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Biochemie der Erektion  
  Wie ein US-amerikanisches Forscherteam herausgefunden hat, könnte Impotenz nicht nur "Nervensache" sein. Dass Stickoxid (NO) für das Zustandekommen einer Erektion verantwortlich ist, weiß man schon seit einigen Jahren. Die Produktion von NO wird allerdings nicht nur von Nervenzellen, sondern auch von so genannten Endothelzellen verursacht. Letztere sind für die längerfristige Aufrechterhaltung des männlichen Geschlechtsteils zuständig.  
Jetzt hat eine Gruppe von US-amerikanischen Wissenschaftlern von der Johns Hopkins University School of Medicine in Baltimore, Maryland, an Mäusen herausgefunden, dass zwei unabhängige biochemische Reaktionswege zur Produktion von NO im Penis führen. Um eine dauerhafte Erektion zu gewährleisten, müssen beide Mechanismen einwandfrei funktionieren.
Der Artikel "Akt-dependent phosphorylation of endothelial nitric-oxide synthase mediates penile erection" ist erschienen in den Proceedings of the National Academy of Sciences USA, Vol. 99, Issue 6, 4061-4066, March 19, 2002 (Volltext kostenpflichtig).
->   Abstract des Artikels (frei)
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NO und Endothelzellen
Endothelzellen sind meist plattenförmige Zellen, die in einer einzigen Schicht die Blutgefäße auskleiden. An der Regulation des Blutdrucks sind Endothelzellen z.B. durch die Freisetzung von Stickstoffmonoxid, Prostacyclin (gefäßerweiternd, blutdrucksenkend) und Endothelinen (gefäßverengend, blutdrucksteigernd) beteiligt.

Stickoxid ist ein gasförmiges Radikal, das auf enzymatischem Wege (Stickoxid-Synthase) im gesamten Organismenreich produziert und vielfältig als Biosignal eingesetzt wird. Aufgrund seiner vielfältigen biochemischen Funktionen wurde NO laut einer Science-Umfrage 1992 zum "molecule of the year" gekürt.
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Beginn der Erektion
Die physiologischen Mechanismen der Auslösung einer Erektion sind wohlbekannt. Schlüsselreize aktivieren Nervenzellen im Penis, die daraufhin NO produzieren. Das gasförmige Molekül führt zu einer Entspannung der Gefäßwände, was wiederum zum Einstrom von Blut und zu einer Gewebsversteifung führt.

Allerdings dauert die NO-Produktion von Nervenzellen nur einige Sekunden. Daher war bis dato offen, wie die Erektion über längere Zeit hindurch erhalten werden kann.
Zwei Mechanismen
Eine US-amerikanische Arbeitsgruppe um den Urologen Arthur L. Burnett hat nun an Mäusen gezeigt, dass zwei unabhängig ablaufende biochemische Reaktionswege das kleine Molekül NO herstellen.

Die von den Nervenzellen ausgelöste Herstellung wird von dem Enzym neuronale NO-Synthase katalysiert. Das für den zweiten Produktionsweg verantwortliche Enzym heißt endotheliale NO-Synthase und wird, gemäß seinem Namen, in Endothelzellen des Schwellkörpers aktiviert.
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NO-Synthasen
NO-Synthasen sind Enzyme der vierten Hauptklasse (Lyasen), die Stickstoffmonoxid herstellen. Im Gegensatz zu sogenannten Synthetasen brauchen sie dafür keine Energiezufuhr durch die körperliche "Energiewährung" ATP. Abkürzung ATP, ein Nucleotid, aufgebaut aus Adenin, Ribose und 3 Molekülen Phosphorsäure. ATP ist eine Speicherform von Energie in der Zelle. Die beim Abbau der Nahrungsstoffe frei werdende Energie wird für die Bildung von ATP aus Adenosindiphosphat (ADP) und anorganischem Phosphat (P) benutzt (Phosphorylierung):
ADP + P + Energie = ATP
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Schlüsselreiz allein reicht nicht aus
Burnett und Mitarbeiter wiesen nach, dass der die Nervenzellen aktivierende Schlüsselreiz nicht ausreicht, um die Erektion aufrecht zu erhalten. Vielmehr wird die langfristige Bereitstellung von NO durch einen Rückkoppelungsprozess in den Endothelzellen ausgelöst.

Mechanische Dehnungen bewirken die Produktion von NO im Schwellkörper, was wiederum den Einstrom von Blut begünstigt. Dies führt zu einer weiteren mechanischen Dehnung.
"Wie Autofahren"
In einem Interview umschreibt der Leiter der Forschergruppe die ermittelten Ergebnisse durchaus anschaulich: "Die Physiologie der Erektion ähnelt dem Autofahren", so Burnett. "Man kann nicht einfach nur den Schlüssel einstecken und dann erwarten, dass man irgendwo ankommt. Man muss auch auf das Gaspedal treten."
Therapeutische Konsequenzen
Erektionsprobleme könnten, wie Burnett vermutet, auf Störungen des Signalsystems des Schwellkörpers zurückzuführen sein. Damit ergäben sich neue Ansatzmöglichkeiten für therapeutische Maßnahmen.

Allerdings wurden die Erkenntnisse bislang nur am Modellorganismus Maus gewonnen. "Was das für den Menschen bedeutet, muss sich erst herausstellen. Es gibt große Speziesunterschiede zwischen Mensch und Maus", erklärt Michael Marberger, Vorstand der Universitätsklinik für Urologie am Wiener AKH, im Gespräch mit science.ORF.at.

Robert Czepel, science.ORF.at
->   Johns Hopkins University School of Medicine, Brady Urological Institute
 
 
 
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01.01.2010