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Nie wieder Menstruation?  
  Jahrhundertelang galt sie männlich dominierten Kulturen und Religionen als Symbol der "Unreinheit", bald schon könnte sie der Vergangenheit angehören: die Menstruation. Mediziner wollen nun mit speziellen Hormonblockern die normale Regeltätigkeit unterbinden. Was zu einem höheren Wohlbefinden und geringerem Krebsrisiko führen soll, findet indes nicht nur Beifall.  
Äffische Vorbilder
Wie "Der Spiegel" in seiner aktuellen Ausgabe berichtet, gelang es Ende letzten Jahres zwei Forschern, weibliche Rhesusaffen komplett am Menstruieren zu hindern. Der Biologe Robert Brenner vom "Oregon Regional Primate Research Center" und der deutsche Mediziner Kristof Chwalisz verabreichten ihnen dazu zwei verschiedene Antigestagene.

Gestagene (Gelbkörperhormone) sind diejenigen Sexualhormone, die für die Einleitung und Aufrechterhaltung der Schwangerschaft notwendig sind, wie etwa Progesteron.

Das Prinzip ähnelt jenem der Abtreibungspille Mifegyne: Das Progesteron wird blockiert, die Schleimhaut der Gebärmutter kann sich nicht in funktionelles Gewebe umwandeln, ein befruchtetes Ei sich somit nicht mehr einnisten.
->   Mehr über weibliche Sexualhormone
Resultate auf Menschen übertragbar?
Das eine der beiden Antigestagene ermöglichte im Gegensatz zur Antibabypille den Eisprung, schaltete aber die sonst dazugehörige Blutung aus.

Die zweite Substanz stoppte sowohl den Eisprung als auch die Blutung. Da die Regel der Makaken-Weibchen ähnlich jener von Menschen verläuft, glaubt Brenner, dass sich die Ergebnisse übertragen lassen: "Eine verlässliche Methode, die Menstruation zu unterdrücken, würde die Lebensqualität für Frauen beträchtlich verbessern", wird er im "Spiegel" zitiert.
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Original-Abstract in "Human Reproduction":
->   Reversible suppression of menstruation with progesterone antagonists in rhesus macaques
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Verringerung des Brustkrebsrisikos
Das Hauptargument für die Unterdrückung der Menstruation: je mehr Zyklen, desto höher sei das Risiko, von Brust-, Gebärmutter und Eierstockkrebs.

Paul Sevelda, der Vorstand der Abteilung für Gynäkologie des Krankenhauses Lainz, gibt demgegenüber science.ORF.at Recht: "Je früher die Regelblutungen einsetzen und je später sie wieder aufhören, desto - allerdings geringfügig - höher ist das Brustkrebsrisiko."

Damit seien aber die vielen anderen Wirkungen wie Aussehen, Hautalterung etc. "nicht vom Tisch zu wischen".
->   Gynäkologie, Krankenhaus Lainz
Hormone, Geruch und Partnerwahl
Über diese "Begleiterscheinungen" macht sich auch Astrid Jütte Gedanken. Die Wissenschaftlerin am Konrad-Lorenz-Institut für Evolutions- und Kognitionsforschung beschäftigt sich unter anderem mit dem Zusammenhang zwischen Geruchswahrnehmung und Partnerwahl.

"Aus unseren Untersuchungen wissen wir, dass Frauen via Geruch üblicherweise genetisch unähnliche Männer suchen. Jene Frauen hingegen, die die Pille nehmen, tendieren zu genetisch ähnlichen Männern."

Ebenso verändern sich durch den Eingriff in den Hormonhaushalt die Wahrnehmungen, die Libido, Stimmungen und anderes. Ähnliches wäre auch bei der Methode mit den Antigestagenen zu erwarten, so Jütte gegenüber science.ORF.at.
->   Konrad-Lorenz-Institut
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Evolutionäre Argumente
Argumente für die "Regel-Stoppung" stammen von Beverly Strassmann. Die Anthropologin der University of Michigan untersuchte eine Stammesgesellschaft in Mali und kam zu dem Schluss, dass die Periode von der Natur als Ausnahmezustand im Leben der Frau gedacht war. "Aus evolutionsbiologischer Sicht ist es unnatürlich, Monat für Monat zu bluten", wird sie im "Spiegel" zitiert.

Der Grund: Ursprünglich lebten Frauen kürzer, bekamen viele Kinder, stillten sie und menstruierten in Folge auch seltener. Während diese Frauen Zeit ihres Lebens im Schnitt auf 160 Zyklen kamen, sind es in den heutigen Industriestaaten an die 450 Zyklen.
->   Beverly Strassmann
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Allgemeiner Trend
Die Humanbiologin Jütte sieht die Versuche von Brenner und Chwalisz, gegen die "prinzipiell nichts spricht", einem allgemeinen Trend folgend. Der "normale Zyklus" der Frau bleibt auch ohne neuartige Techniken zunehmend aus.

Einerseits tragen die Folgewirkungen der Pille dazu bei, andererseits auch soziale Faktoren wie das Anwachsen von Single-Haushalten. "Partnerwahl funktioniert stark über den Geruch. Wenn kein Partner vorhanden ist, stellt sich auch der Körper darauf ein."
Konkreter Nutzen noch weit entfernt
Was den konkreten Nutzen und die Realisierung der neuen Methode für den Menschen betrifft, gibt sich der Gynäkologe Paul Sevelda skeptisch: "Wenn Substanzen gefunden werden sollten, die Schwangerschaften verhindern, das Risiko von Brustkrebs reduzieren und auch das Wohlbefinden der Frauen nicht beeinträchtigen, wären drei Fliegen auf einen Schlag getroffen. Davon sind wir aber noch weit entfernt."

Dass Antigestagene keine therapeutische Wirkung bei Brustkrebs haben, sei heute klar, so Sevelda. Über ihre präventive Wirkung ist bisher allerdings noch zu wenig bekannt.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at
->   "Spiegel"-Story
->   Originalstudie (pdf-Datei):Reversible suppression of menstruation with progesterone antagonists in rhesus macaques
->   Oregon Regional Primate Research Center
 
 
 
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01.01.2010