee.

Der fallende Dopaminspiegel durch die Erholung des Dopamin-hemmenden Schaltkreises im Gehirn infolge von Nikotinentzug lässt den Raucher dann aber spätestens nach einer Stunde wieder zur Zigarettenpackung greifen.
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Dopamin
Dopamin ist ein wichtiger Neurotransmitter im Gehirn. Dopaminmangel kann zur Entstehung der Parkinsonschen Krankheit führen. Weiterhin wird vermutet, dass Dopaminmangel oder -überschuss bei psychiatrischen Erkrankungen (z.B. Schizophrenie) eine Rolle spielt.

Dopaminausschüttung vermindert die Nahrungsaufnahme. Bevorzugter Wirkort ist der laterale Hypothalamus. Dopamin reduziert selektiv die Eiweiß- und Fettaufnahme. Aufputschmittel wie Amphetamine bewirken über eine Freisetzung von Dopamin das gleiche. Dopamin vermittelt auch die Effekte des körpereigenen Belohnungssystems, das von Natur aus dazu da ist, günstige Verhaltensweisen zu belohnen, damit sie wiederholt werden.
->   Mehr zu Dopamin
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Eingriff in den Schaltkreis als Therapieansatz
Ein Medikament, dass den Dopamin-hemmenden Gehirn-Schaltkreis daran hindert sich zu erholen, könnte nach Ansicht der Wissenschaftler aus Chicago den Suchtkreislauf unterbrechen.

Der Dopaminspiegel würde dann in geringerem Ausmaße sinken und der Raucher nicht mehr jene schmerzvollen Entzugserscheinungen verspüren.

"Damit lässt sich das Rauchen von dem dabei entstehenden guten Gefühl abtrennen", erklärt Daniel McGehee.
Ketteraucher trotzen der Regel
Kettenraucher trotzen der "Einstunden-Regel". Für sie ist die Handlung des Rauchens selbst Suchtfaktor, meint David Balfour, der Nikotinabhähngigkeit an der University of Dundee, England studiert.

"Es ist der gesamte Prozess der Drogenaufnahme in den Körper, den wir beachten sollten", so Balfour. Zukünftige Therapieansätze sollte jene Gesamtheit der Abhängigkeit und ihrer Entstehung verstärkt berücksichtigen, wollen sie erfolgreich sein, ist der Wissenschaftler aus Dundee überzeugt.
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Nikotin und seine Wirkung
Beim Inhalieren des Zigarettenrauches gelangt das Nikotin über die Lunge ins Blut und erreicht innerhalb von sieben Sekunden das Gehirn. Dort koppelt sich das Nikotin an die so genannten Nikotinrezeptoren von Nervenzellen. Über diesen Andockmechanismus werden die psychogenen Wirkungen der Droge ausgelöst.

In geringen Mengen regt Nikotin die vegetativen Zentren des zentralen Nervensystems an, wodurch etwa eine erhöhte Abgabe von Adrenalin ins Körperinnere erfolgt. Das hat zur Folge, dass Blutdruck, Speichel- und Schweißproduktion erhöht werden. Außerdem wird die Darmperistaltik, also die Eigenbewegung des Darmes zum Zwecke des Transportes von Stoffwechselendprodukten angeregt. Die tödliche Dosis liegt bei 0,06 Gramm, in einer Zigarette finden sich etwa 0,001 Gramm, die jedoch zum größten Teil vom Raucher nicht inhaliert werden.
->   Mehr zu Nikotinabhängigkeit
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Nikotingaben zu wenig
Balfour geht davon aus, dass Nikotinersatzstoffe in Form von Kaugummis oder anderen Präparaten nur bedingt tauglich sind, da sie seiner Meinung nach nicht den durch das Nikotin der Zigarette ausgelösten "Schub" im Gehirn nachahmen.

Zukünftige Therapieansätze sollten über reine Nikotingaben allerdings hinaus gehen und Nikotin mit Medikamenten kombinieren, die regulierend in jenen gestörten Dopaminstoffwechsel im Gehirn eingreifen.

Jetzt wollen die Mediziner in weiteren Untersuchungen heraus finden, wie sich jene Dopaminkreisläufe im Gehirn bei langjährigen und starken Rauchern verändern.
->   Homepage von Daniel McGehee, University of Chicago
->   Neurobiology an der University of Chicago
->   Department of Psychiatry, University of Dundee
 
 
 
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01.01.2010