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Der Historiker Fritz Stern wird 75  
  In einem unmenschlichen Zeitalter dem Phänomen des Menschlichen nachzuspüren ist eine Überzeugung, die Fritz Stern zu einem der bedeutendsten Geschichtswissenschaftler unserer Zeit werden ließ.  
Der Brückenbauer
Der Historiker Fritz Stern hat den Ruf eines Vermittlers zwischen den USA und Deutschland, zwischen Juden und Christen.

Auf die Frage, was ihm der 75. Geburtstag bedeutet, antwortet Stern, es gebe so viel, was er künftigen Generationen als Historiker und Zeitgenosse ans Herz legen wolle. Außerdem sei sein Heißhunger auf das, was Leben für ihn wert macht, "bei weitem noch nicht gestillt". Er wolle noch so viele Länder, Kulturstätten und Museen ansehen. Sein Traum vom Glück? Ein europäisches Wanderjahr im 19. Jahrhundert, wie er einmal auf einem Fragebogen bekannt hat.
Das Schicksal als Lebensthema

Fritz Stern wurde 1926 in Breslau geboren. Um dem Sohn zukünftige Probleme zu ersparen, ließen ihn die Eltern taufen. Pate war der ebenfalls christianisierte jüdische Nobelpreisträger Fritz Haber. Nichtsdestotrotz musste der zwölfjährige Fritz Stern 1938 in die USA emigrieren. Seitdem lebt er in New York. Fritz Stern studierte an der Columbia-Universität und war dort bis zu seiner Emeritierung als Geschichtsprofessor tätig.

Das Schicksal der Emigration bestimmte Fritz Sterns Lebensthema: Die deutsche Ideen- und Kulturgeschichte des 19. Jahrhundert und das Verhältnis der deutschen Juden zu ihrer Heimat.
Eine ungewöhnliche Fähigkeit zur inneren Aussöhnung
Gegen die Dämonisierung der deutschen Geschichte als Schauplatz des absoluten Bösen, wie sie schon von Hannah Arendt kritisiert worden war, setzte Stern auf das Verstehen.

Der Historiker wollte den Nationalsozialismus nicht nur verurteilen, sondern nachvollziehbar machen, wie es zur deutschen Katastrophe kam. Stern beharrte dabei auf einer psychologischen Deutung, die ihn immer wieder zur Methode der Biographie greifen ließ. Zu einem international anerkannten Standardwerk avancierte "Gold und Eisen¿, die 1977 erschienene Doppelbiographie von Bismarck und dessen jüdischen Bankier Gerson Bleichröder.
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Das verheerende Schweigen
Trotz allem Verständnis, das Stern für die historische
"Versuchung des Nationalsozialismus¿ aufbringt: Der Triumph der Nazis war für ihn durchaus vermeidbar. Fritz Stern betont in diesem Zusammenhang ausdrücklich die persönliche Verantwortung, die jeder für die Geschichte hat.

In seinem Buch "Das feine Schweigen¿ mahnt Stern, dass "die Passivität, das Schweigen der Anständigen für den Erfolg des Nationalsozialismus ebenso wichtig waren, wie das Brüllen der Begeisterten.¿ Passives Schweigen deutet Stern als eklatanten Mangel an Zivilcourage. Dahinter, stecke die "Neigung, Kritik als Nestbeschmutzung zu begreifen, eine Einstellung, die die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus bis heute maßgeblich erschwert".

Fritz Stern: Das feine Schweigen. Historische Essays. C.H.Beck¿sche Verlagsbuchhandlung, München 1999.
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Das Verhältnis zum heutigen Deutschland
Im Gespräch sagt Stern, die jüngste Entwicklung in Deutschland bereite ihm Sorgen. "Die Wiedervereinigung ist noch nicht bewältigt", meint er, der Rechtsradikalismus in einigen neuen Bundesländern Grund zur Beunruhigung. Mit Genugtuung beobachte er aber, wie "energisch" Bundes- und Länderregierungen dieses Problem zusammen mit der Bevölkerung anpackten.
Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels
1999 wurde der Historiker in der Frankfurter Paulskirche mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels geehrt. In der Begründung des Börsenvereins hieß es, der Deutsch-Amerikaner habe mit seinem Bemühen um eine ausgewogene Darstellung der umstrittenen historischen Präsenz von Juden in der deutschen Gesellschaft Brücken des Verständnisses zwischen den Völkern errichtet und viel zur deutsch-jüdischen Aussöhnung beigetragen. In seiner Dankesrede reagierte Fritz Stern mit ungewöhnlicher Deutlichkeit auf Martin Walser, den Preisträger des vorigen Jahres.
->   Fritz Sterns Rede zur Verleihung des Friedenspreises
 
 
 
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01.01.2010